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Wachstum und Beschäftigung gegen die Krise

Schwerpunkt

Nur langsam setzen sich gewerkschaftliche Lösungsansätze in der EU durch.

Seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 stehen sich zwei Lösungsmodelle gegenüber. Die neoliberalen Eliten der EU propagierten nach kurzer Schockstarre ihre alten Rezepte: verstärkte Sparpolitik, neoliberale Strukturreformen und weitere Verschärfung des Wettbewerbs um die niedrigsten Löhne und Sozialstandards. Diese Politik ist gescheitert, die verheerenden Ergebnisse für ArbeitnehmerInnen und für die Stabilität des Euro sind bekannt. Europas Gewerkschaften haben von Anfang an eine umfassende Strategie für Wachstum und Beschäftigung, eine Stärkung der sozialen Rechte und eine Entmachtung der Finanzmärkte gefordert. EU-Kommission und Mitgliedsstaaten haben jedoch jahrelang den umgekehrten Weg propagiert und korrigieren nur langsam ihre Politik.

Staatsschulden nicht Krisenauslöser

Obwohl die Staatsschulden nicht der Auslöser der Finanz- und Wirtschaftskrise waren, legte die EU-Kommission den Fokus in den letzten Jahren einseitig auf eine Reduzierung der Staatsausgaben und auf sogenannte „Strukturreformen“, mit denen Wachstum geschaffen werden sollte. Die Gewerkschaften haben diesen Ansatz stets als unsozial, sogar als ökonomisch kontraproduktiv kritisiert.
Tatsächlich haben die von der Troika erzwungenen Strukturreformen, Ausgabenkürzungen, Lohnsenkungen und rigorosen Einschränkungen des Sozialstaates nicht die erhofften Ergebnisse gebracht. Der wirtschaftliche Abschwung hält weit länger an als prognostiziert – mit schlimmer Wirkung auf die Beschäftigungslage. Die katastrophalen Ergebnisse in Griechenland sind nicht der einzige, aber leider der eindrucksvollste Beleg für das Scheitern dieser wachstumsfeindlichen Politik. Nach einem Rückgang des BIP um 3,5 Prozent im Jahr 2010 und um 6,9 Prozent 2011 setzt sich der Schrumpfungsprozess in Griechenland auch im Jahr 2012 fort und wird voraussichtlich 5,3 Prozent betragen. Selbst für 2013 sagt die OECD einen weiteren Rückgang um 1,3 Prozent voraus.

Rezession und Arbeitslosigkeit

Das Wachstum in der Eurozone kommt zum Erliegen und die Arbeitslosigkeit steigt. Für 2013 wird ein weiterer Anstieg auf 11,1 Prozent vorausgesagt. Gleichzeitig schlittert die Eurozone in die Rezession und wird auch im nächsten Jahr nur ein bescheidenes Wachstum von unter einem Prozent erzielen. In den USA liegen sowohl Defizit als auch Wachstum deutlich höher. So soll in der Eurozone das Defizit von 4,1 Prozent (2011) auf 2,0 Prozent im Jahr 2013 sinken. In den USA verharrt es im gleichen Zeitraum zwischen 9,7 Prozent und 6,5 Prozent. Dafür stehen die USA sowohl beim Wachstum als auch beim Rückgang der Arbeitslosigkeit deutlich besser da als die EU (alle Zahlen laut OECD, Economic Outlook 91, 2012).
Das Ergebnis: Die EU ist im OECD-Raum Musterschülerin beim Budgetdefizit, aber gleichzeitig Schlusslicht bei Wachstum und Beschäftigung. Der angebliche Motor „Strukturreformen“ hat  versagt. Die EU spart sich immer tiefer in die Krise und lässt sich von den Finanzmärkten weiter treiben.

Fiskalpakt als Höhepunkt

Mit dem verabschiedeten Fiskalpakt haben sich 25 der 27 EU-Staaten auf eine Art „logische Fortsetzung“ der bereits zuvor im sogenannten „Six-Pack“ beschlossenen verschärften Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes geeinigt. Neben strengeren Budgetregeln und automatischen Sanktionen gegen Schuldensünder wurde darin auch die verpflichtende Einführung einer gesetzlichen Schuldenbremse vereinbart, die vom EuGH überprüft und durch Geldstrafen erzwungen werden kann. Die EU-Politik muss nun innerhalb dieses engen finanzpolitischen Korsetts eine wirksame Strategie für Wachstum und Beschäftigung entwickeln. ÖGB und EGB haben sich stets zu einer Rückführung der Budgetdefizite bekannt, doch wie können gleichzeitig Wachstum und Beschäftigung gefördert werden?

Wachstum und Beschäftigung stärken

Die „Anpassungsprozesse“ in den Defizitstaaten müssen durch Wachstumsinitiativen auf europäischer Ebene ergänzt werden. Dabei kann der vom Europäischen Rat Ende Juni 2012 geschlossene „Pakt für Wachstum und Beschäftigung“ nur ein bescheidener Anfang sein. Die Summe von 120 Mrd. Euro, auf die sich der Gipfel zur Ankurbelung der Wirtschaft geeinigt hatte, setzt sich weitgehend aus Geldern der EU-Strukturfonds, aus Projektförderungen der Europäischen Investitionsbank und zu einem kleinen Teil aus sogenannten Projektbonds zusammen. Es werden kaum neue Finanzmittel eingesetzt, von einem wirkungsvollen Konjunkturprogramm kann also nicht gesprochen werden.
Bei gleichzeitiger Rückführung der Budgetdefizite müssen neue, möglichst wachstumsschonende Einnahmequellen für die öffentlichen Haushalte erschlossen werden. Neben der Finanztransaktionssteuer gilt es endlich auch auf europäischer Ebene vermögensbezogene Steuern in den Fokus zu rücken. Jüngst hat selbst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) diese Forderung der Gewerkschaften aufgegriffen (DIW-Wochenbericht Nr. 28, 2012): Die Sparprogramme und Strukturreformen hätten in den betroffenen Ländern rezessive und deflationäre Wirkungen und soziale Verwerfungen ausgelöst, so der zutreffende Befund. Für eine Rückführung der öffentlichen Defizite und Wachstumsförderung werden Vermögenssteuern und/oder Zwangsanleihen empfohlen. „Die Konzentration der Belastungen auf die Vermögens- und Einkommenseliten wirkt zudem der zunehmenden Verteilungsungleichheit entgegen“, so das DIW wörtlich.
Die OECD hat kürzlich Privatvermögen und Staatsschulden in ausgewählten Staaten untersucht und ist zum Schluss gekommen, dass die privaten Vermögensbestände erheblich höher liegen als die Staatsschulden – in den großen OECD-Staaten zum Großteil deutlich über 400 Prozent des BIP, beim Spitzenreiter Italien sogar bei 555 Prozent des BIP (OECD, Economic Outlook 91, Mai 2012). Deshalb ist es dringend notwendig, große private Vermögen für die Reduzierung der Defizite und die Finanzierung von Investitionen in Wachstum und Beschäftigung heranzuziehen – ein Gebot sozialer Gerechtigkeit und vor allem eine ökonomische Notwendigkeit.
Selbst die EU-Kommission empfiehlt nun in ihrem Beschäftigungspaket eine wachstumsfreundliche Steuerreform: Eine stärkere Belastung von Vermögen und eine deutliche Entlastung des Faktors Arbeit. Auch die geforderten Strukturreformen sollten nicht länger dem neoliberalen Dogma von Flexibilisierung und Deregulierung folgen, sondern endlich bei einer gerechten Reform des Steuersystems ansetzen und die aktive Arbeitsmarktpolitik fördern.

Angriff auf die Lohnpolitik

Für die Binnennachfrage und das makroökonomische Gleichgewicht in der Eurozone war die Politik der Lohnzurückhaltung in den vergangenen Jahren vor allem in Deutschland der falsche Weg. Konsum- und Immobilienblasen in Peripheriestaaten wurden durch die enormen Überschüsse in der Leistungsbilanz der „Kernländer“ erst möglich gemacht. Die europäischen Gewerkschaften haben sich von Anfang an dagegen ausgesprochen, den nun notwendigen Anpassungsprozess einseitig durch Lohnkürzungen und Ausgabensenkungen in den Krisenstaaten herbeizuführen, da das eine soziale und ökonomische Abwärtsspirale in Gang setzt.
Die in einigen Krisenländern eingeleitete Politik der Schwächung von Gewerkschaften und von (Flächen-)Kollektivverträgen zeigt bereits Wirkung. Auch davor hat der EGB von Beginn an massiv gewarnt. Beteuerungen der EU-Kommission, es gehe nicht um einen Angriff auf die Gewerkschaften, werden jetzt als Märchen entlarvt: „Gesetze, die den Einfluss der Gewerkschaften zurückdrängen, wollen EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds in vielen Südstaaten der Eurozone durchsetzen“, schreibt in aller Offenheit das „Wall Street Journal“. Deshalb gerate nun die Abschaffung der Flächentarifverträge in den Blick von EU, EZB und IWF. „Mit derartigen Veränderungen würden die Arbeitsmärkte in Südeuropa denen der USA und Großbritanniens ähnlicher“, jubelt denn auch die Zeitung.

Kampf für soziale Rechte

Dies werden die Gewerkschaften weiter intensiv bekämpfen. Alle EGB-Mitgliedsbünde haben sich deshalb auf die Forderung nach einem Sozialpakt geeinigt, der die wichtigsten Schritte für den notwendigen Kurswechsel beinhaltet. Neben einer Wirtschaftspolitik für Wachstum und Beschäftigung und der überfälligen Regulierung der Finanzmärkte müssen in der EU die sozialen Interessen endlich den gleichen Stellenwert wie wirtschaftliche Marktfreiheiten erhalten.
Das aktuelle Ungleichgewicht lässt sich allein durch ein soziales Fortschrittsprotokoll überwinden, das in die europäischen Verträge integriert werden muss. Nur so, da sind sich alle EGB-Mitglieder einig, kann auch die Akzeptanz des europäischen Projekts bei den ArbeitnehmerInnen wieder gestärkt werden, die aufgrund der neoliberalen Ausrichtung der Anti-Krisenpolitik derzeit auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt ist.

Info&News

  • Die EU ist zwar eine Musterschülerin beim Defizitabbau, aber Schlusslicht bei Wachstum und Beschäftigung.
  • Die verheerende Sparpolitik wurde immer weiter vorangetrieben, die sozialen Rechte der ArbeitnehmerInnen geraten mehr und mehr unter Druck.
  • Eine Politik für Wachstum und Beschäftigung ist längst überfällig, setzt sich aber in der EU nur langsam durch.
  • Voraussetzung dafür ist eine stärkere Heranziehung großer Privatvermögen zur Konsolidierung der Staatshaushalte.
  • Umverteilung und Vermögenssteuern sind ein Gebot sozialer und ökonomischer Notwendigkeit.


Internet:
ÖGB-Europabüro:
www.oegb-eu.at
Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB):
www.etuc.org

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