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Symbolbild zum Dramolett

Wer ist schuld an der Krise?

Dramolett von Beat Weber

Milton Friedman, John Maynard Keynes, Rosa Luxemburg und Karl Marx im fiktiven Streitgespräch
oder
die Geister schulenbildender Ahnherren und -frauen der politischen Ökonomie über die wahren Ursachen der aktuellen Wirtschaftskrise.

Herr Keynes, seit Ausbruch der Krise scheint sich alle Welt zu Ihnen zu bekennen. Überrascht Sie das?

John Maynard Keynes: Nun, ich war nicht der Erste und bin nicht der Letzte, der darauf hingewiesen hat, dass Finanzmärkte inhärent krisenanfällig sind. Denn auf Finanzmärkten werden die Preise von den Erwartungen der Marktteilnehmer getrieben, und alle, die sich an einen Trend ranhängen, können davon profitieren, solange der Trend anhält. Also gibt es Anreize, Warnsignale zu missachten und stattdessen die anderen nachzuahmen, solange sie erfolgreich sind.
Irgendwann – niemand weiß, wann genau – kann die Stimmung am Markt urplötzlich von Hoch- in Tiefstimmung kippen, und alle wollen nur noch verkaufen. So war das auch mit dem Immobilienboom der vergangenen Jahre in Ländern wie den USA, Großbritannien, Irland, Spanien und anderen.
Der ist mit Schulden finanziert worden, die immer weitere Preissteigerungen der Immobilien zur Voraussetzung gehabt hätten, um finanzierbar zu bleiben. Doch irgendwann war es aus.

Sie meinen also, die Krise ist eine Art unvermeidliches Ergebnis der Natur von Finanzmärkten?

Keynes: Nicht unvermeidlich! Es ist eine Frage der Regulierung, die hier entscheidend ist. Warum haben wir in den ersten Jahrzehnten nach 1945 kaum Finanzkrisen gehabt?
Weil die Politik aus der großen Depression der Zwischenkriegszeit, die auf den Börsenkrach von 1929 gefolgt ist, gelernt hat und in der Nachkriegszeit eine strenge Regulierung des Finanzsektors vorgenommen hat – nicht zuletzt auf meinen Ratschlag hin. Das hat Krisen verhindert!
Diese Lektion ist aber in jüngster Zeit in Vergessenheit geraten und man hat immer mehr dereguliert. Die Folge ist, dass Finanzmärkte zu viel Freiheit haben und somit immer mehr Risiken produzieren.

Können Sie dieser Diagnose etwas abgewinnen, Herr Friedman?

Milton Friedman: Es sind nicht irgendwelche Spekulanten – es ist die Politik, die Schuld an dem Schlamassel hat!
Denn woher bekam denn die ganze Blase, die Herr Keynes soeben so schön beschrieben hat, ihren Treibstoff? Durch die lockere Geldpolitik der amerikanischen Notenbank!
Statt die Geldmenge nach meiner Regel schön knapp zu halten, hat sie die Zentralbank unverantwortlich aufgebläht. Geld war einfach zu billig und im Überfluss vorhanden. Kein Wunder, dass daraus eine Kreditschwemme resultiert hat.

Keynes: Alle Schuld auf die Notenbank zu schieben, ist doch nichts als ein hilfloser Versuch, Ihren scheinbar unerschütterlichen Glauben an die Unfehlbarkeit von Märkten aufrechtzuerhalten.
Doch wie kann es sein, dass sich die ach so perfekten Finanzmärkte von der Zinspolitik der Notenbanken in die Irre führen lassen und nur wegen eines kurzfristig niedrigen Zinsniveaus absolut irrwitzige Kreditkonstruktionen aufbauen und windige Geschäfte eingehen, die ihnen selber auf den Kopf fallen? Auch in Staaten mit höherem Zinsniveau als in den USA ist es zu einer Blase gekommen, z. B. in Großbritannien.

Karl Marx: Also bevor sich die zwei Freunde von Markt und Staat hier weiter in die Haare kriegen, möchte ich doch für einen etwas fundamentaleren Blick auf die Sache plädieren.
Wir leben bekanntlich in einem System, das Kapitalismus heißt, und da ist der Staat kein Gegenpol zum Markt, sondern fungiert als ideeller Gesamtkapitalist, der das Funktionieren der Konkurrenz der Einzelkapitale zu sichern hat. Im Krisenfall muss er stabilisierend eingreifen. Und in die Krise gerät das System nicht, weil irgendwer zu gierig war oder einen Fehler begangen hat, sondern weil das System von Natur aus permanent auf eine Krise zusteuert.

Keynes: Aber das sage ich ja – der Staat muss gegensteuern, um die instabilen Märkte zu bändigen!

Rosa Luxemburg: Für Sie ist der Staat das gute Gegengewicht zum instabilen Markt, eine Art wohlwollender Diktator im Dienste des Volkes. Aber was ist denn in den letzten Jahren passiert? Der Staat hat nicht das Kapital gezähmt, sondern gefördert. Er hat alles getan, um neue Akkumulationsfelder für das Kapital zu schaffen.
Darauf ist der Kapitalismus angewiesen: auf die permanente Erschließung von bislang unerschlossenen Feldern für das Profitemachen. Das läuft nicht so nett, sondern bedeutet vielfach brutale Enteignung – und zwar nicht nur zu Beginn des Kapitalismus, wo Marx „primitive Akkumulation“ nennt, dass mit Waffengewalt die Landbevölkerung aus ihrer Selbstversorgerwirtschaft herausgerissen, von ihrem Land enteignet und zu freien Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeitern gemacht wird. Es passiert permanent!
Die Privatisierung der Gesundheitsvorsorge, die Privatisierung der Pensionsvorsorge, die Verwandlung des Rechts auf Wohnung in das „Recht“ auf einen Hypothekarkredit zur Anschaffung eines Hauses auf einem Markt, wo Häuser vom Wohnraum zum Anlageobjekt werden – all das sind politische Maßnahmen zur Marktschaffung.
Man könnte das „Akkumulation durch Enteignung“ nennen. Und die Widersprüche in diesem System haben es in die Krise getrieben.

Friedman: Auf Märkten werden Widersprüche durch den Preismechanismus und den Untergang von nicht wettbewerbsfähigen Unternehmern gelöst, von einer unausweichlichen Krisentendenz keine Spur.
Wenn es so etwas wie einen Widerspruch gegeben hat in den letzten Jahren, dann höchstens zwischen dem Einkommen der amerikanischen Haushalte und ihrem Konsumniveau. Gestützt von billigen Krediten dank der Notenbank, haben die Menschen einfach über ihre Verhältnisse gelebt!

Luxemburg: Wenn Sie die systematische Verelendung der amerikanischen Arbeiter- und Mittelklasse als „über die Verhältnisse leben“ bezeichnen wollen, bitte. Die Lohndrückerei des Kapitals hat in der Tat zu einer Stagnation der Massenkaufkraft geführt. Und den Wohlfahrtsstaat hat man auch zurückgefahren. Um die Leute trotzdem zum Konsumieren zu kriegen, hat man sie in die Verschuldung getrieben.
Das war auf die Dauer nicht aufrechtzuerhalten, und jetzt kommt die Rechnung: Der Kapitalismus muss den Grundwiderspruch, einerseits so geringe Löhne wie möglich zahlen zu wollen, um möglichst hohen Profit machen zu können, aber andererseits kaufkräftige AbnehmerInnen für sei-ne Produkte zu brauchen, irgendwie lösen. Mit der Expansion des Kredits der letzten Jahre hat er die Lösung dieses Widerspruchs nur temporär aufgeschoben.

Marx: Die Finanzialisierung der Ökonomie, also die Steuerung der Unternehmen über finanzielle Ziele und Eigentumstitel, die jederzeit verkauft werden können, die Globalisierung der Produktionsketten und der Abbau von erkämpften Rechten für Lohnabhängige haben den Flexibilitätsspielraum des Kapitals erhöht.
Auch den Spielraum, Verwertungsproblemen in der Produktion – ich nenne das Überakkumulation – durch Aufbau von fiktivem Kapital über Finanzgeschäfte temporär zu entgehen.
Doch letztlich kann Mehrwert nur durch die Ausbeutung lebendiger Arbeit geschaffen werden, deshalb platzen solche Blasen fiktiven Kapitals früher oder später, und das Kapital ist wieder auf die immer gleiche Frage zurückgeworfen: Wie kann ich neue Akkumulationsfelder erschließen, wie die Ausbeutung in bestehenden Feldern erhöhen?

Keynes: Ich denke, Sie sind da zu pessimistisch. Der Staat kann viel machen, um die Wirtschaft zu stabilisieren: Finanzmärkte regulieren, umverteilen, antizyklische Budgetpolitik betreiben, internationale Koordinierung.

Marx: Ich will Ihren Optimismus und Ihre Bewerbung als Samariter des Kapitalismus nicht trüben, aber das kommt mir doch reichlich naiv vor.
Der Leitimperativ lautet Konkurrenz, und dagegen kommt kein Weltrettungsplan, der auf weise Weltlenker vertraut, an. Nur die Lohnabhängigen als Kollektiv können sich darüber entheben – aber nur, indem sie das ganze Haus übernehmen und umbauen, nicht durch bloßes Verschieben der Inneneinrichtung.

Gesprächsführung: Beat Weber

Beat Weber ist Ökonom in Wien und schreibt regelmäßig für die Zeitung Malmoe.
Überarbeitete Kurzfassung eines Beitrags aus der Zeitung Malmoe
(Heft 46,www.malmoe.org):

www.malmoe.org/artikel/verdienen/1883

 

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