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Die globalisierte Familie 8.800 aller Paare, die 2010 in Österreich geheiratet haben, waren binationale Paare (mehr als 23 Prozent) - die Brautleute besaßen zum Zeitpunkt der Eheschließung also nicht die gleiche Staatsbürgerschaft.

Die globalisierte Familie

Schwerpunkt

Unsere Welt ist kleiner geworden. Die räumlichen Distanzen zwischen Familien sind gewachsen, egal ob ihre Mitglieder aus einem oder verschiedenen Ländern stammen.

Nächsten Mai bin ich auf die Hochzeit eines Freundes eingeladen. In Lissabon. Seine zukünftige Frau ist Portugiesin und vor einigen Jahren aus beruflichen Gründen nach Wien gekommen. Nach Wien hat es auch Daniela aus Brasilien verschlagen – sie kam, um an der Wiener Wirtschaftsuni ihre Dissertation zu schreiben. Auf einer Konferenz in London lernte sie Darek aus Polen kennen. Es folgte eine Phase der Fernbeziehung, nach der Heirat lebten beide in Warschau, vor Kurzem haben sie ihre Zelte in São Paulo aufgeschlagen. Mein Wohnviertel teile ich mit Menschen aus den unterschiedlichsten Weltregionen. Zum Teil haben sie selbst ihre Heimat verlassen, um sich hier anzusiedeln, zum Teil kamen sie als Kinder mit ihren Eltern oder sind bereits in Österreich geboren. Familiär verwurzelt sind sie häufig immer noch in anderen Ländern über Großeltern, Tanten, Onkel, Cousinen, …

„Fernliebe“

Drei Beispiele aus meinem persönlichen Umfeld, wie sie wohl jeder in ähnlicher Form kennt. Alle drei entsprechen dem Phänomen „Weltfamilie“, das mittlerweile offenbar so verbreitet ist, dass Elisabeth Beck-Gernsheim und Ulrich Beck es in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Fernliebe“ analysieren: Familien, die über Grenzen hinweg – nationale, ethnische, kulturelle, religiöse etc. – zusammenleben. Darunter fallen einerseits Familien, in denen die Mitglieder zwar dieselbe Herkunft haben, aber in verschiedenen Ländern oder sogar auf unterschiedlichen Kontinenten leben. Wie die von Ed Moschitz in seinem Film „Mama Illegal“ porträtierten Moldawierinnen, die Mann und Kinder zurücklassen, um in Ländern wie Österreich Geld als Putzfrauen zu verdienen. Eine andere Form der Weltfamilien verkörpern Daniela und Darek: Die Mitglieder leben zwar an einem Ort zusammen, stammen aber aus unterschiedlichen Ländern oder Kontinenten – Familien, die Interkulturalität mit allem Reichtum und aller Problematik unter einem gemeinsamen Dach leben. Mit dem traditionellen Bild der Familie, das immer auch räumliche Nähe, gemeinsame kulturelle und nationale Identität und Muttersprache umfasst, stimmen Weltfamilien nicht überein.

Arbeits-, Reise-, Familienmobilität

Ursachen dafür, in einer „Weltfamilie“ zu leben, liegen in der mit dem Prozess der Globalisierung verbundenen erhöhten Mobilität. Multinationale Konzerne ermöglichen oder erfordern es, zeitweise in anderen Weltteilen zu arbeiten, für Auslandsaufenthalte von Studierenden, aber auch Lehrlingen gibt es Förderungen, und Urlaube werden immer wieder im näheren oder ferneren Ausland verbracht. Nicht zu vernachlässigen ist auch die unfreiwillige Mobilität von Menschen, die aufgrund schwieriger politischer oder wirtschaftlicher Situationen ihr Heimatland verlassen – als MigrantInnen oder, im schlimmsten Fall, als Flüchtlinge.
8.800 aller Paare, die 2010 in Österreich geheiratet haben, waren binationale Paare (mehr als 23 Prozent), die Brautleute besaßen zum Zeitpunkt der Eheschließung also nicht die gleiche Staatsbürgerschaft. Bei eingetragenen Partnerschaften liegt der Anteil mit fast 30 Prozent noch höher. Für heiratswillige Paare, die aus unterschiedlichen Ländern der EU stammen, wurde mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Kommission ein eigenes Internetportal eingerichtet, das Orientierung über die extrem unübersichtlichen Rechtslagen in den verschiedenen Ländern bietet (www.coupleseurope.eu). Betroffen sind davon rund 16 Mio. internationale Ehepaare, die gegenwärtig in der EU leben.
Mit dem Paragrafendschungel und in weiterer Folge auch mit polizeilichen Ermittlungen in Kontakt zu kommen ist eine Erfahrung, die binationale Ehepaare in Österreich wesentlich häufiger machen als rein österreichische. Standesämter müssen schon die Anmeldung zur Eheschließung mit einer oder einem Drittstaatsangehörigen an die Fremdenpolizei melden, die bei Verdacht auf eine „Aufenthaltsehe“ (seit 2006 ein strafrechtlicher Tatbestand in Österreich) dann auch prompt ermittelnd vor der Tür des künftigen Ehepaares steht. Intime Fragen nach dem Privatleben des Paares inklusive überraschender Inspektionen der gemeinsamen Wohnung sollen Scheinehen entlarven, den österreichischen TäterInnen droht wegen „Beihilfe zu unbefugtem Aufenthalt“ bis zu einem halben Jahr Haft.

Vorurteile und Klischees

Die üblichen Klischees und Vorurteile, die „AusländerInnen“ tagtäglich entgegengebracht werden, erschweren nicht nur die Integration der zugewanderten Person, sondern belasten natürlich auch das Leben der ganzen Weltfamilie, die auf der anderen Seite tatsächlich vor der Herausforderung steht, Interkulturalität im ganz normalen Alltag zu leben. Innerhalb von Weltfamilien treffen Werthaltungen und Traditionen aufeinander, die durch unterschiedliche kulturelle, religiöse Sozialisation, unter Umständen aber auch durch traumatische Erlebnisse geprägt worden sind. Schon die Frage, was „Familie“ eigentlich ist, kann sehr verschieden beantwortet werden. Welche Feste wie und mit wem gefeiert werden oder ganz simpel, wie Alltag organisiert werden soll, wer wofür verantwortlich und zuständig ist, das Rollenverständnis von Frauen und Männern – die Liste von Themen, an denen sich Konflikte und Krisen entzünden können, ließe sich fortsetzen. Eine weitere Herausforderung, mit der alle Weltfamilien in der einen oder anderen Ausprägung konfrontiert sind, ist die Aufrechterhaltung von Beziehungen trotz räumlicher Trennung. Die Entwicklung moderner Kommunikationstechnologien erleichtert zumindest die Kommunikation über lange Distanzen hinweg. Schnell, technisch einfach und billig kann via Internet kommuniziert werden, und so verfolgen Großeltern die Entwicklung ihrer Enkelkinder über Videokonferenzen via Skype, durch tagebuchartige Blogs und soziale Netzwerke wie Facebook besteht die Möglichkeit, fast in Echtzeit am Alltagsleben teilzuhaben. Emotionale Nähe freilich lässt sich auch über intensivste elektronische Kommunikation nur bedingt erreichen, dazu braucht es dann doch Face-to-Face-Begegnungen, die oft im Rahmen von Urlaubsaufenthalten herbeigeführt werden.

Globalisierung und Daheimgebliebene

Doch auch „Normalfamilien“ mit gemeinsamer Muttersprache, Nationalität und Wohnsitz bleiben von der Globalisierung nicht unberührt. Anfang des Jahrtausends untersuchten WissenschaftlerInnen im Rahmen der fünf Jahre laufenden Studie Globalife, wie Globalisierung die Lebensverläufe der Menschen in OECD-Ländern beeinflusst. Ein Auszug aus den Ergebnissen: Verstärkter Konkurrenzdruck im Zuge des Standortwettbewerbs und damit einhergehende Umstrukturierungen sowie Unternehmensverlagerungen setzen Arbeitsmärkte unter Druck. Arbeitsplatzsicherheit nimmt ab, ArbeitnehmerInnen stehen zunehmend unter Qualifikations-, Leistungs- und Flexibilitätsdruck. Prekäre und atypische Beschäftigungsformen nehmen besonders in der Phase des Berufseinstiegs zu – „Generation Praktikum“ titelte die Zeitschrift „Der Spiegel“ 2006. Der Zeitpunkt der Familiengründung wird nach hinten verschoben, bis berufliche Stabilität und materielle Absicherung erreicht sind. In Österreich ist eine Frau bei der Geburt ihres ersten Kindes gegenwärtig durchschnittlich knapp 29 Jahre alt, in den 1980er-Jahren kam der Nachwuchs ganze sechs Jahre früher. Dass unter diesen Umständen die Anzahl der Kinder pro Familie abnimmt oder Paare überhaupt kinderlos bleiben, ist nur logisch.

Die Initiative „Ehe ohne Grenzen“ setzt sich für die rechtliche Gleichstellung mit österreichischen Paaren und das Recht auf Familie ein:
www.ehe-ohne-grenzen.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin pia.lichtblau@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

 

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