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An 1.000 Schrauben drehen Gewerkschaftsarbeit ist kein Projekt, sondern eine ewige Mission. Daher das Motto "Unsere Mission: Gerechtigkeit".

An 1.000 Schrauben drehen

Interview

ÖGB-Präsident Erich Foglar spricht anlässlich des 18. Bundeskongresses mit Betriebsrätin Szilvia Leisser und Betriebsrat Roland Auböck über Erfolge und Ziele.

Zur Person
Erich Foglar
Geboren: 19. 10. 1955 in Wien
Erlernter Beruf: Werkzeugmacher
1979 – 1987 Betriebsrat (von 1982–1987 freigestellt)
1985 – 1987 Stv. Vorsitzender des Arbeiterbetriebsrates
1984 – 1987 Bildungsreferent der Bezirksleitung Wien-Südwest
1987 – 1988 Sekretär der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie (GMBE)
1988 – 1992 Zentralsekretär-Stv. der GMBE/Finanzreferat
1992 – 9. 5. 2006 Zentralsekretär der GMBE (15. Gewerkschaftstag), ab 2000 Gewerkschaft Metall-Textil
29. 3. 2006 – 16. 5. 2006 Leitender Sekretär des ÖGB für Finanzen
9. 5. 2006 – 1. 12. 2008 Vorsitzender der Gewerkschaft Metall-Textil-Nahrung (GMTN) (1. Kongress GMTN/Fusion von Gewerkschaft Metall-Textil und Gewerkschaft Agrar-Nahrung-Genuss)
Seit 24. 1. 2007 Mitglied im Vorstand des Österreichischen Gewerkschaftsbundes
1. 12. 2008 – 2. 7. 2009 Geschäftsführender Präsident des ÖGB
2. 7. 2009 Wahl zum Präsidenten des ÖGB beim 17. Bundeskongress

Szilvia Leisser, 49 Jahre alt, Betriebsratsvorsitzende von DHL Logistik Service GmbH, Gewerkschaftszugehörigkeit: GPA-djp Niederösterreich. Teilnehmerin des 62. SOZAK-Lehrgangs.
Roland Auböck, 38 Jahre alt, Betriebsratsvorsitzender Siemens AG Österreich, Gewerkschaftszugehörigkeit: PRO-GE Oberösterreich. Teilnehmer des 62. SOZAK-Lehrgangs.

Arbeit&Wirtschaft/SOZAK: Das Motto des 18. ÖGB-Kongresses im Juni 2013 lautet „Unsere Mission: Gerechtigkeit“. Welche Themenschwerpunkte beinhaltet diese Mission für den ÖGB?

Erich Foglar: Das Arbeitsprogramm ist sehr umfangreich: 17 Kapitel, in denen sich viele einzelne Forderungen wiederfinden. Zusammengefasst geht es uns um Gerechtigkeit, da sehen wir vier Hauptthemen: Verteilungsgerechtigkeit, soziale Sicherheit, Chancengleichheit und Mitbestimmung. Das sind die vier Grundsäulen, an denen sich die Themenbereiche orientieren. Gewerkschaftsarbeit ist kein Projekt, sondern eine ewige Mission. Daher das Motto „Unsere Mission: Gerechtigkeit“.
Verteilungsgerechtigkeit beginnt im Betrieb: Die Basis für die Lohngestaltung dort ist der Kollektivvertrag (KV). Neben den KV-Verhandlungen geht es aber auch um Steuergerechtigkeit und darum, wie man Steuerbelastungen verteilt. Wie verteilen sich Kapital und Arbeit, was ist der Anteil? Das Problem ist, dass die Gewerkschaften sehr gute Lohnabschlüsse verhandeln, aber netto bleibt zu wenig übrig. Wir sind im Vergleich zu Millionären und Vermögen nämlich überproportional mit Steuern belastet. Wir sind – im Gegensatz zu vielen anderen – nicht dafür, dass der Staat immer weniger einnimmt. Vor allem die Schwächeren in unserer Gesellschaft brauchen dringend die Leistungen. Daher wollen wir, dass der Staat ausreichend Einnahmen hat. Es geht um eine Veränderung des Steuersystems, bei dem für die ArbeitnehmerInnen mehr Netto vom Brutto rausschaut und wo Millionäre einen faireren Beitrag leisten. Verteilen betrifft auch die soziale Sicherheit. Die hat uns in der größten Krise vor dem Absturz bewahrt. Stellen wir uns vor, wir hätten keine Kurzarbeit gehabt, keine Arbeitslosenversicherung. Das wäre eine Katastrophe gewesen. Daher ist es uns sehr wichtig, dass die Sozialsysteme gesichert werden.
Zum Bereich Chancengleichheit: Da steht ganz vorne Bildung. Bildung, Ausbildung, Weiterbildung ist das Um und Auf, damit die Menschen in Zukunft Arbeit haben und das Risiko der Arbeitslosigkeit reduziert wird. Wir haben auch deshalb die Krise besser überstanden, weil wir seit Jahrzehnten eine geringere Jugendarbeitslosigkeit haben als viele andere Länder. Wir haben die duale Berufsausbildung, gepaart mit dem HTL-System. Wir brauchen aber eine Weiterentwicklung und Verbesserung der dualen Berufsausbildung und vor allem eine Qualitätssicherung. Das ist das einzige österreichische Ausbildungssystem, in dem es keine Qualitätssicherung gibt. Gleichzeitig muss auch unser Pflichtschulsystem wesentlich verbessert werden.
Man muss das umfassend betrachten, ab dem Kindergarteneintritt mit vier Jahren bis zum 15. Lebensjahr in einer Gesamtheit. Mit 15 Jahren soll niemand mehr aus der Schule kommen, der nicht die Basics beherrscht: Schreiben, Lesen, Rechnen und soziale Kompetenzen. Man muss dabei auch die Berufsberatung ab der 6. Schulstufe ausbauen. Da geht es nicht darum, dass sich die jungen Menschen dann schon entscheiden sollen, was sie werden wollen, aber es wäre hilfreich, ihre Stärken und Schwächen zu kennen, um sie zu unterstützen.
Chancengleichheit betrifft natürlich genauso den Arbeitsmarkt. Es geht uns um Chancengleichheit von Frauen und Männern. Tatsache ist, wir sind Schlusslicht, was die Angleichung von Frauen- und Männereinkommen betrifft, auch wenn man den hohen Teilzeitanteil bei Frauen herausrechnet. Es geht bei Chancengleichheit aber auch darum, für Menschen, denen es nicht so gut geht im Leben – Menschen mit Behinderung, mit Migrationshintergrund und andere – faire Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Der ÖGB hat mit einer Demo die Forderung aufgestellt: „Rettet die Jugend, nicht nur die Banken.“

Der Slogan spiegelt den Ärger über die Untätigkeit und Passivität gegenüber dem Problem Jugendarbeitslosigkeit wider. Jürgen Michlmayr von der ÖGJ hat gesagt: „Warum kümmert sich niemand so um die Jugendarbeitslosigkeit wie um die Banken?“ Nach dem Motto: Wäre die Jugend eine Bank, hättet ihr sie schon längst gerettet.
Wesentlich ist, dass die EU das aufgegriffen und eine Ausbildungsgarantie vorgeschlagen hat. Auch wenn es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, dass die EU jetzt sechs Milliarden Euro im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit bereitstellt. Sicher – für die Banken hat man Billionen, nicht Milliarden aufgewendet. Aber diese Summe soll ja ein Anreiz für die Staaten sein, das soll Programme initiieren. Tun müssen aber die Staaten selbst etwas. Auch im Falle eines 100-Milliarden-Topfes in der EU müssten die Staaten selbst handeln. Am Ende des Tages steht die Frage: Bringe ich diese jungen Menschen an einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz unter oder nicht? Entscheidender als die Summe ist doch, wie das Geld genutzt wird.

Beim 17. ÖGB-Bundesfrauenkongress erklärten die ÖGB-Frauen: „Der Kampf um tatsächliche Gleichstellung von Frauen kann nur in Koalition mit fortschrittlichen Männern in ÖGB und Bundesregierung an Tempo gewinnen.“ Was ist seither geschehen?

Wir haben gemeinsam mit den Sozialpartnern und der Frauenministerin das Transparenzgesetz geschaffen. Das Transparenzgesetz ändert gar nichts am Einkommensunterschied. Aber es ist ein Werkzeug, das uns die Möglichkeit gibt, aufzuzeigen, wo Probleme sind, wo es Diskriminierung gibt, wo Frauen schlechter eingestuft werden. Zur Umsetzung gibt es auch Sanktionen, wenn auch sehr schwache. Entscheidend aber ist der Betriebsrat, der damit arbeiten muss. Die Mehrzahl der ArbeitnehmervertreterInnen sind noch immer Männer. Wenn eine Mehrzahl in der Betriebsratskörperschaft sagt, das interessiert uns nicht, wird nichts geschehen. Wenn der Betriebsrat aber das Problem erkennt und sagt, da hätten wir Handlungsbedarf, kann er beginnen mit der Unternehmensleitung gegenzusteuern und zu verändern. Dann werden wir die Situation verbessern. Es geht nur gemeinsam: Frauen und Männer. Einkommensgerechtigkeit ist ein Teil der Verteilungsgerechtigkeit und Thema der Gesamtorganisation ÖGB. Gemeinsam kämpfen wir z. B. für bessere Kinderbetreuungseinrichtungen und gegen diskriminierende Bestimmungen im KV. Es geht nur miteinander, im Großen wie im Kleinen: Die Aufteilung der Familienarbeit geht ja auch nur, wenn es beide wollen.

Es gibt am ÖGB-Kongress einige Forderungen zur Mitbestimmung der Betriebsräte. Großkonzerne sind immer mehr in Europa bzw. weltweit tätig. Sind nicht die Mitbestimmungsrechte der nationalen Betriebsräte weiter zu stärken und auszuweiten? 

Diese Situation gibt es schon lange und sie wird mit zunehmender Internationalisierung stärker sichtbar. Ich komme von Philips und kenne das seit dem ersten Arbeitstag. Natürlich ist es gut, dass wir immer dann, wenn das Unternehmen etwas nicht einhält, Sanktionen fordern – zum Beispiel unser Recht auf Information.
Meine Erfahrung ist: Wenn der Betriebsrat informiert ist, kann er sich auf Dinge einstellen, etwas dagegen unternehmen und sich Unterstützung holen. Aber am Ende des Tages kommt es darauf an: Kann ich etwas beeinflussen, kann ich etwas verhindern? Je nachdem wie stark der Betriebsrat aufgestellt ist, wie viele Kolleginnen und Kollegen hinter ihm stehen – so gut wird das Ergebnis sein. Es geht uns auch darum, dass die Unternehmen wissen sollen, dass es in Österreich Gesetze gibt, die auch sie einhalten müssen. Und wir wissen alle, dass ein Gesetz ohne Konsequenz wirkungslos bleibt. Es geht darum, Interessenpolitik für die Beschäftigten auf Betriebsebene zu machen. Natürlich wird es das auch weiterhin geben, dass das Unternehmen den Betriebsrat informiert und sich seine Vorschläge anhört und trotzdem nicht darauf eingeht – das kann man leider nicht sanktionieren. Wir müssen daher auch die Mitbestimmung auf europäischer Ebene verstärken.

Wäre ein europäischer Mindestlohn denkbar?

Es geht darum, dass es grundsätzlich einen Mindestlohn gibt. Aber wie definiert man ihn? Man kann ihn nicht an einer Zahl festmachen, aber es kann funktionieren, indem man sagt, in jedem Land muss der Mindestlohn z. B. 50 Prozent des Median-Einkommens betragen. Wie kommt man nun zu diesem Mindestlohn?
Da gibt es im Wesentlichen zwei Wege und da scheiden sich auch die Geister innerhalb der europäischen Gewerkschaften. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat immerhin 85 Gewerkschaften. Die einen wollen oder haben bereits einen gesetzlichen Mindestlohn, die anderen wollen oder haben einen kollektivvertraglichen Mindestlohn. Zu letzteren gehören wir. Der Unterschied ist ganz klar, weil die Rahmenbedingungen die Position bestimmen. Wir mit unserem Pflichtsystem in der Arbeiterkammer und in der Wirtschaftskammer haben eine eigentlich sehr komfortable Situation. Dadurch können wir 95 Prozent der Arbeitsverhältnisse kollektivvertraglich regeln. Die Unternehmen können nicht aus dem KV austreten, in Deutschland oder anderen Ländern ist das möglich. Es ist für uns gescheiter, die Mindestlöhne auf KV-Ebene festzulegen, weil es branchenweise Unterschiede gibt. Daher und auch aus politischen Gründen wollen wir keinen gesetzlichen Mindestlohn. Das gehört zur Tarifvertragsautonomie der Sozialpartner. Löhne sind Machtfrage und eine wirtschaftliche Frage, und das gehört sinnvollerweise in die Branche. Und ich will eigentlich nicht, dass ein Mindestlohn von politischen Konstellationen abhängig ist, beschlossen von einem Parlament je nach politischer Zusammensetzung.

Viel diskutiert wird derzeit die Forderung nach einer sechsten Urlaubswoche für alle, die bereits 25 Dienstjahre in ihrem Arbeitsleben gearbeitet haben, unabhängig von der Betriebszugehörigkeit. Ist das realistisch?

Unser Arbeitsprogramm ist nicht kurzfristig angelegt, da geht es um Ziele für die nächsten fünf Jahre. Und meistens sind diese Fristen sogar zu kurz. Wir wollen diese Maßnahmen als Belastungsreduzierung. Die Arbeitswelt wird jeden Tag härter, schneller und brutaler. Wir bezahlen dafür gesamtgesellschaftliche Kosten für Burn-out oder für psychische Erkrankungen, die mittlerweile hauptverantwortlich sind für Invaliditätspensionen. Wir sollen länger in Arbeit bleiben, weil wir ja das faktische Pensionsalter anheben wollen. Wir müssen also länger gesund auf einem Arbeitsplatz verweilen, und wollen dann noch gesund in die Pension gehen. Die sechste Urlaubswoche nach 25 Arbeitsjahren im Betrieb sollte eine zusätzliche Erholungswoche bringen. Von den 1,7 Mio., die schon mehr als 25 Arbeitsjahre haben, haben derzeit 515.000 ArbeitnehmerInnen eine sechste Urlaubswoche. Das Gesetz dazu gibt es seit 30 Jahren – was konkret in unserer Forderung steht, ist der leichtere Zugang zur sechsten Urlaubswoche. Seit 1983 gab es gewaltige Veränderungen in der Arbeitswelt. Damals gab es keine 70.000 ZeitarbeitnehmerInnen. Und wir haben 800.000 Betriebswechsel pro Jahr. Daher fordern wir einen leichteren Zugang zu einer sechsten Urlaubswoche – immer weniger kommen ja in den Genuss dieses Gesetzes, es droht, zu totem Recht zu werden. Im Laufe der Zeit werden wir versuchen, das Stück für Stück umzusetzen. Genauso haben wir ja auch viele KV weiterentwickelt. Wir müssen die Arbeitswelt anders gestalten. Wir brauchen alternsgerechte Arbeitsplätze. Wir brauchen Rehabilitation vor Pension, Belastungsreduzierung – das geht über Überstundenreduzierung und mehr Urlaub.
Zum Vorschlag mit einem Euro Arbeitsmarktabgabe pro Überstunde: Wir haben im Jahr 2012 300 Mio. Überstunden geleistet, 60 Mio. sind nicht bezahlt worden. 70 Prozent dieser Überstunden sind im Dienstleistungsbereich geleistet worden. Wir wollen einen Euro Arbeitsmarktabgabe – dadurch hätten wir 300 Mio. Euro für den Arbeitsmarkt. Wir wollen 150 Mio. für das AMS zurück, um alternsgerechte Arbeitsplätze zu fördern und zu stützen. Und wir wollen 150 Millionen Euro für das Gesundheitssystem haben, um die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit zu bekämpfen. Immerhin sind die Überstunden ein wesentlicher Mitverursacher der Stresserkrankungen. Österreich hat mit fast 43 Wochenstunden eine der höchsten effektiv gearbeiteten Arbeitszeiten in Europa.

Was war der größte Erfolg in den letzten vier turbulenten Jahren?

Für mich gibt es keinen größten Erfolg, sondern unsere Arbeit ist ein Gesamtkunstwerk. Vieles, was für uns selbstverständlich ist, wäre nicht so, wenn es die Gewerkschaften, den ÖGB nicht gäbe. Manche vermissen die Highlights früherer Jahre. Aber die Bedingungen haben sich geändert. Wir drehen an 1.000 Schrauben, und das ist viel mehr Arbeit als ein Highlight.

Wir danken für das Gespräch.

Mehr Infos zum Kongress:
www.bundeskongress.at

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