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Mangelerscheinungen Headhunter raten den ArbeitgeberInnen, ihr Blickfeld zu erweitern. Profile würden oft allzu eng gefasst. Wer nicht punktgenau ins Schema passe, falle aus dem Suchraster.

Mangelerscheinungen

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Die Wirtschaft beklagt den Mangel an Fachkräften. Arbeitskräfte aus dem Ausland sollen die Lücke schließen.

Davon, dass er händeringend gesucht wird, hat Anton F. nichts bemerkt. Der 37-jährige Burgenländer ist promovierter Doktor der Raumplanung, Magister in Geografie und derzeit auf verschiedenen Baustellen in Österreich tätig. Auf der Suche nach Arbeit hat er einige Hundert Kilometer zurückgelegt. Er hat offenbar die falschen Studienrichtungen gewählt.

Fachkräfte fehlen

Unter Fachkräften werden jene Personen verstanden, die über mindestens eine abgeschlossene Ausbildung verfügen. Es geht somit um die übergroße Mehrheit der ArbeitnehmerInnen im erwerbsfähigen Alter. Die Zahlen, an wie vielen Fachkräften genau es in Österreich mangelt, schwanken.
In Österreich fehlten bis zu 50.000 gut ausgebildete Fachkräfte, sowie Mittel- und TopmanagerInnen, schätzt Günther Tengel, Geschäftsführer des Headhunters Amrop Jenewein. Er könne auf Anhieb 20 Funktionen nennen, für die es in Österreich keine geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten gebe. Etwa im Bereich „Compliance, Risk, Trade Marketing oder IT“.
Die Suche auf das Ausland auszudehnen helfe allerdings nicht immer weiter. Denn der Mangel in diesen Jobprofilen sei grenzüberschreitend. Tengel rät den ArbeitgeberInnen, ihr Blickfeld zu erweitern. Profile würden oft allzu eng gefasst. Wer nicht punktgenau ins Schema passe, falle aus dem Suchraster.
Diskussion über Arbeitsmigration
Mit einer noch höheren Zahl fehlender Arbeitskräfte ließ der Chef-Ökonom der Industriellenvereinigung, Christian Helmenstein, aufhorchen. Der heimische Arbeitsmarkt könne sogar bis zu 60.000 Fachkräfte aus dem Ausland problemlos aufnehmen, ohne österreichische Arbeitskräfte zu verdrängen. In Spanien fehlen die Jobs, in Österreich die Fachkräfte: Es sei daher nicht unmoralisch, gut qualifizierte Arbeitskräfte aus Spanien aktiv nach Österreich abzuwerben, meint Helmenstein.
Die Diskussion über Arbeitsmigration in Österreich und in westlichen Industrieländern ist widersprüchlich. Einerseits reglementiert die EU die Mobilität von Arbeitskräften, andererseits unterstützt sie diese auch.
„Weltweit gibt es schätzungsweise 200 Mio. Personen, die als MigrantInnen in einem anderen Land leben, die meisten auf der Suche nach besseren Arbeitsbedingungen“, schätzt Norbert Cyrus, Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Manche arbeiten in Berufen, die hohe Qualifikation erfordern. Die Mehrheit aber ist in unqualifizierten Bereichen tätig. In Österreich sind laut Schätzungen rund 100.000 Migrantinnen und Migranten in irregulärer oder illegaler Beschäftigung – hauptsächlich in der Baubranche sowie im Pflege- und Reinigungssektor.
Um die legale Migration zu fördern, führten einige EU-Länder nach amerikanischem Vorbild eine sogenannte „Blue Card“ für Hochqualifizierte ein. In Österreich wird seit dem vergangenen Jahr mit der Rot-Weiß-Rot-Karte versucht, Schlüsselarbeitskräfte und Hochqualifizierte aus Drittstaaten ins Land zu holen.
Laut Fachkräfteverordnung 2013 gibt es in Österreich derzeit 24 Mangelberufe. Nach Personen mit Aus-bildung in diesen Berufen, zum Bei-spiel FräserInnen, DreherInnen, ElektroinstallateurInnen, IT-TechnikerInnen, LackiererInnen oder Krankenschwestern, verlangen die UnternehmerInnen dringend.
In einem Pflegeheim der Caritas in Wien etwa sind neun von zehn PflegerInnen aus dem Ausland, darunter viele aus der Slowakei und anderen EU-Staaten. Als Arbeitsmigrantinnen und -migranten gelten auch deutsche KellnerInnen in Tiroler Skihütten oder rumänische ErntehelferInnen.

Ein Grieche lernt am Wolfgangsee

Im Herbst 2012 machten Hotels und Gastronomiebetriebe des Salzkammerguts Schlagzeilen. Sie suchten in Griechenland nach Kellnern, Köchen, Hilfskräften und Lehrlingen.
Helmut Peter, Altwirt des bekannten Gasthofs „Weisses Rössl“, fuhr, wie er in einem Interview mit der Zeitschrift Format bekundete, (wegen eines Streiks) rund 800 km mit dem Leihwagen, um rund 140 Bewerbungsgespräche zu führen. Ein junger Grieche soll noch vor Mai im Gasthof am Wolfgangsee die Lehre beginnen.
Österreichweit waren im Dezember 2012 1.125 Personen aus Griechen-land und Spanien im Tourismus tätig. Die „Mitarbeiteroffensive“ habe das Schlimmste verhindern können, meldete Thomas Reisenzahn, Generalsekretär der Österreichischen Hotelvereinigung (ÖHV).

Keine Strategie

Vor dem Mangel an Fachkräften – quer durch alle Branchen – war bereits vor Jahren gewarnt worden. Wie haben die Unternehmen darauf reagiert?
Völlig falsch, wie eine Studie des Beratungsunternehmens Joshua Consulting besagt. Den meisten Unternehmen fehle eine vernünftige Personalstrategie. Statt konkreter Maßnahmen habe die Mehrheit der Personalabteilungen vor allem anlassbezogene Schritte gesetzt. Nur ein Zehntel der befragten Unternehmen verfüge über eine fachkräftespezifische Personalplanung, fast ein Drittel habe keine Strategie in dieser Hinsicht.
„Man sollte annehmen, dass Unternehmen diese ‚erfolgskritische Ressource‘ entsprechend pflegen“, fasst Barbara Joshua, Geschäftsführerin von Joshua Consulting, die Studienergebnisse zusammen. „Doch in vielen Fällen passieren gezielte Aktivitäten einfach aus dem Bauch heraus.“ Personalmaßnahmen wie Lehrlingsoffensiven, Führungskräfteentwicklung oder unternehmensinterne Aus- und Weiterbildung seien zurzeit noch nicht ausreichend belegt.
Einen neuen Begriff für die Vielzahl an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die nicht in Österreich geboren sind, gebe es nicht, meinte Martin Schenk, Integrationsexperte der Diakonie, Ende März 2013 im Ö1 Morgenjournal zum Thema „Moderne Gastarbeiter“. Der alte „Gastarbeiter-Begriff“ wird in Österreich aussterben, urteilt der Experte. „Das ist auch gut, denn es geht jetzt um Arbeitsmigration, gesteuerte Zuwanderung und Integrationsmaßnahmen.“
Das hieße auch, adäquate Jobs und Aufstiegschancen anzubieten. Hier hat Österreichs Politik einiges aufzuholen. Rund 40 Prozent der Zuwanderinnen und Zuwanderer, die bereits Ende der 1990er-Jahre nach Österreich gekommen sind, haben Maturaniveau oder mehr. Viele davon, meint der Arbeitsmarktexperte August Gächter vom Zentrum für Soziale Innovation in Wien, fänden in Österreich keine angemessene Arbeit. Immer noch gelte die Einstellung „Wer später kommt, muss unten anfangen, egal, welche Qualifikationen er mitbringt“.

Phantomdebatte?

Die Zahlen über den Fachkräftemangel schwanken. Manche bezweifeln, ob es ihn tatsächlich gibt. „Im strengen Sinn der vorherrschenden, marktorientierten Wirtschaftswissenschaft kann es gar keinen Mangel an Arbeitskräften geben“, urteilt Lars Niggemeyer vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in seiner Studie „Der ‚Fachkräftemangel‘: Zu den Hintergründen einer aktuellen Debatte“. Arbeitskräftemangel sei bekanntlich von steigenden Löhnen in Form von Abwerbeprämien und anderem mehr begleitet. Das momentane Lohnniveau sei also im Verhältnis zur Nachfrage noch zu niedrig.
Die Debatte über den Fachkräftemangel lenke von wirklichen Problemen ab. Wer Fachkräfte braucht, müsse sie entsprechend bezahlen und qualifizieren. „Die Arbeitgeber hingegen nutzen die Debatte, um auch in Zukunft über ein überreichliches Reservoir an Arbeitskräften verfügen zu können.“ Ihre Forderungen nach Ausweitung der Zuwanderung zielen darauf ab, das für sie günstige Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt beizubehalten.

Enormes Potenzial vorhanden

Fachkräftemangel und Niedriglohnstrategie passen nicht zusammen, schreibt Niggemeyer. Wenn Fachkräfte knapp würden, müsste auch deren Lohn steigen. Zudem gebe es bei Frauen, Älteren, Jugendlichen und bereits im Lande lebenden Migrantinnen und Migranten ein enormes Potenzial an geeigneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Link:
Lars Niggemeyer, DGB, „Der Fachkräftemangel: Zu den Hintergründen einer aktuellen Debatte.“:
tinyurl.com/ctzfnly

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

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