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Ursula Holtgrewe Man muss, glaube ich, die Veränderung der Arbeitswelt nicht nur mit Blick auf die technischen Möglichkeiten betrachten. Die fügen sich immer in betriebliche Strategien, Nutzungsweisen, Marktgelegenheiten ein.

Nicht wie ein Kaninchen vor der Schlange stehen

Interview

Ursula Holtgrewe zu alten Ängsten, neuen Technologien und Ingenieurslogik.

Zur Person
Dr.in Ursula Holtgrewe

Geb. 1962 in Berlin
Studium der Soziologie und Politikwissenschaften an der Philipps-Universität Marburg und am Goldsmiths’ College in London, Promotion im Graduiertenkolleg „Arbeit – Technik – Qualifikation“ an der Universität Kassel, Habilitation in Soziologie an der Universität Duisburg-Essen
1993–2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin, Habilitationsstipendiatin und Projektleiterin an der Universität Duisburg
2001–2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Innovationsforschung an der TU Chemnitz
Seit 2003 Privatdozentin für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen; Gast- und Vertretungsprofessuren an den Universitäten Duisburg-Essen, Mainz und Wien
2005–2006 Visiting Scholar an der School of Industrial and Labor Relations, Cornell University
Seit Frühjahr 2006 Teamleiterin für „Arbeit, Organisation, Internationalisierung“, seit März 2013 wissenschaftliche Leiterin bei FORBA

Arbeit&Wirtschaft: Dr.in Ursula Holtgrewe, Sie sind wissenschaftliche Leiterin der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA), die aktuelle Arbeit&Wirtschaft befasst sich mit „Modern Times“, neuen Technologien und deren Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Müssen wir uns fürchten?

Ursula Holtgrewe: Ich habe in den 1980er-Jahren meine Diplomarbeit über Bürorationalisierungen geschrieben. Damals gab es ja diese Frauen-und-Technologie-Debatten. Mit den enormen Automatisationsmöglichkeiten hat man damals die Vertreibung der Frauen aus den Büros befürchtet. Da haben sich die Firma Siemens und die technikkritischen GewerkschafterInnen in einer lustvollen Apokalypse getroffen, wenn Sie so wollen. Empirisch sind die Dinge dann völlig anders gelaufen. Das hat mir eine gewisse Skepsis gegenüber dieser Art von Prognosen eingebracht, nach denen die Arbeit der Zukunft in gewisser Art und Weise völlig anders aussehen wird als die Arbeit der Gegenwart. Die gibt es ja immer noch. Das stimmt im Allgemeinen nicht so ganz.

Unsere Arbeitswelt hat sich aber seit den 1980ern gigantisch verändert. Was ist gleich geblieben? 

Zum Beispiel die Tatsache, dass immer noch relativ viele Menschen ihrer Arbeit an einem dezidierten Arbeitsplatz nachgehen. Wenn Sie sich die Laptop- und Notebook-Werbung durch die Jahrzehnte ansehen, gibt es da immer diese Bilder, auf denen die Leute überall arbeiten usw. Die tun das möglicherweise auch und kontrollieren spätabends oder frühmorgens ihre E-Mails, aber eben nicht alle, nicht immer. Sei es Druck, sei es das Gefühl, die Dinge im Griff zu haben, beides spielt da eine Rolle. Aber diese Prognosen, wer alles eigentlich von zu Hause aus arbeiten könnte, sind nicht wirklich eingetroffen. Es pendeln immer noch Menschen, die möglicherweise durchaus die Technik zu Hause hätten, kilometerweit zu ihren Arbeitsplätzen.
Die Vorstellung, dass ein Betrieb etwas ist, wo Menschen zu bestimmten Zeiten zusammenkommen, um einen oder mehrere Jobs zu erledigen, ist doch nicht ganz so obsolet, wie man geglaubt hat. Die franst an anderen Stellen aus. Es gibt natürlich Branchen und Berufe, wo nicht im Betrieb gearbeitet wird – von Unternehmensberatungen bis zu Reinigungsfirmen. Da wird die Arbeit am Ort des Kunden getan – auch in der Pflege wird z. B. mobil gearbeitet. Das ändert Arbeitsbedingungen schon, dabei spielt Technologie natürlich eine Rolle. Man muss, glaube ich, die Veränderung der Arbeitswelt nicht nur mit Blick auf die technischen Möglichkeiten betrachten. Die fügen sich immer in betriebliche Strategien, Nutzungsweisen, Marktgelegenheiten ein. Das muss man sich in dieser Kombination vorstellen. Da geht es nicht um einzelne Arbeitsplätze oder Individuen. Es kommt ja auch auf die Arbeitsbedingungen, die Organisationsprozesse – wie managt man was – und natürlich die betrieblichen Kontroll- und Herrschaftsbedürfnisse an.

Der Zuzug in die Städte hält an. Vor zehn Jahren wurden Callcenter als Chance für abgelegene Regionen propagiert.

Das ist relativ selten umgesetzt worden. Das ist genauso wie mit diesen Telebüros. Letztlich brauchen Callcenter einen relativ verdichteten Arbeitsmarkt und siedeln sich – je nachdem welche Aufgaben sie erfüllen – eher in Ballungsräumen an. Man muss dazu sagen, dass die Standortverlagerungen im deutschsprachigen Raum auch ein wenig anders funktioniert haben als im angelsächsischen.

Warum? 

Das hängt mit der Sprache zusammen, und auch mit alten kolonialen, kulturellen Beziehungen – was die Menschen so als ihre vertrauenswürdige Umgebung betrachten.

Also ÖsterreicherInnen, die die deutsche Sprachfärbung stört?  
 
Ja, auch. Umgekehrt, bei deutschen Unternehmen mit österreichischen Tochterfirmen, ist das nicht so ein Problem. Natürlich hat es dann Neuansiedlungen in Ostdeutschland gegeben, aber nicht am flachen Land. Gerade Callcenter-Tätigkeit ist doch etwas, von dem man annimmt, man könnte das in Heimarbeit und virtuell machen. Es gibt da vereinzelte Fälle, aber das passiert tendenziell nicht flächendeckend. Callcenter leisten auch eine äußerst kontrollintensive Arbeit, bei der das Management wahrscheinlich auch gern die MitarbeiterInnen bei der Arbeit sieht und sie kurz ermahnen oder einen Verbesserungsvorschlag machen kann. Das ist auch so ein Fall, wo man sich eher an das Modell „Arbeitsplatz“ gehalten hat, als alle technischen Möglichkeiten auszureizen.
Und man überschätzt teilweise auch die technischen Möglichkeiten. Beim Zugriff auf Firmenserver oder bei Telekonferenzen gibt es weiterhin sicherheitstechnische und Bandbreitenprobleme. Auch auf der Technikseite sind diese Probleme bei Weitem nicht so gelöst, als man glauben möchte. Das ist ein weiterer Grund, sich nicht auf die jeweils wildesten Visionen zu stürzen. 

Stichwort Kontrolle. Man sagt ja auch: Von einem externen Arbeitsplatz aus kann man nur schwer aufsteigen. 

Ich vermute, dass das zutrifft. Es gibt so eine Logik von „aus den Augen, aus dem Sinn“. Der direkte Kontakt ist wichtig. Und auch elektronische Überwachungsmöglichkeiten brauchen ja eigentlich immer die Interpretationsleistung. Callcenter sind da ein gutes Beispiel: Die Manager dort haben mir erklärt, dass man aus Zahlen allein nicht viel ableiten kann. Man muss sie interpretieren. Wenn die dort auf einmal einen Leistungseinbruch oder starken Andrang an einem Tag haben, müssen die wissen, warum das so gewesen sein kann – das geht nur mit Gesprächen. Technische Kontrollen und Face-to-face-Kontrollen und Interpretationsleistungen auf beiden Seiten gehören zusammen.
Wenn die nicht sinnvoll zusammenhängen, hat man ein Problem bei den Arbeitsbedingungen. Kontrolle und Druck ist per se ein Problem, aber sinnloser Druck oder Intransparenz oder eine Kombination aus technischer Kontrolle und Willkür ist noch belastender als ordentlich verhandelte Kontrollen mit konstruktivem Feedback. 

Auch bei den Callcentern werden aber Menschen durch Maschinen ersetzt. 

Das wird praktiziert. Die Grenzen zur elektronischen Selbstbedienung sind fließend. Aber auch da gibt es kulturelle Unterschiede. Im deutschsprachigen Raum wird Spracherkennungssoftware sehr viel schlechter akzeptiert als im englischsprachigen Raum. Irgendwann gab es da eine Studie. Dafür haben die Menschen im deutschsprachigen Raum längere Wartezeiten akzeptiert. Anfragen, die per Sprachsoftware gelöst werden können, erledige ich lieber im Internet. Wenn ich ein Callcenter anrufe, habe ich spezifischere Anfragen. Die Spracherkennung führt sehr oft letztendlich durch Umwege zu längeren Gesprächen mit entnervteren Kunden. 

Eines Ihrer Themen ist die Genderfrage – was hat sich für die Frauen durch die neuen Technologien verändert? 

Diese Frage der Geschlechterungleichheiten kann man nicht allein mit Blick auf die Technik beantworten. Ganze Generationen von Pädagoginnen und Päda  gogen haben Fragen von Geschlechterunterschieden im Technikzugang bearbeitet. Das ist mittlerweile Gott sei Dank schon ziemlich gefrühstückt. Bei den Zugangsbarrieren und Berufswahlstrukturen in den technischen Berufen spielt das möglicherweise eine Rolle, aber auch die potenziellen Nachwuchsingenieurinnen möchten – glaube ich – nicht mehr mit dem Begriff eines „weiblichen Technikzugangs“ bedacht werden.  
Wie sich Arbeitswelten für Frauen verändert haben, hängt wahrscheinlich sehr, sehr viel mehr an existierenden Arbeitsteilungen, an der Fragmentierung von Jobs, daran, dass es Teilzeit sehr häufig in arbeitsintensiven, gering entlohnten Branchen gibt, die sich in Deutschland und Österreich damit über ihre Flexibilitäts- und Managementprobleme hinwegmogeln. Dabei erzeugen sie neue Probleme, weil man größere Kopfzahlen auch aufwendiger koordinieren muss. Wir haben in den vergangenen Jahren ja auch über Bereiche wie Reinigungsgewerbe und Pflege geforscht. Da spielen übrigens ziemlich banale neue Technologien eine relativ zentrale Rolle, nämlich Mobiltelefone. Kurzfristige Einsätze, Umdisponierungen oder geteilte Schichten lassen sich einfach per Handy koordinieren – das macht es möglich, mehr Leute kurzfristiger einzusetzen, erhöht aber auch den Arbeitsdruck auf die Beschäftigten enorm. ObjektleiterInnen im Reinigungsgewerbe z. B. hängen teilweise wirklich von morgens früh bis abends spät am Telefon. 
Ich weiß nicht, wie man das früher organisiert hat, da gab es noch nicht so viele ausgesourcte Reinigungsfirmen. Das sind so Technikwirkungen im Zusammenhang mit Organisationsformen, mit Flexibilisierungen. Da kann man nicht sagen, das macht jetzt nur die Technik, das macht nicht die Technik.
In der Pflege zum Beispiel, wenn die Leute per Organizer oder Smartphone eingesetzt werden, ist die Technik oft weniger das Problem, als die Zeitvorgabe. Man kontrolliert dabei wahrscheinlich weniger, was wirklich an Arbeit geleistet wird, sondern die Zeitvorgaben. Und die Beschäftigten haben das Problem, das, was sie real tun, was zu erledigen ist, irgendwie mit den Dokumentationsanforderungen abzustimmen. Die menschliche Kreativität, die so ein Beruf tatsächlich braucht, wird also auf den Umgang mit dem System konzentriert. 
 
 
Erleichtern technische Geräte den Haushalt und bringen sie den Frauen mehr Zeit? 

Das ist ein klassisches Ingenieursmissverständnis. Immer wieder lesen wir von Smarthome und davon, Haushaltstechnologien ans Internet zu hängen. Das spießt sich: Ich fände es auch sehr praktisch, den Backofen vom Handy aus einzuschalten, aber das setzt voraus, dass vorher ein Mensch den Auflauf, auf den ich mich freue, zubereitet und hineingestellt hat. Was ich mit Ingenieurslogik meine, ist der Hang dazu, sich auf den Teil der Probleme zu konzentrieren, die man lösen kann, für die man eine Technologie bereitstellen kann, aber den Kontext, in dem das Ganze sich abspielt, zu vernachlässigen. Und/oder doch explizit vorauszusetzen, dass noch irgendwer zu Hause oder am Arbeitsplatz oder sonstwo ist, der die Vor- und Nacharbeiten macht.
Dieser Mechanismus ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Beiträge dieser feministischen Technikdiskussion, die es seit Jahrzehnten gibt. Nicht, dass es spezifische Technikzugänge gibt – kann sein, kann nicht sein, keine Ahnung. Nicht, ob Frauen lieber rosafarbene Smartphones nützen – das kann man gerne dem Markt überlassen. Aber die Vorstellung, Arbeit als etwas, das man aus einem größeren Fluss an Aktivitäten herausschneidet und rationalisiert und tunt und ingenieursmäßig neu erfindet, versus die notwendigen Vor- und Nacharbeiten, die man nicht loskriegt und bei denen es immer wieder relativ nahe liegt, sie zu externalisieren, sie entweder auf billigere Arbeitskräfte zu verlagern oder gleich im Haushalt machen zu lassen. Dieser Mechanismus kann durchaus auch unbezahlte häusliche „Männerarbeit“ sein, wie den billigsten Handytarif zu suchen. Da weiß ich nicht, ob es da eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Haushalten gibt. Man tunt irgendetwas und versucht natürlich es, im Lichte einer Firma, eines Serviceanbieters, eines Unternehmens zu optimieren. Aber der Rest muss trotzdem gemacht werden. Und zwar durch wen und wie und was?

Wo sehen Sie die Herausforderungen für die Gewerkschaften in diesen „Modern Times“?

Was durchaus schon passiert, nur nicht schnell genug und manchmal etwas zu kleinteilig, ist das Auseinandersetzen mit dieser Kombination aus Technologien und vervielfältigten Beschäftigungsformen. Sie müssten Themen und Akteure zusammenbringen und mit Playern reden, die außerhalb der klassischen Sozialpartnerschaft liegen, siehe diese Diskussion über „grüne Jobs“. Wenn es grüne Jobs gibt, bedeutete das von den Arbeitsbedingungen her überhaupt nicht, dass die nun besser und schöner und gesünder sind. Im Gegenteil: Müllsortieren ist ein beinharter Fließbandjob. Auch in diese Themen, die politisch gerne unter dem Etikett „große Herausforderungen“ diskutiert werden, reingehen und dort mitreden, wo es spannend wird. Nicht bei diesen ganzen Technikprognosen wie ein Kaninchen vor der Schlange stehen und überlegen, wie schlimm das in Zukunft werden könnte, sondern zu schauen, was liegt in der Gegenwart an, und was können wir Sinnvolles dazu sagen. Das muss überhaupt nicht immer die alte Technikskepsis sein, dass das alles böse ist und kontrollierend und so weiter.
Man kann mit neuem Technikeinsatz immer wieder sinnvolle Dinge auch für die ArbeitnehmerInnen tun, z. B. Arbeitsspitzen abfedern. Da könnte sogar so was Unbeliebtes wie Spracherkennung im Callcenter eine Funktion für die Beschäftigten haben. Oder beim Reinigungsgewerbe: In Norwegen ist es z. B. relativ normal, dass Büroreinigung tagsüber stattfindet. So was muss nicht vor und nach der Normarbeitszeit passieren. Da helfen Technologien, die reinigen mehr trocken und mit Microfaser. Die Firmen in Österreich sagen, dem traut der Kunde nicht. Bei technisch-sozialen Möglichkeiten, die gerade in den Dienstleistungen diesen ungleichmäßigen Arbeitsanfall abfedern können, da gibt es, glaube ich, einige Lösungen zu finden, um eben auch von Problemen wie der kleinteiligen, kurzen Teilzeit in vielen Frauenbranchen wegzukommen. Es kann passieren, dass man dann netto weniger Arbeitsplätze schafft, aber wenn die etwas existenzsichernder wären und/oder kalkulierbarere Arbeitszeiten hätten, hätte man etwas gewonnen.  

Wir danken für das Gespräch. 

Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt:
www.forba.at

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