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Gesundheitsfaktor Führungskraft So kann es etwa Ziel einer betrieblichen Gesundheitsvorsorge sein, die betrieblichen Kommunikationsabläufe so zu gestalten, dass Stress erst gar nicht entstehen kann und Kolleginnen/Kollegen beispielsweise rechtzeitig informiert werden.
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Gesundheitsfaktor Führungskraft

Schwerpunkt

Der Führungsstil hat Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit und damit auch auf die Gesundheit von ArbeitnehmerInnen. Das belegt eine Reihe von Studien.

Der Fehlzeitenreport des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) 2012 stellt einen klaren Zusammenhang her zwischen Unternehmenskultur und der Zahl der Krankenstandstage. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Führungsqualität, und es zeigt sich, dass Beschäftigte, die insgesamt mit ihren Chefinnen oder Chefs zufrieden sind, weniger oft krank werden als der Durchschnitt. Nun wird selbst eine ausgesprochen verständnisvolle Führungskraft nicht verhindern können, dass sich Grippeviren verbreiten, ihr Verhalten hat aber sehr wohl Einfluss auf das psychosoziale Umfeld im Unternehmen und auf die notwendige Balance zwischen Anforderungen und stärkenden Ressourcen.

Mehr Mitsprache, seltener krank

Gerade im Hinblick auf psychische Erkrankungen (und gerade hier steigen die Krankenstandszahlen rapide) ist der Zusammenhang zwischen der täglichen (psychischen) Belastung und den dadurch entstehenden Gesundheitsproblemen unverkennbar. Typische Auswirkungen permanenter Fehlbelastung sind zum Beispiel Verspannungen des Muskelapparats insbesondere im Nackenbereich, Kopfschmerzen, Schlafprobleme, Bluthochdruck oder Verdauungsbeschwerden. Natürlich führt nicht jede Stresssituation automatisch zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung. Der von ArbeitnehmerInnen als „angenehm“ oder „motivierend“ empfundene Stress kann durchaus auch positive Effekte haben (z. B. Erfolgserlebnis, Anerkennung). Gerade hier macht der Führungsstil einen Unterschied und beeinflusst, ob sich Stress als krankmachend auswirkt oder nicht. Lässt eine Führungskraft keine freien Entscheidungsspielräume zu, wirkt sich das auch auf die Krankenstandstage aus. Bei der Untersuchung des WIFO stellte sich heraus, dass MitarbeiterInnen in Unternehmen mit viel Mitsprache 2012 durchschnittlich fünf Tage krank waren, wohingegen die Krankenstandstage in Unternehmen mit keiner Mitsprache durchschnittlich 13 Tage betrugen.
In mehreren medizinischen Untersuchungen aus den 1990er-Jahren konnte nachgewiesen werden, dass ein unausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeitseinsatz und erhaltener Belohnung (sogenannte „effort-reward-imbalance“) zu Herz-Kreislauf-Störungen führt.1 Eine wesentliche Führungsaufgabe liegt darin, die Arbeitsleistung von ArbeitnehmerInnen entsprechend zu bewerten. Die daraus entstehende „Entlohnung“ ist unter anderem in finanzieller Form zu leisten, besteht aber durchaus auch in einem wertschätzenden Feedback.

Technische „Hilfsmittel“

Die Verwendung mobiler Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wie Tablets, Smartphones und ähnlicher Geräte hängt maßgeblich von Führungskräften ab. Führungskräfte treffen Entscheidungen darüber, welche Beschäftigtengruppe die Geräte zur Verfügung gestellt bekommt, wie viel Zeit für die Beantwortung von E-Mails vorgesehen ist, ob Privatnutzung zulässig ist und ob im Gegenzug die geschäftliche Nutzung in der Privatzeit verlangt wird.
Immer häufiger werden mobile Endgeräte auch für gewöhnliche MitarbeiterInnen bereitgestellt. Studien variieren in ihren Angaben, wer in der Freizeit für Arbeitsthemen erreichbar ist. Die – meist aus deutschen Studien stammenden – Angaben schwanken je nach Auftraggeber zwischen 40 Prozent2, der Hälfte3 bis hin zu 84 Prozent4.
Die britische Gesellschaft für Physiotherapie belegt einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von IKT und Gesundheitsschäden. Wird häufig außerhalb der vereinbarten Zeiten für den Arbeitgeber gearbeitet, treten stressbedingte Schädigungen der Gesundheit auf, wozu insbesondere Haltungsschäden zählen.5
Das Meinungsforschungsinstitut IFES hat 2011 bei einer Analyse des Gesundheitsklima-Index festgestellt, dass gesundheitsschädigendes Arbeitsklima insbesondere durch hohen Zeitdruck und hohe Kontrolldichte empfunden wird – beides Faktoren, die mittels mobiler IKT zusätzlich verstärkt werden können. 60 Prozent der befragten österreichischen ArbeitnehmerInnen gaben an, dass ihre Gesundheit durch Zeitdruck belastet werde, was bei 39 Prozent der Befragten in Bezug auf ständige Kontrolle zutraf. ArbeitnehmerInnen, die sich durch ihre Vorgesetzten belastet fühlen, sind stärker von psychischen und physischen Gesundheitsbeeinträchtigungen betroffen als jene, die keinen Druck durch Vorgesetzte empfinden.

Zahlen für mehr Verfügbarkeit

An mehreren Orten wird bereits versucht, dieser Führungskultur des „allzeit bereit“ gegenzusteuern. Die kanadische Gewerkschaft für den Öffentlichen Dienst möchte beispielsweise die Rufbereitschaft per Handy explizit in die Tarifverträge mit aufnehmen. „Wer eine höhere Verfügbarkeit seiner Mitarbeiter will, soll dafür zahlen“, fordert der Gewerkschafter Ed Cashman.6 Betriebliche Beispiele sind vor allem in Deutschland medial bekannt geworden und reichen von beinhartem Abschalten bis hin zur sanften „Selbstverantwortung“. Ein weiteres Beispiel ist die von VW-Betriebsräten Ende 2011 durchgesetzte „Blackberry-Pause nach Dienstschluss“. E-Mails werden in einigen Abteilungen des Auto-Herstellers nach Dienstschluss nicht mehr auf die mobilen Endgeräte weitergeleitet. Die deutsche Telekom setzt bei diesem Thema mehr auf die Selbstverantwortung der MitarbeiterInnen, indem die Selbstverpflichtungserklärung festlegt, dass Erreichbarkeit nach Dienstschluss nicht erforderlich ist.
Im Sommer 2012 machte die deutsche Arbeitsministerin Ursula von der Leyen die ungesunde Kultur des Arbeitens in der Freizeit zu einem überbetrieblichen Thema und forderte eine gesetzlich verordnete Funkstille.
Das Verhalten von Vorgesetzten spiegelt meist das wider, was Vorgesetzte von ihren MitarbeiterInnen erwarten. Auch wenn dieser „kategorische Imperativ“ nicht dezidiert ausgesprochen wird, so zeigt das Führungsverhalten den MitarbeiterInnen, was für Spielräume vorhanden wären – und fördert so ganz von allein die Frage, ob diese sich ähnliches Verhalten nicht auch für sich selbst vorstellen könnten.
Wird beispielsweise der Acht-Stunden-Tag „abgeschafft“, die Arbeit mit nach Hause genommen oder der Schlafplatz unter den Büro-Schreibtisch verlegt, wie es eine Managerin bei Google, Marissa Mayer, in einem Interview vom März 2012 beschreibt7, kommen auch „normale“ MitarbeiterInnen unter Zugzwang.

Betriebliche Gesundheitsförderung

Gesundheitsfördernde Maßnahmen im Betrieb setzen daher nicht nur an der Verhaltensänderung an (wie es viele Betriebe mittels Kursen zur Rauchentwöhnung oder dem „gesunden Essen“ praktizieren), sondern wollen gesunde Verhältnisse schaffen, die auf die Unternehmensstrukturen und auf die Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen abgestimmt sind. Dieser strukturelle Ansatz zielt darauf ab, betriebliche Abläufe insgesamt gesundheitserhaltend zu gestalten. So kann es beispielsweise ein Ziel einer betrieblichen Gesundheitsmaßnahme sein, die betrieblichen Kommunikationsabläufe so zu gestalten, dass Stress erst gar nicht entstehen kann und Kolleginnen/Kollegen beispielsweise rechtzeitig informiert werden.
Für diese Herangehensweise braucht es die Sensibilisierung unter Führungskräften und ausreichend Willen und Wissen für die Umsetzung gesundheitsfördernder Maßnahmen.

1 Der Grazer Psychologe Paul Jiménez (2008) führt folgende Studien an: Siegrist 1990, Lynch 1997, Bosma 1998, Kuper 2002, Kivimäki 2002.
2 tinyurl.com/bzwzdkn
3 tinyurl.com/bg2n77h
4 tinyurl.com/29tba9t
5 tinyurl.com/ccptxfy
6 Die Presse von 19. Mai 2008.
7 http://tinyurl.com/bnnlst2

work@professional:
tinyurl.com/c2m45lp

Schreiben Sie Ihre Meinungan die Autorinnen clara.fritsch@gpa-djp.at isabel.koberwein@gpa-djp.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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