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Der echte Pfusch am Bau Wird über eine solche Firma ein Konkursverfahren eingeleitet, ist es meist unmöglich, offene Gläubigerforderungen auszugleichen, da diese Unternehmen über keinen Eigenwert verfügen, sondern aus Privatwohnungen betrieben werden.

Der echte Pfusch am Bau

Schwerpunkt

Durch betrügerisches Vorgehen von Scheinfirmen fallen ArbeitnehmerInnen, Sozialversicherungsanstalten und Staat um große Beträge um.

Sozialbetrug ist kein Kavaliersdelikt! Sozialbetrug ist ein verbrecherischer Akt, der dem Staat, den Sozialversicherungen, den ArbeitnehmerInnen und der gesamten Volkswirtschaft einen erheblichen Schaden zufügt. „Bis zu einer Milliarde Euro kostet Sozialbetrug jährlich“, erklärte Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) im Juni und betonte gleichzeitig, dass der Sozialbetrug in keiner Form tolerierbar sei.
Um welche Summe es sich tatsächlich handelt „kann man nur schätzen“, so Walter Gagawczuk, Jurist in der AK Wien, Abteilung Sozialpolitik. Aber der Schaden ist enorm. Ein Sozialbe-trug liegt vor, „wenn abgabenpflichtige Selbstständige oder ArbeitgeberInnen keine oder zu geringe Sozialversicherungsbeiträge abführen, (…) falsche Unterlagen über die Art und Dauer eines Arbeitsverhältnisse vorlegen oder Scheinfirmen gründen, die sie auflösen, sobald Beitragsforderungen der Sozialbehörden eintreffen.“

Organisierte Kriminalität

Insbesondere im Bausektor tritt der Sozialbetrug in organisierter Form auf. „Die Konstruktion im Baugewerbe, dass Aufträge nicht oder nur zum Teil vom Auftragnehmer durchgeführt werden, sondern Arbeit an einen Subauftragnehmer und einen Sub-Subauftragnehmer weiter delegiert wird, bietet sich für Sozialbetrug richtiggehend an“, so Gagawczuk. Große Firmen übernehmen Bauaufträge und teilen die Arbeit unter Subfirmen weiter auf, die wiederum Sub-Subfirmen beauftragen.
Manche dieser Firmen sind jedoch schon von vornherein mit dem Ziel im Geschäft, Betrug zu begehen. Hinter den Tätergruppen des organisierten Sozialbetrugs steht immer ein Organisator. Dieser verfügt über ein Netzwerk, über das Scheingeschäftsführer oder Strohmänner akquiriert werden. Über diese wiederum werden dubiose Firmen gegründet, unzählige Scheinanmeldungen getätigt, jedoch keine Abgaben und Steuern gezahlt. Die Scheinfirmen sind innerhalb weniger Monate insolvent.

Firmensitz Privatwohnung

Wird über eine solche Firma ein Konkursverfahren eingeleitet, ist es meist unmöglich, offene Gläubigerforderungen auszugleichen, da diese Unternehmen über keinen Eigenwert verfügen, sondern aus Privatwohnungen betrieben werden. Via Mittelsmänner wird das Geld aus diversen Aufträgen sofort von den Bankkonten in bar behoben und an Hintermänner transferiert. „Der Konkurs solcher Firmen ist bereits im Vorhinein beabsichtigt.
Die Arbeitskräfte werden dann bei einer anderen dubiosen Gesellschaft angemeldet und der Zyklus beginnt von vorne“, erläutert Rudolf Unterköfler, Leiter der Abteilung II/BK/7 (Wirtschaftskriminalität) im Bundeskriminalamt. „Die mit dem Sozialbetrug verbundenen zahlreichen Nebenerscheinungen wie Urkundenfälschung und Kreditbetrug, das Erschleichen von Aufenthaltstiteln und die Vergabe von Sub-Sub-Subaufträgen zur Verschleierung der Tatbestände sind hier Alltag.“

Es geht um Betrug

Es geht beim Sozialbetrug also nicht um den kleinen Pfuscher, der seinem Nachbarn am Abend noch mit ein paar Schwarz-Überstunden hilft, sondern um eine organisierte Form von verbrecherischen Handlungen. „Aus unserer Sicht ist es Betrug“, so Gagawczuk. „Die Staatsanwaltschaft und das Justizministerium erachten – aus meiner Meinung nach spitzfindigen Gründen – nicht, dass es sich um einen Betrug im engeren Sinne handelt.“ Und um diesen Betrug einzuschränken, bedarf es wirksamer Maßnahmen, die zum Teil schon umgesetzt wurden, zum Teil aber noch ausstehen – und Handlungsbedarf besteht. 2005 wurde das Sozialbetrugsgesetz beschlossen, das sich in erster Linie auf strafrechtliche Instrumente stützt, jedoch nicht ausreichend ist. Der nächste wesentliche Schritt folgte 2008 mit dem AuftraggeberInnen-Haftungsgesetz. Dieses besagt folgendes: Wenn die Erbringung von Bauleistungen von einem Unternehmen an ein anderes weitergegeben wird, so haftet das auftraggebende Unternehmen für die Sozialversicherungsbeiträge und lohnabhängigen Abgaben, die das beauftragte Unternehmen abzuführen hat. Erfolgreich war der Gesetzgeber auch im Bereich des Umsatzsteuerrechts. Hier wurde durch die Einführung des sogenannten Reverse-Charge-Systems im Baubereich erreicht, dass die Umsatzsteuer nicht mehr hinterzogen werden kann. Reverse Charge bedeutet den Übergang der (Umsatz-)Steuerschuld von den leistenden UnternehmerInnen auf die LeistungsempfängerInnen.

Taskforce Merlin

Um effizient gegen diese Betrugsform mit all ihren Erscheinungsformen und der hohen Begleitkriminalität vorzugehen, wurde im April 2010 unter der Leitung des Bundesministeriums für Inneres/Bundeskriminalamt die ressortübergreifende Taskforce „Merlin“ mit VertreterInnen des Bundesministeriums für Finanzen und der Sozialversicherung eingerichtet. Ihr oberstes Ziel war es, die DrahtzieherInnen dieser kriminell organisierten Banden aufzuspüren und dingfest zu machen. „Dies ist der Einheit bereits sehr erfolgreich gelungen“, so die Innenministerin Johanna Mikl-Leitner im April 2012.
So konnten bereits 202 dubiose Firmen in Österreich ausfindig gemacht und 19 Personen rechtskräftig verurteilt werden. Diese 202 Firmen verursachten durch ihr kriminelles Handeln Schäden in dreistelliger Millionenhöhe, wobei seitens der Finanz über 25,5 Mio. Euro in Vollstreckung sind. Aufseiten der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) beläuft sich die Gesamtforderung auf 16,8 Mio. Euro. Die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) hat Nachforderungen in der Höhe von 32,3 Mio. Euro festgestellt. Insgesamt sind somit im Rahmen der Konkursverfahren angemeldete Forderungen in der Höhe von 186,1 Mio. Euro entstanden. Das Ausfallsrisiko ist in diesen Fällen zumeist hoch.
Von der Taskforce wurden bis dato 455 Einvernahmen durchgeführt. Weiters wurden Bargeld und Sparbücher im Wert von über 222.000 Euro, 44 gefälschte Dokumente und 82 Firmenstempel bei den dubiosen Firmen beschlagnahmt, außerdem 7.883 Scheinrechnungen mit ausgewiesenen Rechnungsbeträgen in der Höhe von 80,35 Mio. Euro sichergestellt. 90 Prozent der in Sozialbetrug involvierten Gesellschaften werden in Wien und Umland gegründet. Um gerade in diesen Bundesländern ein besonderes Augenmerk auf diese Kriminalitätsform legen zu können, wurde die behördenübergreifende Einheit Merlin mit Ende Juni 2012 auf Länderebene, also in die Landeskriminalämter, verlagert.

Haftung für die Löhne

Mit dem Reverse-Charge-System und der AuftraggeberInnenhaftung werden bereits große Teile der Ausfälle aufgefangen. Jedoch werden hierbei die Löhne noch nicht erfasst. Die betrügerischen Unternehmen bleiben den Arbeitskräften die Löhne schuldig oder sie bezahlen nur einen Teil davon als eine Art Vorschuss aus, um die Leute bei der Stange zu halten. Den ausständigen Lohn müssten die ArbeitnehmerInnen dann jedoch über den Insolvenzfonds einfordern. „Deshalb haben wir, also die Arbeiterkammer, vor allem zwei Forderungen bzw. Vorschläge“, erläutert Gagawczuk. „Erstens benötigen wir eine Auftraggeberhaftung für die Löhne. Für die Mehrwertssteuer gibt es das Reversed-Charge-System, es gibt für die Sozialversicherung die Auftraggeberhaftung, es gibt für die Lohnsteuer auch eine ähnliche Auftraggeberhaftung. Aber dort, wo es noch keine wirksame Auftraggeberhaftung gibt, das ist für die Löhne. Zweitens benötigen wir im Bereich des Vergaberechts bei der öffentlichen Auftragsvergabe eine Einschränkung der Subunternehmerketten.“

„Keine Notwendigkeit“

Es zeige sich, erklärt der AK-Experte, folgendes: je mehr Subsubunternehmer es gäbe, je länger diese Kette sei, desto intransparenter sei das System und desto leichter sei es für solche BetrügerInnen, so vorzugehen. „Gäbe es nur einen Generalunternehmer und vielleicht noch eine oder eine zweite Ebene der Subunternehmer, so wäre das viel überschaubarer und dann würden nicht diese kleinen Firmen, die kommen und gehen und unlauter vorgehen, zum Zug kommen.“ Warum es da bisher keine Umsetzung gibt? „Die Wirtschaftsseite hat dafür noch keine Notwendigkeit gesehen“, so Gagawczuk.

Der Endbericht zum Forschungsprojekt „Sozialbetrug, auch im Zusammenhang mit Lohn- und Sozialdumping“ zum Download:
tinyurl.com/d8msr65

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor  martin.haiden@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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