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Betagte Mythen Ein junger Mensch kann sich aber wiederum kaum das eigene Alter mit seinen möglichen negativen Seiten wie Krankheit und körperlichem Verfall vorstellen.

Betagte Mythen

Schwerpunkt

Alte Menschen sind meistens griesgrämig; Jugendliche folgen keinen höheren Idealen - solche Klischees sind ebenso weit verbreitet wie unrealistisch.

Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten.“ Diese Aussagen fielen nicht etwa jüngst auf einem Seniorenkränzchen, sondern stammen vom griechischen Philosophen Sokrates, der 470 bis 399 vor Christus lebte. Auch Aristoteles (384–322 v. Chr.) ließ an der jüngeren Generation kaum ein gutes Haar: „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“

Impotente Lustgreise

Aber nicht nur die Jugend ist seit Tausenden von Jahren mit Klischees behaftet, auch das Alter hatte schon immer mit Vorurteilen zu kämpfen. Einen guten Überblick über Altersmythen liefert das Werk „Das Alter. Eine Kulturgeschichte“, herausgegeben von Pat Thane. Hier erfahren wir, dass Literatur und darstellende Kunst der europäischen Antike ein widersprüchliches Bild zeigen: Während alte Männer häufig als weise präsentiert werden, sind Frauen eindeutig negativ besetzt und werden meist als bösartige und sexuell besessene Hexen oder Trinkerinnen dargestellt. Geschlechtsspezifische Vorurteile sind offensichtlich keine moderne Erfindung, wobei allerdings auch alte Männer in antiken literarischen Quellen nicht nur schmeichelhaft behandelt werden. So überzeichnen römische Dramen die Schattenseiten der Greise, sexuelle Fantasien impotenter alter Männer stehen im Mittelpunkt.
Im Großen und Ganzen lassen sich von der Antike bis ins Heute zwei Sichtweisen des Alters erkennen: Auf der einen Seite wohl situierte, erfahrene, gütige und weise SeniorInnen, mit sich und der Welt ins Reine gekommen, auf der anderen hilflose, schwächelnde, verbitterte GreisInnen. Bei der Beschreibung der Jugend verhält es sich ähnlich: Entweder dynamisch und heldenhaft oder naseweis und rüpelhaft. Was aber bedeuten Jugend und Alter aus philosophischer, soziologischer und kulturgeschichtlicher Sicht?

Vorbereitung auf das Ende

In der soziologischen Forschung wird das Jugendalter gerne zwischen 14 und 24, maximal aber 30 Jahren, angesetzt. Etwa ab dem 60. Lebensalter gilt man von der Antike bis zum heutigen Tag als alt. Der Beginn des Alters wird oft mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben gleichgesetzt, die Grenzen sind aber fließend. Der Philosoph Michel de Montaigne (1533–1592) betont, dass Geburt und Jugend ebenso zum natürlichen Kreislauf gehören wie Altern und Tod. Wobei Montaigne in seinem bis heute einflussreichen Essay „Philosophieren heißt sterben lernen“ (ein Ausspruch Ciceros) das Altern vor allem als Vorbereitung auf den Tod sieht. Er schreibt: „Warum fürchtest Du deinen letzten Tag? Er trägt keinen Deut mehr zu deinem Tode bei als jeder andere (...) Alle Tage sind zum Tode unterwegs, der letzte – er langt an.“ Der an der Humboldt-Universität Berlin tätige Philosoph Héctor Wittwer interpretiert das so: „Das Altern sei also eine Vorbereitung auf den Tod und in gewisser Weise auch eine Vorwegnahme desselben, weil es – wie dieser – Verluste mit sich bringt. Jeden Tag verlören wir etwas, sodass sich die Verluste addierten und schließlich durch den Tod vollendet würden.“ („Philosophie des Todes“) In seiner natürlichen Funktion könnte also das Alter die Angst des Menschen vor dem Tod lindern. Ein junger Mensch kann sich aber wiederum kaum das eigene Alter mit Krankheit und körperlichem Verfall vorstellen. Logische Reaktion: Furcht und Ablehnung. Auf der anderen Seite spielt nur scheinbar widersprüchlich Neid mit: Der alte Mensch hatte in seiner Lebenszeit zumindest die Möglichkeit, sich materielle Güter und einflussreiche Positionen zu erarbeiten. Ein steiniger Weg, der der Jugend meist noch bevorsteht. Furcht, Ablehnung und Neid sind gute Nährböden für negativ besetzte Klischees. Alte Menschen denken hingegen nicht selten mit Wehmut an ihre eigene Jugend zurück, an Gesundheit und Mobilität, wobei sie Unangenehmes oft ausblenden und Erfreuliches verklären. Wird der Frust auf die „Jugend von heute“ projiziert, sind Vorurteile nicht weit. Vielleicht gilt: Je weniger erfüllt das eigene Leben, desto größer die Vorurteile gegenüber „dem Anderen“, wozu auch Jugend und Alter zählen können. Dass gängige Altersmythen mit der Realität nicht übereinstimmen, beweisen immer wieder empirische Studien. So zum Beispiel der Jugendmonitor, den das Institut für Strategieanalysen (ISA) für das Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend seit dem Jahr 2010 regelmäßig erstellt. Der Politologe und ISA-Geschäftsführer Peter Filzmaier kommentiert: „Klischees, die Jugendliche betreffen, stellen sich als falsch beziehungsweise stark vereinfachend heraus. Etwa dass die Jugend unpolitisch ist oder mit traditionellen Werten nichts mehr anfangen kann.“

Junge Wilde sind medientauglich

Ein Beispiel: Laut Jugendmonitor bezeichnet nur einer von zehn Jugendlichen Politik als zentralen Bereich seines Lebens. Das erscheint auf den ersten Blick bedenklich, allerdings ist diese Relation nicht schlechter als bei erwachsenen Menschen. Der Mythos, die Jugend sei politikverdrossener als andere Altersgruppen, stimmt also nicht. Auch erweist sich der Mainstream der Jugendlichen als wertkonservativ: „Die Jugend strebt mehrheitlich eine fixe Partnerschaft mit Kinderwunsch an. Auch das kleine Häuschen mit Garten und Hund ist durchaus ein Ziel“, so Filzmaier. Laut dem Politologen sind die überzeichneten Rollenbilder nicht zuletzt auf die den Massenmedien eminente Logik zurückzuführen. Der konservative Durchschnittsjugendliche ist keine Schlagzeilen wert, als medientauglich weil sensationell und somit verkaufsfördernd erweisen sich hingegen die „jungen Wilden“. Politische RevoluzzerInnen oder RebellInnen aus der Kulturszene sind hierzulande eher mit der Lupe zu suchen. Dann müssen eben Sensationen des Alltags herhalten, Drogen, Gewalt und sexuelle Ausschweifungen. Schnell wird hier die Jugend zum Sündenpfuhl.
Falsche Mythen und überzogene Vorurteile zu Alt und Jung bergen soziale und politische Sprengkraft, wenn sie zur Panikmache instrumentalisiert werden. So können Mythen, dass die Jungen zu Gewalt und Drogenexzessen neigen, die Politik zu übertriebenen Kontrollmaßnahmen verleiten. Wobei die breite Masse der Jugendlichen unter anderen Problemen leidet, etwa galoppierender Arbeitslosigkeit. Gewalt, Kriminalität und Drogen sind nicht von der Jugend gepachtet, den Nährboden bilden hingegen oftmals soziale Ungleichgewichte – aber solche komplexen Zusammenhänge sind natürlich nicht griffig und schwer in Schlagzeilen zu verpacken. Apropos Schlagzeilen: Nur allzu oft ist im Zusammenhang mit der steigenden Lebenserwartung in Österreich und anderen hochentwickelten Industrienationen von „Altenschwemme“, „Altenlawine“, dem „Reich der Greise“ oder Ähnlichem zu hören. Simple Botschaft: „Die Alten fressen den Jungen die Haare vom Kopf!“ Diese tendenziöse Darstellung verschweigt, dass nicht so sehr der Rückgang der Sterblichkeit, sondern die sinkende Geburtenrate ein demografisches Problem darstellt.

Zuwanderung als adäquates Mittel

Der Soziologe Anton Amann schreibt in „Die großen Alterslügen“, dass es um 1920 in Österreich mehr als 1,6 Mio. Kinder unter 14 Jahren gab, zu Beginn des dritten Jahrtausends sind es ca. 1,2 Mio., in den nächsten 30, 35 Jahren wird die Zahl vermutlich auf weniger als eine Mio. absinken. Nachdem in einem Rechtsstaat niemand Menschen dazu zwingen kann, mehr Kinder in die Welt zu setzen, wäre Zuwanderung ein adäquates Mittel, sich den demografischen Herausforderungen zu stellen. Das trauen sich nur wenige PolitikerInnen und Medien laut zu sagen – einfacher ist es, auf „die Alten“ hinzuprügeln, längere Arbeitszeiten zu fordern und nach privater Vorsorge zu schreien. Der Wahrheit und den Menschen – ob alt oder jung – ist damit nicht gedient.

Mehr Infos unter:
www.arbeitundalter.at
www.dialogdergenerationen.at

Schreiben Sie Ihre Meinungan den Autor haraldkolerus@yahoo.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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