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Die Jugend von heute Die österreichische Jugend glaubt sich auf einem langfristig dem Untergang geweihten Schiff, auf dem ihr aber noch genügend Zeit bleibt, das eigene Leben zufriedenstellend über die Runden zu bringen, nach dem Motto "die Welt wird untergehen.

Die Jugend von heute

Schwerpunkt

"Erwartungen - Die Zukunft der Jugend" - unter diesem Motto stand das Forum Alpbach 2012.

Wenn man nicht aufpasst, kommt es einem schnell über die Lippen – obwohl man sich selbst noch nicht zum alten Eisen zählt: „Die Jugend von heute“ ist eine oft strapazierte Phrase für alles, was man an den jüngeren Semestern nicht versteht oder goutiert. Und doch sind die Anliegen der Jugend nicht nur Übermut oder Leichtsinn. Sie sind „Erwartungen – Die Zukunft der Jugend“. Unter diesem Titel trafen sich beim „68. Europäischen Forum Alpbach 2012“ PolitikerInnen, Expertinnen und Experten sowie Jugendliche, um Fragen nach dem Ist-Zustand und der Zukunft der Jugend nachzugehen. Dabei wurde wieder eine soziologische Binsenweisheit bestätigt: DIE Jugend gibt es nicht. Sie ist eine extrem heterogene Masse, die zwar durch das Lebensalter einen gemeinsamen Nenner hat, sich sonst aber durch unterschiedlichste Interessen, Ausbildungen und Arbeitssituationen, familiäre Konstellationen und auch Ideen, Vorstellungen, Wünsche, Vorlieben und Abneigungen auszeichnet.

Anpassung aus Kalkül

Einer, der genauer hinter die Fassade blickt, ist Bernhard Heinzlmaier, Gründer und Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien sowie Leiter des Marktforschungsunternehmens tfactory in Hamburg. Sein Vortrag beim Forum Alpbach mit dem Titel „Keine Mission, keine Vision, keine Revolution?“ zeichnet ein nicht gerade rosiges Bild der Lebenssituation junger Menschen. „Die Jugendlichen sagen, sie sind optimistisch und glücklich, weil sie dazu verpflichtet wurden das zu sagen. Dahinter verbirgt sich ein trauriges, unerfülltes Leben, das durch die Inszenierung überspielt wird. Es geht um Anpassung aus Kalkül.“ Denn die Jugendlichen müssen jeden Tag zu hundert Prozent für sich selbst kämpfen, sie brauchen ihre ganze Energie für den Konkurrenzkampf an der Uni, in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt. Da bleibt nicht viel, um sich für ein Gemeinwesen oder große Zukunftsutopien einzusetzen.

Tiefer kann niemand sinken

Der herrschende politische Pragmatismus, der relativ ideologiefrei Regierungsgeschäfte betreibt und Entscheidungen in erster Linie nach Maßgaben der betriebswirtschaftlichen Vernunft trifft, provoziert eine Anpassung der Jugendlichen an das Prekäre – die kostengünstigste Variante, die Hoffnungslosigkeit auf niedrigstem Niveau, so Heinzlmaier. Die Jugendlichen seien „eine Gruppe, deren Arbeitskraft für das Verwertungsinteresse des Kapitals irrelevant geworden ist, und die am untersten Ende der sozialen und Statushierarchie angelangt ist. Tiefer kann niemand sinken.“ Kein Wunder also, dass es kein Vertrauen mehr in den Markt gibt und kein Vertrauen in die Politik, dass sie diesen Markt stoppen kann. Und selber kann man es ja nicht machen, denn man ist damit beschäftigt, in der Realität zu bestehen – ein „Diktat der Selbstverwirklichung“. Heinzlmaier diagnostiziert bei vielen jungen Menschen ein „erschöpftes Selbst“, das daran verzweifle, aus eigener Freiheit alles selbst gestalten zu müssen. Den politischen Vertretungen wird nicht zugetraut, dieses Dilemma zu lösen. „Wenn ich in meinem Alter als Zukunftshoffnung der Partei gehandelt werde, dann läuft etwas falsch“, so SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundstorfer, 60 Jahre alt, beim Forum Alpbach. Allerdings muss „ein Politiker, der die Interessen der Jugendlichen vertritt, nicht zwangsläufig jung sein“, wie Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, relativiert. „Unsere gewerkschaftlichen Zukunftshoffnungen sind die Betriebsrätinnen/Betriebsräte und Jugendvertrauensrätinnen/Jugendvertrauensräte, die die Interessen ihrer Kolleginnen und Kollegen vertreten.“
Noch nie hatten Jugendliche so viele Möglichkeiten sich zu entwickeln und ihr Leben zu gestalten – oder daran zu verzweifeln. Viele Jugendliche möchten noch immer einen sicheren Job haben, das Ideal der Beamtenkarriere ist nach wie vor stark vertreten. Sie wollen die Stabilität, die es nicht mehr gibt, sie stellen sich aber dem Kampf der Instabilität.

Pragmatischer Individualismus

Die Kommunikationsberaterin Elisabeth Pechmann von Ogilvy sieht diese Gestaltungsfreiheit als Bereicherung für die „Generation Y“ – gemeint sind die Jahrgänge ab 1981. Diese jungen Leute seien gut ausgebildet und vernetzt, wüssten, was sie wollen, seien aber gleichzeitig nicht länger bereit, althergebrachte (Unternehmens-)Hierarchien zu akzeptieren. Heinzlmaier sieht das nicht so positiv. In Österreich finde man derzeit eine Jugend vor, die sich verbissen an die eigenen Träume klammere, aber die gesellschaftlichen Bedingungen durchgehend negativ einschätze. Bei allem stehe der eigene Nutzen im Vordergrund. Es gebe kein Denken im gesellschaftlichen Kontext, denn alle Kraftreserven würden vom Kampf um den eigenen Vorteil aufgebraucht. Am Werk sei eine Form des „pragmatischen Individualismus“, bei der jeder zuerst an sich selbst denke. Dieses Nützlichkeitsdenken beginne bereits an den Bildungseinrichtungen, die einer zunehmenden Ökonomisierung unterworfen seien. Statt kritischer Selbstreflexion und Autonomiestreben trete verbissener und blinder Fleiß in den Vordergrund. Pragmatisch und ohne Zeit für die Reflexion über sich selbst oder größere gesellschaftliche Zusammenhänge gingen die Jugendlichen unbeirrbar ihren Weg und machten dort mit, wo sie sich persönlichen Nutzen versprechen. Somit blicke die Jugend was ihr persönliches Leben betrifft optimistisch in die Zukunft. Was die Zukunft der Gesellschaft angeht glaube sie an den Untergang, oder wie Heinzlmaier verbildlicht: Die österreichische Jugend glaubt sich auf einem langfristig dem Untergang geweihten Schiff, auf dem ihr aber noch genügend Zeit bleibt, um das eigene Leben zufriedenstellend über die Runden zu bringen, nach dem Motto „die Welt wird untergehen, aber davor werde ich noch ein gutes Leben haben“. Oder anders gesagt: Nach mir die Sintflut.

„Jung, qualifiziert, perspektivlos“

Und wo bleibt die Auflehnung gegen dieses pragmatische System? Die Revolutionen finden statt, und sie werden von jungen Menschen initiiert und getragen. Der Arabische Frühling, die Indignados in Madrid oder die Occupy-Bewegung sind lautstarke Zeichen der Unzufriedenheit. Allerdings seien diese Aufstände nicht unbedingt gegen das herrschende System gerichtet und zum Wohl der Allgemeinheit initiiert. Heinzlmaier sieht hierin eher einen Kampf, der aufgrund der Sorge um den Arbeitsplatz, die Gründung einer Familie, den Statuserwerb und die eigene Zukunft geführt wird. „Der Hauptgrund dafür liegt wohl darin, dass ihnen der gerechte Lohn für Unterordnung, Selbstunterdrückung und Zurückhaltung verweigert wurde. Der pragmatische Individualist passt sich dann an, wenn er dafür persönliche Vorteile realisieren kann. Werden ihm diese Vorteile vorenthalten, steigt er auf die Barrikaden. Wir müssen also davon ausgehen, dass hier nicht die postmaterialistische, nach Freiheit und Selbstbestimmung gierende Autonomiebewegung auf der Straße war, sondern frustrierte junge Materialisten, denen der Staat im Wort war, aber dieses Wort nicht halten konnte oder wollte“, stellt der Jugendkulturforscher fest und verweist auf eine Analyse von Wolfgang Kraushaar in dem Werk „Der Aufruhr der Ausgebildeten“. Hier sieht Heinzlmaier allerdings einen Hoffnungsschimmer aufblitzen: Aus diesen Protesten haben die Jugendlichen vielleicht gelernt, dass man auch mit horizontalen Strukturen durchaus politischen Erfolg haben, Macht demonstrieren und so etwas verändern kann. Am besten geht das jedoch in Kooperation mit machtvollen Institutionen, so Bernhard Achitz: „Die einen wollen die Welt verändern, indem sie sich innerhalb der Institutionen einbringen, andere wollen von außen etwas verändern. Ersteren gibt der ÖGB die Möglichkeit, das innerhalb seiner Strukturen zu tun. Und bei Zweiteren muss man klar sehen, dass die Ziele in vielen Fällen identisch sind. Bei vielen Initiativen funktioniert die Arbeit am gemeinsamen Ziel hervorragend.“ Und so wünscht Bernhard Heinzlmaier „der Jugend für die Zukunft auch den Mut zum unangepassten Verhalten und den Mut, sich die Freiheit zu nehmen, die einem Bürger, einer Bürgerin in dieser Gesellschaft zusteht“.


Internet:
Institut für Jugendkulturforschung:
www.jugendkultur.at

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