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Katharina Klee Katharina Klee, Chefredakteurin

Standpunkt | Die Qual der Wahl

Meinung

Endlich wahlberechtigt! Meine erste Wahl war die Tiroler Landtagswahl 1984. Wählen hatte etwas Feierliches bei uns daheim, erinnere ich mich. Wir zogen uns „schön an“ und gaben unsere Stimme ab. Mein Vater nahm die damals bestehende Wahlpflicht ernst und ich war froh, endlich mitreden zu können, wenn es um meine Welt, meine Zukunft ging. Zu Hause diskutierten wir kontroversiell, aber auch sehr fair über Politik. Dass meine Stimme damals „nichts“ bewirkt hat, enttäuschte mich ein wenig.

Recht oder Pflicht?

In den folgenden Jahren waren Wahlsonntage für mich ein willkommener Grund aus Wien nach Hause zu fahren. Ich wählte vor allem gegen Haider und die FPÖ. Später, als Journalistin, waren Wahltage vor allem Großkampftage mit Live-Einstiegen, Hochrechnungen und Zusammenfassungen. Da „vergaß“  ich schon mal meine Stimme abzugeben, weil der Sonntag schön war oder verregnet, der Abend zu lang, das mit der Wahlkarte zu kompliziert etc. Heute schäme ich mich ein wenig dafür, dass ich einige Male auf ein Recht verzichtet habe, für das seit Jahrhunderten Männer und Frauen kämpfen und sterben. Bis heute. Allein das verwandelt für mich das Wahlrecht in eine Wahlpflicht.
Verwunderlich erscheint mir, dass trotz der in den vergangenen Jahren stetig sinkenden Wahlbeteiligung diverse Parteien und Gruppierungen nach mehr direkter Demokratie schreien. Das Internet soll die Demokratie gar verflüssigen, meinen die Piraten, und auch Onkel Franks Team kann sich einen Wahlentscheid per Mausklick vorstellen. Mit einer Online-Umfrage will das Stronach-Institut erkunden, wie die Demokratie 2.0 bei den WählerInnen ankommt. Da liest man von Werkzeugen für „direktere Mitarbeit und Mitbestimmung“ – und das von einem, der sich immer gegen Betriebsräte in seinen Unternehmen gewehrt hat. Dabei beginnen Mitarbeit und Mitbestimmung in der Schule und im Betrieb.
Die viel beschworene Internet-Demokratie mit E-Voting und Basisnähe würde allerdings einen beunruhigenden Trend nur verstärken. Immer öfter sind es die Ressourcen-Starken, die Wohlhabenden und Gebildeten, die zu den Wahlen gehen und demokratische Werkzeuge nützen. Einkommensschwächere und bildungsfernere Schichten hingegen gehen oft nicht einmal mehr zur Wahl, frustriert haben sie resigniert und fühlen sich von „denen da oben“ verkauft. Daran würde auch die „liquid democracy“ nichts ändern. Wo E-Voting bisher getestet und eingeführt wurde, brachte es keinen nennenswerten Zuwachs in der Wahlbeteiligung.

Ausgenommen alle andere...

Kein Wunder in Zeiten, für die der Politikwissenschafter Colin Crouch das Schlagwort von der Postdemokratie geprägt hat, „einem Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden [...], in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem reinen Spektakel verkommt.“
Kommt Ihnen das Szenario bekannt vor? Überlassen wir unsere Demokratie, getragen vom allgemeinen, gleichen Wahlrecht, nicht dem von Crouch diagnostizierten stetig wachsenden „Einfluss privilegierter Eliten“, sondern kämpfen wir für ihr Überleben, indem wir sie leben. Geben wir dieses kostbare Gut unseren Kindern weiter, ermuntern wir sie teilzuhaben, schon in der Schule als KlassensprecherInnen, im Jugendvertrauensrat und im Betriebsrat. Unterschreiben wir für unsere Anliegen, gehen wir dafür auf die Straße und verzichten wir nicht auf unser Wahlrecht. Die Demokratie ist es wert, denn wie meinte schon Churchill: „Sie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.“

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