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Griechenland am Abgrund Die Solidarität mit jenen Kräften in Griechenland, die dieser Politik den Kampf angesagt haben, ist also das Gebot der Stunde!

Griechenland am Abgrund

Internationales

Die Spar- und Kürzungspolitik hat die strauchelnde Ökonomie in eine anhaltende Rezession gestürzt und große Teile der Bevölkerung in die Armut getrieben.

Im Zuge der Wirtschaftskrise 2008/2009 geriet Griechenland in massive Finanznöte. Nachdem die Zinsen für griechische Staatsanleihen auf den Finanzmärkten massiv nach oben getrieben wurden, drohte die Staatspleite.
Um die Destabilisierung der gesamten Eurozone zu verhindern, traten 2010 EZB, EU-Kommission und IWF, die berüchtigte Troika, auf den Plan und schnürten ein „Rettungspaket“ im Umfang von 110 Mrd. Euro. Die Auszahlung der Gelder war jedoch an Maßnahmen geknüpft, die einen massiven Eingriff in das soziale Gefüge Griechenlands mit sich brachten. Löhne, Gehälter und Pensionen wurden radikal gekürzt, tausende Staatsbedienstete entlassen, Arbeitsrechte empfindlich eingeschränkt, Massensteuern erhöht und sozialstaatliche Leistungen radikal zurückgefahren.

„Faule Griechinnen und Griechen“

Ganz dem neoliberalen Dogma folgend, werden die Ursachen für die Krise und die Staatsverschuldung in angeblich aufgeblähten Staatsapparaten, zu hohen Pensionen und Sozialleistungen sowie der mangelnden Arbeitsmoral der griechischen Bevölkerung verortet. Die jahrzehntelange Umverteilung von unten nach oben, die Entkoppelung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft und die spekulativen Machenschaften der Ratingagenturen werden dabei meist verschwiegen. Das Bild von „den faulen Griechinnen und Griechen“ wird auch hierzulande häufig bedient. Mit der Realität hat dies jedoch wenig zu tun. Im Jahr 2010 betrug die durchschnittliche Jahresarbeitszeit in Griechenland 2.119 Stunden, in Österreich 1.621 Stunden und in Deutschland 1.390 Stunden.
Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter liegt in Griechenland bei Männern bei 61,9 Jahren (in Österreich 58,9) und bei Frauen bei 59,6 Jahren (hierzulande 57,5). Die Durchschnittspension in Griechenland beträgt 617 Euro, mehr als zwei Drittel aller PensionistInnen erhalten jedoch eine Pension von weniger als 600 Euro. Bei einem annähernd gleichen Preisniveau wie in Österreich stellt sich die Frage, wer hier über seine Verhältnisse gelebt haben soll.

Umdeutung der Finanzkrise

Die Herangehensweise, die Ursachen für die Krise „den kleinen Leuten“ umzuhängen, geht einher mit der Umdeutung der Wirtschafts- und Finanzkrise in eine Staatsschuldenkrise, welche auch die Rechtfertigung für die massiven Sparpakete in Griechenland darstellt. Diese Sparpolitik hat jedoch weder die griechische Schuldenquote reduziert, noch die angespannte wirtschaftliche Situation in Griechenland entschärft.
Vielmehr wurde eine Abwärtsspirale aus negativem Wirtschaftswachstum, sinkenden Staatseinnahmen, mangelnder Kaufkraft und fehlenden Investitionen in Gang gesetzt. Die wirtschaftliche Lage des traditionell strukturschwachen Landes wurde durch die Sparpakete massiv verschlechtert. Das BIP verzeichnet seit 2008 ein Minus von 20 Prozent. Allein im Jahr 2011 ist der Produktionsindex um 13,3 Prozent gesunken und die Anzahl der Insolvenzen um 27 Prozent angestiegen. Die Auswirkungen dieses ökonomischen Niedergangs sind längst bei den Menschen angekommen und haben inzwischen Tausende Existenzen vernichtet.

54 Prozent Jugendarbeitslosigkeit

25 Prozent Arbeitslosigkeit meldete das griechische Statistikinstitut ELSTAT im Oktober 2012. Allein im vorigen Jahr haben 300.000 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Noch dramatischer ist die Situation für junge ArbeitnehmerInnen. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt bereits 54 Prozent.
Im Zuge der Krisenpolitik kam es auch zu einer massiven Beschneidung der Rechte von ArbeitnehmerInnen. Die Mindestlöhne wurden auf 585 Euro (bzw. 525 Euro für junge Beschäftigte) gekürzt und das Arbeitslosengeld wurde auf 322 Euro reduziert. Zudem wurden de facto alle Kollektivverträge per Gesetz außer Kraft gesetzt.
Hinzu kommt ein Kahlschlag im Arbeitsrecht, der die Beschäftigten vollkommen entrechtet hat. Der Kündigungsschutz wurde massiv aufgeweicht, Abfertigungen wurden empfindlich gekürzt und Arbeitszeiten vollkommen flexibilisiert. Auch der Handlungsspielraum der griechischen Gewerkschaften wurde stark eingeschränkt und die Installierung von „gelben“ Interessenvertretungen per Gesetz ermöglicht.
Armut und Hunger sind mittlerweile keine Ausnahmeerscheinungen. Die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, die hohe Arbeitslosigkeit und der Abbau von sozialstaatlichen Strukturen hat Armut in Griechenland wieder zu einem Massenphänomen gemacht. Drei Millionen Menschen, also fast ein Viertel der Bevölkerung, gelten als „arm“, über 40 Prozent sind nach Angaben der EU-Kommission von Armut gefährdet.

Hilflose Hilfseinrichtungen

Die Städte wirken inzwischen zweigeteilt. Während im Athener Touristenviertel Plaka üppige Souflakiplatten serviert werden, suchen nur wenige Straßen weiter Menschen im Müll nach Essen. 25.000 Menschen leben in Athen mittlerweile auf der Straße. Meist haben sie in kleinen Gruppen ihre Lager aufgeschlagen. Matratzen, Decken, Polster und Taschen mit den Resten ihres Hausrates zeugen noch von jenem Leben, das sie bis vor Kurzem führten. Hilfseinrichtungen können längst nicht mehr allen Betroffenen helfen.
Die Streichung aller Subventionen für NGOs im August 2012 hat die Lage noch zusätzlich verschärft. Allein die kirchlichen Suppenküchen versorgen täglich 250.000 Menschen, doch auch hier sind die Kapazitäten mittlerweile erschöpft – immer öfter müs-sen Hungrige weggeschickt werden. Hunger stellt in Griechenland kein Randphänomen mehr dar, sondern hat breite Teile der Bevölkerung erfasst. Besonders betroffen sind oftmals Kinder. Immer mehr Eltern bringen ihre Kinder in Heime, weil sie nicht mehr genug Geld haben, um sie zu ernähren. Auch das Gesundheitssystem ist kollabiert. Medikamente sind nur mehr gegen Barzahlung erhältlich und bereits ein Drittel der Bevölkerung ist nicht mehr krankenversichert.
Doch damit nicht genug. Derzeit wird in Athen gerade das nächste Sparpaket vorbereitet. Einmal mehr werden breite Teile der Bevölkerung zur Kasse gebeten. Bereits mehrmals in diesem Jahr haben die beiden Gewerkschaftsdachverbände ADEDY und GSEE zum Generalstreik aufgerufen. Beinahe täglich finden Protestaktionen und Demonstrationen statt.
Die Bevölkerung ist wütend. Wütend auf die Politik, auf die beiden ehemaligen Großparteien PASOK und ND und auf die Politik der EU. Die Tatsache, dass die Reichen und Wohlhabenden nach wie vor von der Sparpolitik geschont werden, heizt diese Wut zusätzlich an. Die Gewinne der Reeder, der größten Kapitalfraktion in Griechenland, bleiben nach wie vor steuerfrei. Auch die seit Ende der 1990er-Jahre von 40 Prozent auf 25 Prozent gesenkten Unternehmenssteuersätze wurden bisher nicht angerührt.

Gefahr von rechts

Angesichts der sozialen Verelendung breiter Bevölkerungsteile wundert es nicht, dass rechtsextreme und faschistische Gruppierungen an Zulauf gewinnen. Die neonazistische Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) hat bei den Parlamentswahlen im Juni acht Prozent erhalten. Mit einer Mischung aus patriarchaler „Wohltätigkeit“ und Terror kontrolliert Chrysi Avgi in den Städten inzwischen ganze Viertel. Brutale Überfälle und Morde an MigrantInnen auf offener Straße sind keine Einzelfälle mehr.

Solidarität ist Gebot der Stunde

In den nächsten Wochen und Monaten entscheidet sich nicht nur, ob Griechenland weiterhin in der Eurozone verbleiben wird, sondern auch, ob eine neue Ära der Sozial- und Wirtschaftspolitik in Europa eingeläutet wird.
Es wird sich zeigen, ob sich jene Kräfte, die die Wirtschaftskrise und deren Auswirkungen zu verantworten haben, einmal mehr mit ihrem neoliberalen Programm durchsetzen können. Die Solidarität mit jenen Kräften in Griechenland, die dieser Politik den Kampf angesagt haben, ist also das Gebot der Stunde!

Das Positionspapier ist im Volltext unter www.labournet.de/internationales/gr beziehbar.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin kathrin.niedermoser@univie.ac.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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