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Roter Ahorn Die UreinwohnerInnen der Provinz leiden wie in den anderen Provinzen Kanadas unter "hohen Drop-out-Raten in der Schule, hohem Drogenmissbrauch, hoher Arbeitslosigkeit, und sie leben in Regionen, wo es keine leichten Lösungen für diese Probleme gibt".

Roter Ahorn

Internationales

Bei den kanadischen Parlamentswahlen 2011 erlebte die Sozialdemokratie ihren größten Erfolg in der Geschichte des Landes.

Selten  findet man innerhalb der sozialdemokratischen Bewegung so viele OptimistInnen wie in Kanada. Die Genossinnen und Genossen auf der anderen Seite des Teichs haben auch allen Grund, euphorisch zu sein: Zum einen war kaum ein westliches Land von der Finanzkrise so wenig betroffen wie Kanada, zum anderen erlebte die kanadische Sozialdemokratie bei den Parlamentswahlen von 2011 ihren größten Erfolg in der Geschichte des Landes: Mit 30,6 Prozent der Stimmen (ein Plus von 12,5 Prozent gegenüber den vorigen Wahlen) wurden sie zur „official opposition“ im kanadischen House of Commons. Und das, obwohl sie einen sehr prononcierten und kompromisslosen antirassistischen und ökologischen Kurs fuhr, vor dem sich viele europäische SozialdemokratInnen leider aus Angst vor den WählerInnen immer noch fürchten.

Erfolge in den Provinzen

Ähnlich erfolgreich die Situation in den Provinzen: Im ostkanadischen Nova Scotia erreichte die NDP (New Democratic Party) unter ihrem Vorsitzenden Darrell Dexter beispielsweise gar 45,2 Prozent, ebenfalls ein neuer Rekordwert. Damit erhielten die SozialdemokratInnen zum ersten Mal in Ostkanada eine Mehrheit und konnten so ab 2009 die Regierung stellen. Dem Wahlsieg lag eine schrittweise Ausdehnung der traditionell eher städtischen WählerInnenbasis auf die besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffenen ländlichen Regionen zugrunde. Der konservativen Vorgängerregierung war es nicht gelungen, der massiven Landflucht Einhalt zu gebieten. Dörfer, in denen jedes fünfte Haus leer steht oder verfallen ist, sind keine Seltenheit mehr. Vor allem junge Leute im Erwerbsalter ziehen in die Hauptstadt oder überhaupt in eine andere Provinz. Premier Dexter ist ein Arbeiterkind und war das erste Mitglied seiner Familie, das eine Universität von innen sah. Er scheint den BürgerInnen seiner Provinz das Gefühl zu vermitteln, ihre Sorgen zu verstehen.
Zu den ersten Reformen der SozialdemokratInnen gehörten die Erhöhung des Budgets für Frauenhäuser, ein Schuldendeckel für StudentInnen und die Einrichtung von acht neuen „emergency rooms“ (ER). Die Gesundheitsversorgung in abgelegenen ländlichen Regionen war immer schwieriger geworden und die Entfernungen zur nächsten medizinischen Versorgungseinrichtung zum Teil lebensbedrohlich groß. Deshalb wurden in acht besonders betroffenen Gebieten ERs eingerichtet. Auch wenn dort nicht rund um die Uhr ein Arzt/eine Ärztin zur Verfügung steht, so ist diese/r zumindest telefonisch jederzeit für den diensthabenden Sanitäter bzw. die Sanitäterin erreichbar.

Gewerkschaftsrechte gestärkt

Auch die Gewerkschaftsrechte wurden gegen den Widerstand beider Oppositionsparteien gestärkt. Wenn die Mehrheit der ArbeitnehmerInnen in einem Betrieb fortan für die Einrichtung gewerkschaftlicher Vertretung im Betrieb votiert, aber keine Einigung mit dem/der ArbeitgeberIn erzielen kann, so wird verpflichtend ein staatlicher Vermittler bzw. eine Vermittlerin eingesetzt.
In Ottawa regiert unterdessen nach wie vor eine konservative Regierung unter Premierminister Stephen Harper. Rick Williams, Regierungsmitglied in Nova Scotia, den ich in seinem Büro in Downtown Halifax treffe, sieht darin einen fast ironischen Widerspruch: „Die kanadische Öffentlichkeit ist im Schnitt ein bisschen links von der Mitte eingestellt!“ Die KanadierInnen würden eine starke Regierung wollen, sowie Unabhängigkeit gegenüber den USA, größere Gleichheit und eine ausreichende Bereitstellung von öffentlichen Leistungen. Dem habe aber das relative Mehrheitswahlrecht einen Strich durch die Rechnung gemacht. 60 Prozent der KanadierInnen haben gegen die jetzige Regierung gestimmt, dennoch hält diese mit 39,6 Prozent der Stimmen eine absolute Mehrheit.
Das soll sich laut Williams bald ändern: „Jetzt nimmt die NDP als nationale Alternative Gestalt an!“ Williams streckt mir seine beiden Hände entgegen, eine steht für die Konservative Partei und die andere für die Liberalen. Er legt sie teilweise übereinander. Drei Finger jeder Hand überlappen sich, womit er die große Übereinstimmung der beiden traditionellen Parteien in vielen Belangen darstellen möchte. Da käme jetzt die NDP ins Spiel.

Konservative in Bedrängnis

Die Konservativen scheinen tatsächlich in Bedrängnis zu geraten, sind doch bereits acht der zehn kanadischen Provinzen in oppositioneller Hand. In einem Land mit derart stark ausgebautem Föderalismus wie in Kanada ist das ein sehr ernstzunehmender Faktor.
Einen großen Konfliktpunkt mit Ottawa stellt der Bereich der Pensionen dar. Die von der Harper-Regierung geplante Anhebung des Regelpensionsalters von 65 auf 67 Jahre hätte problematische Auswirkungen auf Nova Scotia. Das Argument der Bundesregierung, dass Personen die Möglichkeit bekommen sollten, länger in ihrem Job zu verbleiben, wenn sie ihn gerne ausüben und fit genug dafür sind, läuft im Falle Nova Scotias völlig ins Leere, legt Williams dar. „Ein hoher Prozentsatz unserer ArbeitnehmerInnen sind Working Poor. … Sie sind weniger gesund, ihre Jobs sind weniger erfüllend, die Bezahlung ist schlecht.“ Sie wollen so bald wie möglich in den Ruhestand. „Das heißt, sie werden ein bis zwei Jahre ohne Einkommen sein und beantragen Sozialhilfe.“

Sozialprogramme in Planung

Unabhängig davon, wie der Konflikt um die Pensionen ausgeht, plant die Provinzregierung in Halifax bereits die nächsten Sozialprogramme: Uni-Stipendien sollen erhöht, Leistungen für Behinderte ausgeweitet und die finanziellen Unterstützungen für die Ärmsten angehoben werden. Und das, obwohl gut 40 Prozent des Budgets der Provinz aus Bundeszuschüssen kommen.
Zu den Ärmsten gehören auch die „First Nations“, die UreinwohnerInnen der Provinz. Wie in den anderen Provinzen Kanadas leiden sie unter „hohen Drop-out-Raten in der Schule, hohem Drogenmissbrauch, hoher Arbeitslosigkeit, und sie leben in Regionen, wo es keine leichten Lösungen für diese Probleme gibt“. Rick Williams war allerdings fast 40 Jahre lang in der regionalen Entwicklung tätig und kommt nach seiner jahrzehntelangen Arbeit zu einem leicht optimistischen Schluss: „Trotzdem ist die Situation heute besser als sie je war. Wir sind heute in einer Situation schwindenden Arbeitskräfteangebotes. Die Geburtenrate der First Nations ist aber drei- bis viermal höher als die der anderen Kanadier. Das heißt, es gibt mehr und mehr junge Aborigines, die in den Arbeitsmarkt eintreten. Wir haben viele Unternehmen, die jetzt zu uns kommen und sagen, wir benötigen Arbeitskräfte, wir würden auch First Nations nehmen, sofern ihr uns bei deren Ausbildung helft. Und die Regierung von Nova Scotia tut genau das!“
Was würde eigentlich passieren, wenn die kanadischen SozialdemokratInnen nicht nur in den Provinzen Erfolge feiern könnten, sondern tatsächlich die nächsten nationalen Wahlen zum Bundesparlament gewinnen würden? Wären europäische „Erfolgs“modelle à la Tony Blair und Gerhard Schröder für Kanada nachahmenswert? Wohl kaum, winkt Rick Williams ab. „Ich glaube, wir wissen über die Limitationen dieser Politik heute alle Bescheid!“ Das wäre zu hoffen

Info&News
Kanada ist ein in zehn Provinzen und drei Territorien gegliederter Bundesstaat. Diese subnationalen Einheiten können in geografische Regionen gegliedert werden. Westkanada besteht aus British Columbia und den drei Prärieprovinzen Alberta, Saskatchewan und Manitoba. Zentralkanada umfasst die zwei bevölkerungsreichsten Provinzen Ontario und Québec. Als Seeprovinzen werden New Brunswick, Prince Edward Island und Nova Scotia bezeichnet; zusammen mit Neufundland und Labrador bilden sie die Atlantischen Provinzen. Die drei Territorien Yukon, Nordwest-Territorien und Nunavut umfassen sämtliche Gebiete nördlich des 60. Breitengrades und westlich der Hudson Bay.
Die Provinzen verfügen über einen hohen Grad an Autonomie, wogegen in den Territorien die Bundesregierung zahlreiche Verwaltungsaufgaben selbst übernimmt. Alle Provinzen und Territorien besitzen ein Einkammerparlament und einen Premierminister als Regierungschef. Der kanadische Monarch wird in allen Provinzen durch einen Vizegouverneur vertreten.

Mehr Infos:
de.wikipedia.org/wiki/Kanada

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor martin.bolkovac@gpa-djp.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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