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"Konkrethik: Armut reduzieren" Geld ist eine absolute Herausforderung für den Charakter, weil die persönliche Verfügungsgewalt mit Geld immer größer wird. Das bedeutet, dass man sozusagen eine Distanz zum Materiellen bekommt.
Buchtipp

"Konkrethik: Armut reduzieren"

Interview

Vermögensforscher Thomas Druyen über die Herausforderung von Reichtum, Geld und Verantwortung, den Wert der Arbeit und die Scheinheiligkeit.

Arbeit&Wirtschaft: Herr Professor Dr. Thomas Druyen, Sie haben 2007 das Institut für Vermögenskultur an der Sigmund Freud Privatuniversität gegründet. Diese Ausgabe der A&W hat das Motto „Lieber reich als arm“ – würden Sie das immer unterschreiben?

Thomas Druyen: Grundsätzlich wäre weltweit die überwiegende Mehrheit der Menschen natürlich lieber reich, weil man mit Reichtum in gewisser Weise auch Glück und Unabhängigkeit verbindet. Zumindest tun das meist diejenigen, die selbst nicht reich sind, insofern ist die Vorstellung von Reichtum ein Mythos. Sicherlich gibt es auch Leute, die nicht viel Geld haben und glücklich sind. Wahrscheinlich sind die Personen, die wenig Sorgen haben, die glücklichsten. Und das sind sicher nicht immer die reichsten.

Sie unterscheiden sehr genau zwischen Reichtums- und Vermögensforschung ...
 
Der Unterschied ist wichtig: Reichtumsforschung kümmert sich um die materiellen Dimensionen, wie viel man hat und was die quantitative Bedeutung ist. Ich habe aber schon früher als Soziologe in vielen Gesprächen festgestellt, dass Reiche oder Vermögende auch andere Probleme haben: Ist das viele Geld eine Herausforderung für den Charakter? Verändert es den Charakter? Was macht es mit der Familie? Was ist der Unterschied, ob man in der dritten Generation reich ist oder selbst ein frischgebackener Internet-Millionär? Es gibt ganz viele Faktoren bis hin zur Psyche – und deswegen sitzen wir ja hier in der Sigmund Freud Privatuniversität. Wir interessieren uns für das, was im Kopf, im Herz und in der Seele von Menschen vorgeht, die wohlhabend oder extrem wohlhabend sind, Millionäre und Milliardäre. Dieses Fach heißt Vermögenspsychologie.

Begonnen haben Sie als Soziologe mit einem anderen Thema ...

Mein Thema war der demografische Wandel, ich habe Interviews zum Thema Alter gemacht. Unter diesen älteren Menschen zwischen 60 und 104 waren durch Zufall viele Vermögende. Damals habe ich festgestellt, dass bei all den Gedanken, die sich diese Menschen machen, die schlechte Reputation der Reichen in der Öffentlichkeit nicht den Tatsachen entspricht. Dann habe ich festgestellt, dass Reichtumsforschung bei fünf bis sieben Millionen Euro aufhört. Ich erkannte schnell, dass es sehr schwer ist, an Leute mit 10 Mio., 100 Mio., 800 Mio., geschweige denn mit 10 Mrd. ranzukommen.

Weshalb? Angst vor Neid?

Neid spielt in unserer Gesellschaft eine große Rolle, aber ich habe kaum jemanden getroffen, der gar nichts hat und auf einen Multimillionär neidisch ist. Neid funktioniert meist in gleichen oder ähnlichen Milieus. Wenn mein Nachbar, der etwa so viel verdient wie ich, plötzlich ein größeres Auto fährt, erweckt das Neid.  
Dennoch ist dieser Neid nicht der ausschlaggebende Faktor. Er existiert in unserer Gesellschaft, aber er ist vor allem politisch und medial erzeugt. Die Politik muss scheinbar kritisch mit den Reichen umgehen, um beim nächsten Mal wieder gewählt zu werden, da ist viel Heuchelei im Spiel. 
Ein ganzer Medienzweig lebt von Berichten über Adelige und Reiche. Diese oberflächlichen Diskussionen führen dazu, dass Reichtum und Prominenz verwechselt werden. Da werden falsche Bilder erzeugt. 70 Prozent der Reichen arbeiten. Legaler Reichtum kommt in den meisten Fällen durch unternehmerisches Handeln zustande.

Und durch Erben?

Ja, aber der Prozentsatz ist bei Weitem nicht mehr so hoch wie früher. Das sind heute höchstens noch an die 20 Prozent. Und man muss fairerweise sagen, es gibt Erben, die arbeiten. Es gibt Erben, die ihr Erbe ausschlagen, weil sie das Geld gar nicht haben wollen. Es gibt alle Varianten. Das ist die Gefahr im Umgang mit Reichtum: Man sieht es zu einfach. Arm wird gegen Reich ausgespielt, um eigene Interessen zu vertreten. Ich finde das unbefriedigend, meiner Ansicht nach sind die Reichen nicht vordringlich verantwortlich dafür, dass die Armen arm sind. In allen Milieus, ob arm oder reich, gibt es großartige Menschen und das Gegenteil. 
 
Könnte man das Geld fairer verteilen?

Die Verteilung von oben funktioniert meiner Ansicht nach nicht. Ich glaube, dass das demokratische und unternehmerische Modell das beste ist. Natürlich hat es auch Schwachstellen. Die Ver-antwortung derjenigen, die sehr viel Glück und Privilegien haben für diejenigen, die keine Chance haben, muss größer werden.

Das klappt nicht, wenn Menschen wie Felix Baumgartner ihr Geld im Ausland deponieren ... 
 
Wenn ich mithilfe eines Landes, einer Region, einer Stadt meinen Erfolg hatte, die Straßen benutzt habe, die Krankenhäuser, wenn meine Kinder dort in die Schule gegangen sind, dann kann ich nicht irgendwann sagen: So Freunde, das war es jetzt, ich ziehe um, damit ich ein paar Millionen mehr habe. Das halte ich für nicht verantwortungsbewusst. Das Wichtigste, was ein Unternehmer für die Gesellschaft tun kann, ist Arbeitsplätze schaffen. Das ist die Realität, die allen Familien, allen gesellschaftlichen Schichten und Milieus etwas bringt. Die gro- ßen Konzerne ziehen dahin, wo die Steuern gering sind. Arme Länder machen die Steuern gering, damit die großen Firmen kommen und deshalb ist dieser Konflikt zwischen Arm und Reich inszeniert. Die Finanzblase, die Milliarden, die in den Orbit gejagt werden und auf die Allgemeinheit umgewälzt – das sind die Krisenbeschleuniger.

Aber wer Geld hat, kann mehr spekulieren und Geld kommt zu Geld ...

Da reden wir von Superreichen – wo ganz viel Geld ist, kann man auch viel mehr Geld verdienen. Darüber gibt es keinen Zweifel. Aber weltweit gibt es nur 130.000 Menschen, die mehr als 30 Mio. haben. Der beliebte Gedanke, dass die Reichen zur Rettung der Welt einfach etwas abgeben, ist naiv. Allein wäre dies ein großer Tropfen auf den heißen Stein. Dennoch ist es nur fair, dass auch ein Hochvermögender, der sich durch eigene Leistungen Privilegien erarbeitet hat, etwas an die Gesellschaft zurückgeben sollte. Dazu sind ja die meisten auch bereit. Die Frage ist: Wem gibt man das zusätzliche Geld, stiftet man das? Gibt man das an den Staat? Diese Fragen werden unter Vermögenden dauernd diskutiert.
Entscheidend aber ist es, die großen Dimensionen der Bedrohung zu sehen: Das sind im globalen Maßstab die unkontrollierten Finanzmärkte, das sind strategische Spiele der Politik und das sind Großkonzerne, die völlig ungezügelt handeln können.

Da sind Reiche involviert: Bei Finanzmärkten und Großkonzernen soundso und in der Politik immer mehr. Wie nimmt man die in die Verantwortung?

Das ist die alles entscheidende Frage. Hier geht es aber um systemische Komplexität, die kaum jemand wirklich durchschaut. Hier geht es nicht nur um Reiche, sondern um Politik, internationale Netzwerke, Heere von interessengebundenen Beratern, Lobbyismus, Systemideologien und letztlich auch um religiöse Einflusssphären. Eins ist klar, mit diesem Thema betreten wir auch das Reich der Scheinheiligkeit.

Verdirbt Reichtum den Charakter?

Geld ist eine absolute Herausforderung für den Charakter, weil die persönliche Verfügungsgewalt mit Geld immer größer wird. Das bedeutet, dass man sozusagen eine Distanz zum Materiellen bekommt. Die alltäglichen Dinge kann man sich kaufen. Jetzt kommt es darauf an, auf welchem Niveau das passiert. Und da ist es ein riesiger Unterschied, ob einer 500.000 hat, fünf Mio., 50, 600, 700 Mio. Wenn einer ein Leben lang 20.000 Euro im Jahr hatte und plötzlich 120.000 Euro im Jahr besitzt, ist das eine neue Herausforderung. Wenn einer sechs Mio. besaß und jetzt sieben hat, ändert sich für ihn relativ wenig. Der Umgang mit diesen materiellen Dimensionen ist aber nicht losgelöst vom Charakter, von der Persönlichkeit, von Kultur und Religiosität, von der Herkunft usw. Diese Faktoren analysieren wir an unserem Institut. Reichtum ist ein zweischneidiges Schwert. 

Wo beginnt wirklicher Reichtum? 
 
Offiziell gibt es weltweit keine verbindliche Festlegung. Deshalb würde ich sagen, Reichtum beginnt da, wo man von der Rendite leben kann. Das ist in Bangladesch anders als in Tokio oder Zürich. Also sind Reichtumsgrenzen relativ. In den Armuts- und Reichtumsberichten der deutschen Bundesregierung beginnt Reichtum bei 3.000 Euro im Monat. Das halte ich für lächerlich. Wir operieren in unserer Forschung mit einer Reichtumsgrenze von drei Mio. Euro. Tatsache ist, dass wir ca. 13 Mio. Millionäre weltweit zählen und ca. 1.300 Milliardäre. Aber würde sich die Welt verändern, wenn die einen besonderen Beitrag leisten würden? 

Würde sie?

Es gibt eine Untersuchung des Ökonomen Jeffrey Sachs. Der hat berechnet, wie viel Geld gegeben werden müsste, um Armut zu beseitigen. In diesem Zusammenhang wäre das Ideale, wenn man 0,7 Prozent des BIP jedes Landes in dieses Projekt stecken würde – damit könnte man ext-reme Armut bis zum Jahr 2025 beseitigen. Diesen Betrag könnten auch die Reichen allein nicht auf die Beine stellen. Das entlässt sie sicher nicht aus der Verantwortung, aber zur Lösung dieses Problems bedarf es dennoch gesamtgesellschaftlicher Anstrengungen. 

Wie eine Finanztransaktionssteuer?

Eine Steuer auf Spekulation ist unverzichtbar. Das hat aber weniger mit Reichen zu tun. Wenn ich spekuliere und durch meine Spekulation der Reispreis steigt und Millionen Menschen hungern, ist das irrational. Ich bin aber kein Ökonom, mein Feld ist, was Vermögende tun.

Gehen Frauen anders mit Vermögen um als Männer? 

Die Rolle der Frau im Verhältnis zu Vermögen und Reichtum hat sich in den letzten zehn bis 15 Jahren gewandelt. Ich spreche da über den deutschsprachigen Raum. Sie üben in vielen Vermögensbelangen weit mehr Mitsprache aus, als dies traditionell der Fall war – vor allem bei familiären Vermögensfragen, in Bezug auf Stiftungen, soziale, humanitäre und philanthropische Projekte und in Erbschaftsangelegenheiten. Dennoch ist die Bedeutung des Einflusses der Frau in Vermögensverhältnissen größer als auf unternehmerischer Ebene: zu wenige Frauen in Vorständen, in Aufsichtsräten.

Ist wahrer Reichtum unsichtbar wie echte Armut?

In vielen Teilen der Welt ist Armut das Sichtbarste. Nur hier bei uns ist Armut in einem Nebel der Scham und der Abschottung gefangen. Mental und tendenziell versuchen auch die Vermögenden sich aus vielen Gründen der Sichtbarkeit zu entziehen. Nur die sich selbst inszenierenden Reichen wollen in die Medien – gucken Sie sich doch manche Karikaturen am Opernball an. Dass man vielen Selbstdarstellern eine mediale Plattform gibt, finde ich den arbeitenden BürgerInnen gegenüber eine Zumutung.

Kann man durch Arbeit reich werden?

Mit absoluter Sicherheit. Ein wohlhabendes, gelungenes Leben zu führen, ist meiner Ansicht nach nur durch Arbeit möglich. Die vielen Superreichen, die ich interviewt habe, da sind nur diejenigen einigermaßen glücklich, die arbeiten und immer wieder Sinnstiftung betreiben.
Meiner Ansicht nach gibt es ein Ungleichgewicht zwischen mit Arbeit verdientem Geld und dem durch Spekulation und Transaktion angehäuften Gewinn. Diese ungleiche Entwicklung müsste wieder auf ein normales Maß zurückgestuft werden. Ich urteile jetzt nicht über den Menschen: Aber zwischen einem Hedgefonds-Manager, der 200 Mio. im Jahr verdient, und einem Unterneh-mer, der 20.000 Arbeitsplätze geschaffen hat, gibt es einen gesellschaftlich relevanten Wider-spruch. Wir sollten versuchen, der tätigen Leistung wieder den Wert einräumen, die sie verdient.

In Ihrem Buch „Krieg der Scheinheiligkeit“ prägen Sie das Schlagwort „Konkrethik“ – was ist das?

Wir hören alle unfassbar viele Versprechungen, viele Prognosen. Schaut man den Großen der Welt zu, bekommt man ganz viele tolle Antworten. Subjektiv hingegen hat man das Gefühl, es wird immer schlechter und immer unglaubwürdiger.
Im Grunde ist Ethik eine Idealvorstellung. Ich glaube: Es kann im 21. Jahrhundert nicht um Idealvorstellungen gehen. Wenn Ethik nicht umgesetzt wird, ist sie völlige Makulatur. Und daher sage ich: Ethik ist nur mehr das, was wirklich umgesetzt wird – und das ist Konkrethik, die Verbindung zwischen Ethik und Umsetzungsverantwortung.
Wenn die Regierungen sagen, wir wollen Arbeitslosigkeit beseitigen, dann müssen wir sie beseitigen mit ganz konkreten Projekten und nicht zehn Jahre darüber reden.

Ihre Konkrethik?

Der gesellschaftliche Sinn der Vermögensforschung ist es auch, langfristig dazu beizutragen, Armut zu reduzieren. Nur das kann der konkrethische Sinn sein. Wir wollen die Hochvermögenden erforschen, mit ihnen kommunizieren und herausfinden, wie man Erfolg hat und Verantwortung übernimmt. Letztlich müssen wir alle einen Beitrag leisten, um die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen.

Wir danken für das Gespräch.

Zur Person
Professor Dr. Thomas Druyen
Geb. 1957 in Süchteln/Niederrhein
Studium der Fächer Jura, Soziologie, Publizistik und Philologie sowie Anthropologie an der Universität Colombo
1988 Mag. art, 1990 Promotion Dr. phil., 2004 Habilitation
1999–2004 Direktor am Institut für den Dialog der Generationen, Universität Györ
2006–2010 Institut für Soziologie, Direktor Forum für Vermögensforschung, Westfälische Wilhelms-Universität
2005–2007 Institut für Kultur- und Medienmanagement, Freie Universität Berlin
2000–2004 Vorstand der Peter-Ustinov-Stiftung
2003–2007 Direktor und wissenschaftlicher Berater bei der Privatbank der Fürstenfamilie von Liechtenstein 2004–2009 Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Kloster Steinfeld
Seit 2007 Professor des Lehrstuhls für Vergleichende Vermögenskultur, seit 2009 Vorstand des Instituts an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien

 

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