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Wenn sich die Rollen umkehren Erst tut man so, als ob nichts wäre, aber irgendwann lässt es sich nicht mehr verleugnen: Die eigenen Eltern werden alt. Die Mutter fragt, ob man ihr mit den schweren Taschen helfen kann.
Buchtipp

Wenn sich die Rollen umkehren

Schwerpunkt

… und Eltern die Hilfe ihrer Kinder benötigen, ist das für alle Beteiligten nicht gerade einfach. Wichtig ist es, offen miteinander zu sprechen.

Statt um Rat gefragt zu werden, braucht Mami auf einmal selbst Rat. Der Vater, früher bei jedem Problem ein Fels in der Brandung, steht plötzlich ratlos vor einem. Die Kinder reagieren verunsichert – wie weit soll die Unterstützung gehen? Ab wann fühlt sich der alte Mensch bevormundet? Und wie geht man selbst damit um, wenn man erkennt, dass die eigenen Eltern nicht unsterblich sind?
Erst tut man so, als ob nichts wäre, aber irgendwann lässt es sich nicht mehr verleugnen, dass die eigenen Eltern alt werden. Die Mutter fragt, ob man ihr mit den schweren Taschen helfen kann. Der Vater weiß nicht mehr, wie er den besten Weg mit dem Auto findet. Dann kommt eine Frage, wie das Handy zu handhaben sei … und das ist erst der Anfang. Scheinbar leichte Entscheidungen erfordern viele Rückfragen. Irgendwann fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Die Eltern sind nicht mehr wie früher, sie lassen körperlich und geistig nach. Und da muss noch gar keine Krankheit dahinterstecken. Allein der normale Alterungsprozess bringt genügend Einschränkungen mit sich.

Mehr als Nachlassen der Kräfte

Es fängt mit zunehmender Einsamkeit an, wenn ein alter Mensch nicht mehr so mobil ist und sich schwer tut, außer Haus zu gehen. Alltägliche Handgriffe klappen nicht mehr, die Kräfte lassen nach. Es geht nicht mehr wie früher.
Zum körperlichen Abbau gesellt sich jener der Kompetenzen. Der alte Mensch fühlt sich zunehmend nutzlos, nicht mehr gebraucht. Im Gegensatz zu traditionellen Gesellschaften, wo die Erfahrung der Älteren geschätzt wurde oder wird, hilft in unserer schnelllebigen, sich gerade technologisch ständig verändernden Zeit das angesammelte Wissen immer seltener im Alltag. Die Reaktion ist häufig Scham seitens der Alten, begleitet von Wut. Sie verbergen zuerst, dass es nicht mehr läuft wie früher. Besonders den eigenen Kindern gegenüber wollen sie keine Schwäche eingestehen. Um Hilfe zu bitten wäre peinlich, weil es die jetzt alternde Kriegs- und Nachkriegsgeneration gewohnt war, auf sich gestellt das Leben zu meistern. Die Kinder erraten dann oft nur, dass ein Elternteil Hilfe braucht.
Bereits vorhandene Schwachstellen verstärken sich im Alter. Ein immer schon entschlussschwacher Mensch wird vielleicht im Alter noch unsicherer. Jemand, der nie besonders sportlich war, hat noch weniger Kraft und Ausdauer.
Eva Tesar, Psychotherapeutin: „Wenn die Eltern alt werden, dann dreht sich vieles um. Die alten Menschen sind auf einmal hilfsbedürftig und brauchen Unterstützung von den Kindern. Das sind völlig neue Rollen für die Kinder wie die Eltern, an die sich beide Seiten erst gewöhnen müssen.“ Konnten die Kinder bis vor Kurzem noch in schwierigen Lebenssituationen Rat und Hilfe von den Eltern bekommen, erwarten die Eltern nun häufig selbst Unterstützung, auch bei einfachen Lebensfragen. Verunsicherung auf beiden Seiten ist die Folge. Wir gehen nicht mehr ungezwungen miteinander um, sondern haben Hemmungen. Auf einmal müssen die Kinder Verantwortung übernehmen, sich der Situation stellen: Am Ende steht irgendwann der Tod der Eltern.

Generationenvertrag im Kleinen

Schließlich wird das, was der Generationenvertrag im Großen vorsieht, auch im Kleinen erwartet: Die Eltern kümmern sich um die Kinder, im Alter ist es umgekehrt. Doch gerade bei den eigenen Eltern fällt es besonders schwer, sich Zeichen von Alter und Krankheit einzugestehen. Das dauert seine Zeit.
Arno Geiger beschreibt dies in seinem Roman „Der alte König in seinem Exil“ über die Demenzerkrankung seines Vaters: „Weil man als Kind seine Eltern für stark hält und glaubt, dass sie den Zumutungen des Lebens standhaft entgegentreten, sieht man ihnen die allmählich sichtbar werdenden Schwächen sehr viel schwerer nach als anderen Menschen.“ Eltern und erwachsene Kinder stehen vor einer neuen Situation, letztere wollen die Eltern nicht bevormunden. Ist Gefahr im Verzug, z. B. wenn der Vater das Gas brennen lässt oder die Mutter vergisst, die Wohnung abzusperren, muss sowieso sofort gehandelt werden. Doch nicht immer kommt es gleich ganz so extrem.
Eva Tesar empfiehlt: „Wenn die Eltern nicht dement sind und man mit ihnen klar sprechen kann, wäre es gut, offen mit ihnen zu sprechen.“ Höflichkeit und Taktgefühl sind dabei wichtige Gesprächsgrundlagen. Günstiger wäre es, mit den Eltern bereits in einer noch nicht belasteten Phase mögliche Probleme zu klären. Ein solches Gespräch beginnt man am besten mit Formulierungen wie: „Mir ist aufgefallen, dass …“ oder „XY ist auch aufgefallen ...“. Dabei kann man eine Vertrauens- oder Autoritätsperson nennen. Das Gespräch könnte man dann in etwa so führen: „Ist dir das auch aufgefallen, wie siehst du das? Wie ist deine Meinung dazu? Was meinst du, wie wir vorgehen sollen?“ Gefährdet sich der alte Mensch selbst, ist es wichtig, einen Arzt einzuschalten, um eine Diagnose zu erhalten. Erst dann können Entscheidungen getroffen, Betreuungsformen ausgewählt werden.
Wird der Alterungsprozess aktiv angesprochen, können beide Seiten die neuen Rollen leichter annehmen. Dabei lassen sich etwa die Wohnsituation und eine mögliche Anmeldung in einem Seniorenheim klären, ebenso die Frage, wie sich der alte Mensch selbst seine Wohnsituation vorstellt und ob die Kinder die Pflege ihrer Eltern übernehmen wollen (bzw. können). Auch die Themenbereiche Finanzen, Testament oder Patientenverfügung sind wichtig. Arno Geiger schreibt in seinem Roman „Der alte König in seinem Exil“ über die fortschreitende Erkrankung seines Vaters: „Wenn er zu einem seiner Kinder gesagt hätte, tut mir leid, mein Gehirn lässt mich im Stich, hätten alle besser mit der Situation umgehen können. So jedoch fand ein jahrelanges Katz-und-Maus-Spiel statt, mit dem Vater als Maus, mit uns als Mäusen und mit der Krankheit als Katze.“
Offenheit gegenüber zunehmenden Schwächen lässt die Möglichkeit zu, darauf zu reagieren und sie auszubalancieren – bevor etwas passiert.

Hilfe im Alltag

Im Alltag bringen Tagesbetreuungseinrichtungen Erleichterung und entlasten kurzfristig. Es gibt unterschiedliche Angebote, etwa für Demenzkranke oder SchlaganfallpatientInnen, ebenso ein Tageszentrum der israelitischen Kultusgemeinde im Maimonideszentrum. Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn können als „Kontrollinstanzen“ helfen, dem alten Menschen seine gewohnte Wohnumgebung zu erhalten. Sind Vater oder Mutter an einer Demenz erkrankt, geht es ab einem gewissen Punkt gar nicht mehr allein. Eva Tesar: „Im Falle von Demenz oder Unzurechenbarkeit hat es sich bewährt, einen Sachwalter einzusetzen. Der externe Experte wird häufig besser akzeptiert als die eigene Familie.“ Außerdem ist es hilfreich, sich als Sohn oder Tochter rechtzeitig darüber zu informieren, welche Möglichkeiten guter, kompetenter Betreuung es für die Eltern vor Ort gibt.
Hat man sich entschieden, die Eltern selbst zu betreuen, kann man sich eine Pflegekarenz überlegen. Bei der Entscheidung ist vieles zu bedenken, auch der Verlust von Privatsphäre, wenn Eltern und Kinder unter einem Dach leben, immer auf Abruf. Und oft bleibt die Pflege als allein zu tragende Last an den Frauen hängen. Rivalitäten zwischen Geschwistern können neu aufbrechen, wenn sie unterschiedliche Vorstellungen über die Pflege ihrer Eltern haben.
Auf keinen Fall sollte man sich zur Pflege verpflichtet fühlen, wenn die Beziehung zwischen Eltern und Kind von früher belastet ist. Dann bestünde leicht die Gefahr, es den alten, nun wehrlosen Eltern „heimzuzahlen“.

Möglichst lange selbstständig leben

Generell gilt: Auch alte Menschen haben viele ähnliche Bedürfnisse wie jüngere Menschen – also nicht vorzeitig „entmündigen“! Ziel sollte es sein, Ältere so lange wie möglich selbstständig leben und sie auch die gewohnten Aktivitäten ausüben zu lassen.

Tagesbetreuungsmöglichkeiten für SeniorInnen:
pflege.fsw.at/tagesbetreuung/tageszentren

Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige:
tinyurl.com/c4qpufd

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin anni.buerkl@texteundtee.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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