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Familie ist vieles 30 Prozent der Ein-Eltern-Haushalte sind armutsgefährdet. Das Einkommen der meist weiblichen Alleinerziehenden fällt oft so niedrig aus, dass die Steuerersparnisse, wenn es überhaupt welche gibt, um ein Vielfaches geringer sind als bei Gutverdienenden.

Familie ist vieles

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Papa, Mama, Kind - so einfach ist das nicht mehr. Viele Kinder wachsen heute in Patchworkfamilien auf.

Längst ist die viel beschworene Kernfamilie – Vater, Mutter und leibliche Kinder – nicht mehr die einzige Form des Zusammenlebens. Kein Wunder bei explodierenden Scheidungsraten und endlich akzeptierten anderen Lebensmodellen.

Helmut und Manfred

Helmut sitzt an seinem Schreibtisch und starrt regungslos aus dem Fenster, während im Nebenzimmer seine Tochter aus erster Beziehung mit ihren Barbiepuppen spielt. Regen prasselt an die Fensterscheiben. In der Hand hält er einen Brief, seine Tränen tropfen darauf. Ein Schreiben von der betrieblichen Pensionskasse seines vor Kurzem verstorbenen Partners Manfred: Als eingetragener Partner habe er leider keinen Anspruch auf die Auszahlung der Hinterbliebenenpension. Es schmerzt weniger die finanzielle Benachteiligung, als dass ihm so brutal vor Augen geführt wird, dass diese Beziehung sogar noch über den Tod seines geliebten Partners Manfred hinaus diskriminiert wird.

Julia und Christoph

Der Wecker läutet um 6.30 Uhr. Julia und Christoph kuscheln sich noch einmal unter die warme Daunendecke, als ihre 7-jährige Tochter Lisa ins Elternschlafzimmer kommt. „Mir tut der Hals so weh!“, krächzt sie und schluchzt dabei herzzerreißend. Ein kurzer Griff auf die Stirn und Julia weiß, dass Lisa hohes Fieber hat. Auch wenn sie sich ein bisschen dafür schämt, gilt Julias nächster Gedanke der Arbeit: Gerade heute soll sie ihre Chefin zu einer Konferenz begleiten, auf die sie beide monatelang hingearbeitet haben. Und Christoph – bei dem wäre es in der Arbeit gerade nicht so ein sau-blöder Zeitpunkt. Christoph würde auch sofort Pflegeurlaub nehmen, aber er darf nicht. Lisa ist nämlich „nur“ seine Stieftochter und damit steht ihm nach dem Urlaubsge-setz kein Pflegeurlaub zu.

Regenbogen und Patchwork

Aber was ist denn überhaupt eine Familie? Die klassische Kleinfamilie? Die Ein-Eltern-Familie? Die Regenbogenfamilie, in der ein gleichgeschlechtliches Paar gemeinsam ein oder mehrere Kinder großzieht? Oder die Patchworkfamilie, „meine Kinder, deine Kinder, unsere Kinder“, in der mindestens ein Kind aus einer früheren Beziehung stammt. Es ist nicht mehr so einfach wie früher, den Begriff Familie zu definieren. Auch die klassische „Mama-Papa-Kind-Familie“ verändert sich. Unverheiratete Eltern gibt es immer häufiger und die Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau in Ernährer und Hausfrau, die sich um die Kinder kümmert, wird nicht mehr so oft gelebt wie noch vor 30 Jahren.
Genauere Zahlen finden sich im Bericht „Familie in Zahlen“ des österreichischen Instituts für Familienforschung1. Dort lassen sich grobe Trends herauslesen, z. B. dass die Ehe massiv an Bedeutung verliert (2010 über 40 Prozent uneheliche Geburten), dass aber trotzdem noch drei Viertel der Kinder mit beiden leiblichen Elternteilen im gemeinsamen Haushalt wohnen. Der Anteil der Kinder, die nicht bei beiden biologischen Eltern leben, sondern in Ein-Eltern- und Patchworkfamilien, stieg aber in den letzten beiden Jahrzehnten stetig an. Was die Statistiken des österreichischen Instituts für Familienforschung jedoch nicht liefern, sind Zahlen über Regenbogenfamilien.
Zurück zu unseren Beispielen. Unmittelbare Diskriminierungen von „atypischen Familienformen“ im österreichischen Arbeitsrecht wie in den oben genannten Fällen sind nach einigen Reformen der letzten Jahre die Ausnahme. Und auch diese werden hoffentlich nicht mehr lange bestehen.
Zum Beispiel von Helmut und Manfred: Bei der betrieblichen Hinterbliebenenpension hat ein österreichisches Gericht bereits entschieden, dass diese Schlechterstellung von homosexuellen Paaren gegen EU-Recht verstößt2. Dennoch: Eine von mir anlässlich des Artikels durchgeführte telefonische Umfrage bei verschiedenen Pensionskassen ergab, dass diese EU-rechtswidrige Praxis von einigen Pensionskassen beibehalten wird.
Zum Beispiel von Julia und Christoph: AK und Gewerkschaft forderten schon länger einen Anspruch auf Pflegeurlaub für den „neuen“ Elternteil in Patchworkfamilien und den ehemaligen Ehepartner. Ab dem nächsten Jahr wird die Gleichstellung realisiert. Auf Initiative des Frauen- und des Sozialministeriums beschloss der Nationalrat im Dezember diese weitreichende Verbesserung für Patchwork- und Ein-Eltern-Familien.

Benachteiligung atypischer Familien

Oft sind Benachteiligungen für atypische Familien aber erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Etwa sind für Allein-erzieherInnen Steuervergünstigungen wie die Absetzbarkeit von Kinderbetreuung oftmals wenig bis nichts wert. 30 Prozent der Ein-Eltern-Haushalte sind armutsgefährdet3. Das Einkommen der meist weiblichen Alleinerziehenden fällt oft so niedrig aus, dass die Steuerersparnisse, wenn es überhaupt welche gibt, um ein Vielfaches geringer sind als bei Gutverdienenden. Sozial gerechter wäre es hier, statt steuerlicher Vergünstigungen für Besserverdienende die Familienbeihilfe zu erhöhen und mehr in Sachleistungen (zum Beispiel den weiteren Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen) zu investieren.
Würde man eine atypische Familie nach ihrer geringen Häufigkeit definieren, so müsste man in Österreich Familien als atypisch einstufen, in denen der Mann in Karenz geht. Auch wenn mit der Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes ein Anreiz für die meist besser verdienenden Männer geschaffen wurde, gehen nur fünf Prozent der Väter in Elternkarenz (in Island sind es z. B. über 30 Prozent). Offensichtlich ist in Österreich die Angst vor Nachteilen im Berufsleben zu groß. Oder die erwartete Resonanz im Betrieb und im persönlichen Umfeld wird nicht positiv genug eingeschätzt. Hier setzt die Imagekampagne „Echte Männer gehen in Karenz“ des Frauenministeriums an. Sie soll vermitteln: Die Vaterkarenzzeit ist ein unersetzlicher Gewinn für das eigene Leben, die Vater-Kind-Beziehung, die Paarbeziehung und die Partnerin. Allerdings müssen weitere gesetzliche Maßnahmen wie der bezahlte Papamonat folgen. Erst dann wird die Beteiligung von Männern an den Karenzzeiten stärker ansteigen.
Gesellschaftliche und rechtliche Fragestellungen zum Thema Familie werden immer wieder als ideologisches Kampfgebiet missbraucht, was sich nicht zuletzt in der Aufregung um die Informationsbroschüre „Ganz schön intim“4 zeigt. Diese richtet sich an LehrerInnen und soll ihnen eine pädagogische Hilfestellung für die Sexualerziehung bis zur 6. Schulstufe bieten. Da in dieser Broschüre unterschiedliche sexuelle Orientierungen „gleichwertig“ thematisiert werden, wittern Konservative und Rechte die „Diskreditierung der sogenannten Kernfamilie“5. Sie stoßen sich daran, dass unsere Kinder verschiedene Lebenswirklichkeiten, die sie teilweise aus ihrer eigenen Lebenswelt kennen, mit pädagogischer Hilfe bearbeiten.

Kreative Lösungen

In einem solchen Klima braucht es noch viele Anstrengungen, bis eine annähernde Gleichstellung verschiedener Familienformen erreicht werden kann. Manche Betroffene nehmen auch selbst die Initiative in die Hand und wehren sich mit kreativen Lösungen gegen benachteiligende Gesetze. So z. B. jenes lesbische Paar, das sich in der Schweiz trotz Adoptionsverbot und Verbot der künstlichen Befruchtung seinen Kinderwunsch erfüllt hat. Sie taten sich mit einem schwulen Paar zusammen und mittlerweile lebt die Familie mit zwei Kindern auf einem Bauernhof.
Andere zerbrechen aber an dem diskriminierenden Umfeld, wie die Selbstmordstatistik von jungen homosexuellen Männern zeigt: Die Selbstmordrate ist signifikant höher als bei gleichaltrigen Heterosexuellen6.

1 ÖIF: Familie in Zahlen 2011, aus: tinyurl.com/cayn9kz, abgefragt am 27. November 2012.
2 www.queernews.at/archives/3152, abgefragt am 3. Dezember 2012.
3 Zartler, Beham u.a.: Alleinerziehende in Österreich – Lebensbedingungen und Armutsrisiken, Sozialpolitische Studienreihe des BMASK, Band 7, 2011.
4 images.derstandard.at/2012/11/27/Selbstlaut.pdf, abgefragt am 3. Dezember 2012.
5 So VP-Bildungssprecher Werner Amon in einer parlamentarischen Anfrage an BM Schmied.
6 Council of Europe Publishing: Discrimination on grounds of sexual orientation and gender identity in Europe, 2nd Edition, 2011.


Österreichisches Institut für Familienforschung: www.oif.ac.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christian.zickbauer@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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