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Finanztransaktionssteuer - der Weg ist frei Der stark wachsende Finanzsektor entfernte sich immer weiter von der Realwirtschaft. Im Jahr 1995 waren die weltweiten Finanztransaktionen rund 25 Mal höher als das weltweite BIP, 2007 bereits 70 Mal höher.

Finanztransaktionssteuer - der Weg ist frei

Schwerpunkt

Elf EU-Staaten sind sich einig. Jetzt ist rasches Handeln angesagt.

Der Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 führte die Europä-ische Union in ihre wohl größte Krise. Heute liegt die Wirtschaftsleistung in der Eurozone noch immer unter dem Niveau von 2007. Die Arbeitslosenquote betrug im Juli 2012 in der gesamten EU 10,4 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit nimmt mit 22,6 Prozent bereits bedrohliche Ausmaße an.1 Bankenrettungspakete und Konjunkturbelebungsmaßnahmen führten zu einem Anstieg der Staatsschulden aller EU-Länder von 59 Prozent des BIP im Jahr 2007 auf derzeit 83 Prozent des BIP.2
Hauptverantwortlich für den Ausbruch der Finanzkrise, die schließlich zur gegenwärtigen Wirtschafts- und Schuldenkrise führte, war die immer stärkere Ungleichverteilung der Vermögen in Verbindung mit der Deregulierung der Finanzmärkte, die hochriskante Spekulationen mit immer komplexer werdenden Finanzproduk-ten ermöglichte. Der stark wachsende Finanzsektor entfernte sich zunehmend weiter von der Realwirtschaft. Im Jahr 1995 waren die weltweiten Finanztransaktionen rund 25 Mal höher als das weltweite BIP, 2007 bereits 70 Mal höher.3

Konzept Finanztransaktionssteuer

Der Ökonom James Tobin hat bereits 1972 eine Steuer auf Devisentransaktionen vorgeschlagen, um kurzfristige Spekulationen auf Währungsschwankungen einzubremsen, damit die Wechselkurse der Währungen den tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten entsprechen.
Die aktuell diskutierte Finanztransaktionssteuer, die die Umsätze aus Finanzprodukten wie Aktien, Anleihen, Devisen, Derivaten und anderen strukturierten Produkten sowie den Devisenhandel mit einem geringen Satz besteuern soll, reicht allerdings weiter. Im Wesentlichen geht es darum, zwei Ziele zu erreichen. Zum einen sollen Spekulationen verteuert werden. Wegen des geringen Steuersatzes werden vor allem extrem kurzfristige, für die Realwirtschaft schädliche Spekulationen unattraktiver, während es zu keiner entscheidenden Verteuerung bei langfristigen, realwirtschaftlich sinnvollen Investitionen kommt.
Zum anderen beseitigt die Finanztransaktionssteuer die – insbesondere aufgrund der generellen Umsatzsteuerbefreiung für Finanzdienstleistungen – günstige steuerliche Situation des Finanzsektors und bringt beträchtliche Steuereinnahmen, die die Staaten aufgrund der derzeitigen Krise dringend benötigen.

Aktuelle Entwicklung in der EU

Das Europäische Parlament hat sich letzten Endes im Jahr 2011 mit einer deutlichen Mehrheit für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ausgesprochen. Das hat auch zu einem Umdenken in der Europäischen Kommission geführt, die einer EU-weiten Finanztransaktionssteuer lange Zeit ablehnend gegenüberstand. Schließlich legte die Kommission am 28. September 2011 einen Richtlinienentwurf4 zur Einführung einer EU-weiten Finanztransaktionsteuer vor. Dieser sieht vor, dass die Steuer auf alle zwischen Finanzinstituten durchgeführten Transaktionen mit Finanzinstrumenten erhoben wird, wenn zumindest eines der beteiligten Finanzinstitute den Sitz in der Europäischen Union hat. Der Steuersatz soll beim Handel mit Anleihen und Aktien 0,1 Prozent und für den Handel mit Derivativprodukten 0,01 Prozent betragen.

Einige Kritikpunkte

Der Richtlinienvorschlag ist grundsätzlich zu begrüßen. Trotzdem bleiben einige schwerwiegende Kritikpunkte.
Die Differenzierung bei den Steuersätzen, die gerade jene Transaktionen begünstigt, die für die Realwirtschaft schädlich sind, ist genauso unverständlich wie die Tatsache, dass in Drittstaaten ansässige Tochtergesellschaften von in der EU ansässigen Finanzinstituten nicht unter den Anwendungsbereich fallen sollen, oder dass nur Transaktionen zwischen Finanzinstituten der Steuer unterliegen sollen. Diese Punkte können aber ohne großen Aufwand geändert werden Die GegnerInnen der Finanztransaktionssteuer haben immer wieder gebetsmühlenartig angeführt, dass ein Alleingang der EU zu Wettbewerbsverzerrungen und Abwanderungen führt und wachstums- sowie beschäftigungsfeindlich ist. Auch die EU-Kommission ist in ihrem Richtlinienentwurf noch von geringen negativen Wirkungen auf das Wirtschaftswachstum ausgegangen.
Diese Bedenken konnten in einer aktuellen Studie von Griffith-Jones und Persaud jedoch eindrucksvoll widerlegt werden, weil hier bei der Einführung einer Finanztransaktionssteuer sogar von positiven Wachstumseffekten in Höhe von 0,25 Prozent des BIP ausgegangen wird.5

Ablehnung durch Großbritannien

Steuerliche Vorschriften für die EU können nur einstimmig beschlossen werden. Insbesondere nach der Ablehnung durch Großbritannien war rasch klar, dass eine Einigung aller 27 EU-Staaten ausgeschlossen ist.
Deutschland und Frankreich, aber auch Österreich, haben sich daher stark gemacht, im Wege der sogenannten „verstärkten Zusammenarbeit“ eine gemeinsame Vorgehensweise für jene EU-Staaten zu finden, die grundsätzlich an der Einführung der Finanztransaktionssteuer interessiert sind. Für die Umsetzung im Wege der verstärkten Zusammenarbeit ist erforderlich, dass mindestens neun Mitgliedsstaaten bei der Kommission einen entsprechenden Antrag auf Genehmigung einreichen. Diesen muss die Kommission dem Rat zur Entscheidung vorlegen. Der Rat entscheidet darüber mit qualifizierter Mehrheit und schließlich ist auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich.
Beim EU-Finanzministerrat am 9. Oktober 2012 kam es schließlich zu einer Einigung und zur Einleitung einer verstärkten Zusammenarbeit von derzeit zumindest elf6 EU-Staaten. Es ist davon auszugehen, dass die entsprechenden Beschlüsse auch tatsächlich umgesetzt werden. Damit ist der Weg endgültig frei, für diese elf Staaten eine gemeinsame Finanztransaktionssteuer einzuführen. Rasches Handeln ist angesagt, und wenn der politische Wille vorhanden ist, könnten bis Ende 2012 alle offenen Punkte hinsichtlich der Ausgestaltung geklärt und alle notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um mit 1. Jänner 2014 die Finanztransaktionssteuer in diesen elf Staaten einzuführen.

Staatshaushalte entlasten

Die Kommission geht bei ihrem Modell von jährlichen Einnahmen von 57 Mrd. Euro aus. Der österreichische Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister, einer der führenden Experten auf diesem Gebiet, kommt bei seinem Modell für die gesamte EU auf Steuereinnahmen in Höhe von 250 Mrd. Euro jährlich.7 Trotz dieser Bandbreite ist unbestritten, dass die Finanztransaktionssteuer – bei entsprechender Ausgestaltung – für beträchtliche Einnahmen sorgt. Mit diesen können Maßnahmen gesetzt werden, um Wachstums- und Beschäftigungsimpulse zu geben und die durch die Schuldenkrise angespannten Staatshaushalte zu entlasten.

Wichtige Impulse für Europa

Die Finanztransaktionssteuer sorgt für mehr Verteilungsgerechtigkeit und dafür, dass der für den Ausbruch der Krise und ihre weitreichenden Folgen hauptverantwortliche Finanzsektor, der von den Bankenhilfspaketen profitiert hat, einen angemessen Beitrag zur Krisenbewältigung leistet. Wenn die Umsetzung in den elf Staaten ein Erfolg wird, sollte das auch wesentliche Impulse für eine EU-weite Finanztransaktionssteuer liefern.

1 Eurostat 2012: Pressemitteilung 124/2012 vom 31. August 2012.
2 Quelle: EU-Kommission (AMECO Datenbank, Juni 2012).
3 IMF: Taxing Financial Transactions: Issues and Evidence, 2011.
4 KOM (2011) 594: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG vom 28. September 2011.
5 Griffith-Jones/Persaud: Financial Transaction Taxes, 2012.
6 Deutschland, Frankreich, Belgien, Griechenland, Portugal, Slowenien, Österreich, Estland, Spanien, Italien und die Slowakei haben ein gemeinsames Vorgehen angekündigt.
7 Schulmeister: Implementation of a General Financial Transactions Tax, 2011.

Studie von Stephany Griffith-Jones und Avinash Persaud: Financial Transaction Taxes: tinyurl.com/ccjdv9d

Studie von Stephan Schulmeister: Implementation of a General Financial Transactions Tax: tinyurl.com/ce3jqnc

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