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Pensionsdebatte neu denken Es wurde den ArbeitnehmerInnen permanent eingeredet, dass das staatliche Pensionssystem nicht ausreicht und private Zusatzpensionen als dritte Säule nötig sind. Das Fazit der Studie: Profitiert haben die Versicherer und nicht die Versicherten.

Pensionsdebatte neu denken

Schwerpunkt

Gerade in Krisenzeiten ist ein stabiles und solidarisches Pensionssystem notwendig.

Über zwei Jahrzehnte ging die Pensionsdebatte nur in eine Richtung – nämlich die neoliberale. In der Medienlandschaft dominierten „Experten“, welche Reformen forderten und das staatliche Pensionssystem schlechtredeten. Vor allem von dieser Seite wurde bisher jeder auch noch so tiefe Einschnitt in unser gewachsenes Vorsorgesystem als unzureichend abgetan. Global betrachtet forcierten viele Länder sogenannte „Mischsysteme“ (Mehrsäulenmodelle). In manchen Staaten ging man einen Schritt weiter: Dort wurde die Pensionsvorsorge vollständig privatisiert, also auf private Pensionsfonds umgestellt. Auch in Österreich protegierte der Staat (vor allem unter Schwarz-Blau) zunehmend Modelle zur privaten Vorsorge durch Prämien bzw. steuerliche Begünstigungen. Doch dieser Trend entpuppte sich inzwischen als fataler Irrweg.

„Durch die Bank nicht positiv“

Eine aktuelle – von der AK Tirol beim VKI (Verein für Konsumenteninformation) in Auftrag gegebene – Studie wirft ein grelles Schlaglicht auf die Welt der privaten Vorsorgemodelle. Während die AnbieterInnen von der Prämiensumme neun Prozent an Provisionen kassieren (!), wird die Performance der Produkte bei utopischen sieben bis acht Prozent angenommen.1 Nur 40 Minuten dauert durchschnittlich ein Beratungsgespräch über diese komplexe Materie. In 60 Prozent der Fälle wird dabei nicht einmal thematisiert, ob sich der/die zu Versichernde die monatliche Prämie überhaupt leisten kann. Der Tiroler AK-Präsident Erwin Zangerl fällt in dieser Causa ein vernichtendes Gesamturteil: „Die Studie hat gezeigt, dass sich unsere Vorbehalte gegenüber privaten Pensionsvorsorgeprodukten leider bewahrheitet haben. In Wirklichkeit haben daran einige private Anbieter massiv verdient. Es wurde den ArbeitnehmerInnen permanent eingeredet, dass das staatliche Pensionssystem nicht ausreicht und private Zusatzpensionen als dritte Säule nötig sind. Das Fazit der Studie: Profitiert haben die Versicherer und nicht die Versicherten.“ Auch Studienautor Walter Hager stellt letztlich fest, dass sämtliche getestete Produkte als „durch die Bank nicht positiv“ einzustufen sind.

Alterssicherung und Finanzmarkt

Die Experten David Mum (GPA-djp) und Erik Türk (AK Wien) betrachten den Trend, die Alterssicherung den Finanzmärkten auszuliefern, generell als Fiasko.2 Allein 2008 haben – laut OECD-Bericht – Pensionsfonds weltweit 23 Prozent ihres Werts verloren. In Schweden betrug dieser Verlust bei der kapitalgedeckten Säule des Pensionssystems sogar 34 Prozent. Während die unmittelbaren Verluste durch Leistungskürzungen oder hohe finanzielle Nachschüsse ausgeglichen werden müssen, setzt nur langsam ein Umdenken ein. So wurden in Ungarn oder in Argentinien Pensionsprivatisierungen zwar de facto zurückgenommen, vor allem auf internationaler Ebene haben aber laut Mum und Türk die „Proponenten einer Kapitaldeckung keine Lehren gezogen“. Weiter forciert zum Beispiel namentlich die OECD Modelle, bei welchen (private) Pensionsbeiträge auf dem Kapitalmarkt angelegt werden.

Keine Lehren gezogen

Besonders bemerkenswert erscheint, dass die OECD in der zitierten Studie („Pensions at a Glance“) zwar selbst einräumt, dass die Krise „umso größere Auswirkungen auf die Pensionen hat, je stärker auf Kapitaldeckung gesetzt wurde“. Gleichzeitig meint die Organisation an anderer Stelle jedoch, dass zumindest an Mischsystemen (Mehrsäulenmodellen) festzuhalten ist, um allgemeine Risiken besser zu verteilen, also – angeblich – zu mindern. Mum und Türk widersprechen vor allem dieser Annahme vehement: Jede Aufweichung des vergleichsweise stabilen Umlagesystems, also auch die nur teilweise Verlagerung auf die Märkte, erhöh(t)e die Instabilität. Umgekehrt begünstige die Bindung von Sicherungssystemen an die Dynamik der Märkte sogar allgemein die Bildung von Finanzblasen bzw. verstärke sie die Wirkung von Krisen.

Mehr Risiko, mehr Entsolidarisierung?

Aber auch aus der unmittelbaren Perspektive durchschnittlicher BeitragszahlerInnen/PensionsbezieherInnen sind neben dem höheren Risiko noch weitere Aspekte zu beachten. So ist die Annahme höherer Renditen der kapitalgedeckten gegenüber (in der Regel staatlichen) Umlageverfahren empirisch nicht haltbar. In Österreich beispielsweise lag der Ertrag bei den (privaten) Pensionskassen zwischen 2001 und 2011 im Schnitt bei 2,1 Prozent pro Jahr. Die durchschnittliche Aufwertungszahl der Sozialversicherung befand sich in diesem Zeitraum allerdings bei 2,4 Prozent p. a., also über diesem Wert! Ebenso ist nicht jede/r in der Position, sich überhaupt eine zweite oder dritte Säule in der Pensionsvorsorge leisten zu dürfen bzw. zu können. Betriebliche Pensionskassen („zweite Säule“), welche durch Arbeitgeberbeiträge gespeist werden, betreffen nur bestimmte (Bruch-)Teile der Beschäftigten. So erhalten von 100 PensionistInnen nicht einmal vier Personen eine Zusatzpension aus der Pensionskasse. Gleichzeitig entfallen hier auf die obersten acht Prozent 49 Prozent des eingesetzten Kapitals. Private Zusatzpensionen müssen demgegenüber ohnehin von den ArbeitnehmerInnen selbst finanziert werden. Die „dritte Säule“ steht daher real nur Menschen offen, die über ein entsprechendes monatliches Einkommen verfügen.
„Denn eines ist sicher: Für das Ziel, Ihren Lebensstandard im Alter zu erhalten, wird die staatliche Pension allein in Zukunft nicht mehr ausreichen.“ Trotz aller Erschütterungen der Pensionsfonds bewerben die großen privaten Anbieter noch immer derart ihre Produkte und profitieren weiter von real existierenden Ängsten in der Gesellschaft. Wenngleich die oft geäußerten Befürchtungen, „gar keine Pension mehr zu bekommen“, sicher übertrieben sind, weisen schließlich gerade gewerkschaftsnahe Expertinnen und Experten auf sinkende Lohnersatzraten hin. Daher machen sich auch die Interessenvertretungen zu Recht nicht nur Gedanken über die Risiken der Privatisierung, sondern auch über finanzielle Lücken im staatlichen Umlagesystem. Natürlich ist dieses – wie jedes andere Pensionssystem – von der Frage der Demografie/Alterung bzw. eigentlich der Erwerbsquote abhängig.

Früher in Pension, weniger Geld

Man solle in diesem Zusammenhang aber nicht so tun, als ob frühe Pensionsantritte einfach auf einer freien Entscheidung der/des Einzelnen beruhen, meint David Mum auf Nachfrage. Drei Jahre früher in Pension zu gehen könne inzwischen immerhin bis zu 23 Prozent weniger Geld bedeuten. Ebenso grotesk seien Behauptungen, dass sich „länger Arbeiten“ nicht auf den Arbeitsmarkt auswirke. Natürlich habe das Sinken des faktischen Pensionsantrittsalters in den 1970er- und 1980er-Jahren den Arbeitsmarkt entlastet; es reiche ein Blick über unsere Grenzen, um das zu erkennen.
Letztlich geht es demnach auch um die gesellschaftspolitische Entscheidung, welcher Anteil am BIP insgesamt für Transferleistungen zur Verfügung gestellt wird. Ein Umlageverfahren verteilt nämlich nicht nur gerechter als private Systeme, sondern kann ebenfalls auf mehreren Säulen ruhen.
Soziale Sicherheit darf etwas kosten
In Österreich ist ein Bundesbeitrag aus Steuermitteln ein fester Systembestandteil. Genau hier setzen auch Mum und Türk an. Der Bundesbeitrag müsse nicht als Zuschuss zu einem defizitären System, sondern als bewusste Verbreiterung der Finanzierungsbasis betrachtet werden. Gerade in der Pensionsversicherung der Unselbstständigen bewege sich dieser zudem auf besonders niedrigem Niveau. Umgekehrt haben Gewerkschaften und AK gerade zum Thema Vermögenssteuern eine Reihe von Vorschlägen eingebracht, deren Erlöse u. a. für einen höheren Bundesbeitrag verwendet werden könnten. Die Sicherung der Pensionen beruht demnach nicht nur auf einem Generationenvertrag oder der Erwerbsquote. Sie ist eben auch eine Verteilungsfrage.


1 Vgl.: AK-Tirol/VKI: Studie zur privaten Pensionsvorsorge, 02/2012.tinyurl.com/czraycp
2 David Mum, Erik Türk: Altersicherung und Finanzmarktturbulenzen. Erscheint im Herbst 2012.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor johnevers@gmx.net oder die Redaktion aw@oegb.at

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