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Von Dynastien und Greißlern Dazu würde somit auch der "Greißler ums Eck" zählen - er ist für die jüngere Generation ein unbekanntes Fabelwesen: Kleine Feinkostläden, deren MitarbeiterInnen zugleich die EigentümerInnen sind, ...

Von Dynastien und Greißlern

Schwerpunkt

Familienunternehmen sind noch nicht ausgestorben. Ihr Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft sollte nicht unterschätzt werden.

Rothschild, Ford, Rockefeller – das sind nur einige der klingenden Namen, die sehr schnell mit Wirtschaftsdynastien assoziiert werden. Die Verzahnung zwischen Ökonomie und Politik ist dabei unübersehbar, wofür die Kennedys oder Bushs, letztere mit engen Verbindungen zur Erdölindustrie, gute Beispiele abgeben: Zwischen 1980 und 2004 wurden sieben US-Präsidenten gewählt; auf dem „Ticket“, dem aus Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten bestehenden Wahlvorschlag der Parteien, war bei sechs dieser Wahlen ein Bush vertreten ...

Klein bis groß

Wobei für den Begriff Familienunternehmen gar keine allgemein anerkannte Definition existiert. Das Institut für Mittelstandsforschung Bonn klassifiziert zum Beispiel alle Betriebe als Familienunternehmen, bei denen bis zu zwei natürliche Personen oder ihre Familienangehörigen mindestens 50 Prozent der Anteile halten und der Geschäftsführung angehören. Dazu würde somit auch der „Greißler ums Eck“ zählen. Er ist für die jüngere Generation ein unbekanntes Fabelwesen: ein kleiner Feinkostladen, dessen MitarbeiterInnen zugleich die EigentümerInnen sind, hinter dem Tresen arbeitet die ganze Familie in mehreren Generationen. Dieses Bild gehört zumeist der Vergangenheit an (Ausnahmen bilden etwa in Wien zumeist Geschäfte von Einwanderern), der Greißler wurde durch „seelenlose“ Supermärkte ersetzt, in denen kein Platz und keine Zeit für ein familiäres Pläuschchen übrig geblieben ist. Aber das Bild vom Familienunternehmen als idyllische heile Welt trügt ohnedies: Die engen Bande machen es mitunter nicht gerade leichter, sich gegen prekäre Verhältnisse am Arbeitsplatz zu wehren. Wenn die „führende Hand“ eines Patriarchen vom Geschäft bis in die Privatsphäre der gemeinsamen vier Wände reicht, hängt bald nicht nur der Haussegen schief.
Zu Familienunternehmen zählen also kleine und mittlere Betriebe ebenso wie internationale Großkonzerne. In einer Auflistung des deutschen „Handelsblatts“ finden sich unter Deutschlands größten Firmen in Familienhand prominente Marken wie Volkswagen, Porsche, Metro, Bertelsmann, Henkel, Otto Group (mit einem Umsatz von zwölf Milliar-den Euro und über 53.000 Beschäftigten im Jahr 2011 der zweitgrößte Onlinehändler hinter Amazon), Bosch und Aldi (in Österreich als Hofer präsent). Einen weiteren Blick ist die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) wert, laut „Handelsblatt“ mit einem Umsatz von 63 Mrd. Euro und 315.000 Beschäftigten die Nummer vier unter Deutschlands Familienunternehmen.
Das Schwarz-Imperium ist ein komplexes Geflecht aus verschiedenen Beteiligungsunternehmen, Stiftungen und Tochtergesellschaften. Bereits im Jahr 1930 gründete Josef Schwarz das Südfrüchte-Großhandelsunternehmen Lidl & Co. Dieter Schwarz, der Sohn des Firmengründers, eröffnete 1978 das erste Discounter-Geschäft. Mit einem Vermögen von über 11,5 Mrd. Euro ist er der drittreichste Mann Deutschlands. „Die Struktur der Schwarz-Gruppe und die Gründung verschiedener Stiftungen ermöglichen es dem Unternehmen, enorme Steuererleichterungen zu erzielen“, so die Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign, CCC). Es war auch CCC, die bereits 2007 Lidl sowie KIK und Aldi mit Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen bei ihren Textillieferanten in Bangladesch, China, Indien und anderen Ländern konfrontierte. Die Kritik blieb nicht ungehört: Lidl lässt seit 2008 in Bangladesch und China Schulungen über Sozialstandards für seine Produzenten durchführen. Mehr als 150 Hersteller, die meisten in China, wurden seither fortgebildet.

Arbeits-(Un-)Recht

Aber haben sich durch diese Maßnahmen die Arbeitsbedingungen verbessert? CCC ist dieser Frage in einer Vor-Ort-Recherche, die Ende 2011 in Zulieferbetrieben von Aldi, Lidl und KiK durchgeführt wurde, nachgegangen. Das Forscherteam befragte insgesamt 162 ArbeiterInnen aus zehn Bekleidungsfabriken – mit einem ernüchternden Ergebnis: Die Arbeitsverhältnisse der NäherInnen haben sich kaum verbessert.
Menschenunwürdige Arbeitsrechtsverletzungen in den produzierenden Fabriken sind weitverbreitet. Einige Zulieferer werden zwar heute in höherem Maße verpflichtet, auf die Sicherheit und die Gesundheit der ArbeiterInnen zu achten, elementare Rechte werden aber weiterhin vorenthalten. Die NäherInnen arbeiten immer noch ohne schriftliche Arbeitsverträge für Löhne, die bei Weitem nicht für ein Leben in Würde reichen. Überstunden werden gar nicht oder nicht korrekt bezahlt. Das Recht, sich zu organisieren, wird den ArbeiterInnen auch weiterhin verwehrt. Frauen werden immer noch diskriminiert, von den VorarbeiterInnen schlecht behandelt und sind sexuellen Übergriffen meist schutzlos ausgeliefert.
Lidl geriet aber auch wiederholt wegen Verstößen gegen elementare Arbeitsrechte in Deutschland in die Kritik: So ließ Lidl seine Beschäftigten über mehrere Jahre durch Detekteien systematisch überwachen, dabei wurden u. a. Toilettengänge der MitarbeiterInnen protokolliert. Wegen der Bespitzelung musste das Unternehmen insgesamt 1,4 Mio. Euro Bußgeld bezahlen. Im Jahr 2004 starteten die Gewerkschafter von ver.di eine Kampagne, um auf die prekäre Situation der VerkäuferInnen in den Lidl-Filialen aufmerksam zu machen, und bemühten sich, Betriebsräte in Filialen zu gründen. Verbesserungen für die MitarbeiterInnen sind langsam, aber doch, spürbar. Nun sollen Lidl oder Aldi nicht als alleinige Sündenböcke für problematische Arbeitsbedingungen herhalten, die sind ja auch bei rein managergeführten, börsennotierten Unternehmen keine unbekannten Größen. Die Dimensionen, die Familienunternehmen erreicht haben, sollten aber doch ins Bewusstsein gerufen werden – von Arbeitsidylle fehlt jede Spur. Wobei sich die Frage stellt, inwiefern die Unterscheidung zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen überhaupt sinnvoll ist?

Figur des Unternehmers

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass generell die Figur des Unternehmers in der ökonomischen Theorie lange Zeit vernachlässigt worden ist. Im 18. Jahrhundert gingen die Gründer der klassischen Nationalökonomie von den drei Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital aus. „Dass es eine Figur gibt, die weder Kapitalgeber noch Arbeiter ist, sondern eine wichtige Vermittlungsfunktion ausübt, gehörte nicht zu den gängigen Konzepten“, so Hartmut Berghoff in „Moderne Unternehmensgeschichte“. Für Adam Smith regelte die „unsichtbare Hand“ des Marktes, also das Spiel von Angebot und Nachfrage, die Wirtschaft – und nicht Unternehmerpersönlichkeiten. Karl Marx sprach von dem „stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse“, der letztlich alles bestimme. Er zwinge gesichtslose, beliebig austauschbare Unternehmer zur Ausbeutung der Arbeiterschaft, die lediglich Löhne erhalte, die das Überleben auf niedrigstem Niveau sichern. Den darüber hinausgehenden Mehrwert eigne sich der Unternehmer an, seine Rolle sei in der Weltgeschichte aber lediglich eine vorübergehende, in einer klassenlosen Gesellschaft bleibe kein Platz für Unternehmer, sprich Ausbeuter.
Solidarität vor Gewinnmaximierung
In der Wirtschaftswissenschaft wurde dem Unternehmer erst allmählich eine positivere Rolle zugesprochen. Der 1734 verstorbene Kaufmann und Bankier Ricard Cantillon war einer der ersten Theoretiker, die den Unternehmer als unverzichtbar für das Funktionieren von Märkten bezeichneten: Er gleiche die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage aus, kaufe zu einem ihm bekannten Preis, verkaufe aber zu einem ungewissen Preis. Als Ausgleich für das damit verbundene Risiko erhalte er den Gewinn.
Es sei hier angemerkt, dass natürlich auch ArbeitnehmerInnen Risiken wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit tragen. Diesen Gefahren wird in einem modernen Wohlfahrtsstaat durch entsprechende Absicherungen entgegengetreten. Es ist deshalb wohl nicht so sehr entscheidend, ob Unternehmen von einzelnen Familien oder vielen AktionärInnen besessen werden, sondern dass Gewinnmaximierung keinen Vorrang gegenüber Solidarität besitzt.

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