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Armut ist ein schlechter Koch Am Stammtisch könnte die Modernisierungstheorie wie folgt wiedergegeben werden: "Die da unten sind ja an ihrem Elend selber schuld! Prost!"
Buchtipp

Armut ist ein schlechter Koch

Schwerpunkt

Weltweit leiden 1,8 Mrd. Menschen unter mangelnder Ernährung. Wie kann die Zahl der Hungernden reduziert und globale Gerechtigkeit verwirklicht werden?

Jährlich sterben 18 Mio. Menschen an der Folge von Unterernährung; alle fünf Sekunden verhungert ein Kind. Kommen akute Dürre-Katastrophen hinzu, sprechen manche Berechnungen sogar vom Tod im „Drei-Sekunden-Takt“. Die große Mehrheit der Hungernden (98 Prozent) lebt – wenig verwunderlich – in Entwicklungsländern. In der westlichen Welt zählen hingegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgrund von Überernährung zu den häufigsten Todesursachen. Es klingt schon zynisch, dass in diesem Zusammenhang die weltweite Studie „Global Burden of Disease“ zu dem Schluss kommt, dass Überernährung problematischer sei als Nahrungsmangel.

Krankheit der Armen

Aber Hunger ist natürlich nicht die einzige globale Ungerechtigkeit dieser Welt – Unterernährung ist letztlich die Folge grassierender Armut. In der jüngsten Ausgabe von „WeltverbesserIn“, einem österreichischen Magazin, das sich für faire Arbeitsbedingungen weltweit einsetzt, heißt es: „Im Jahr 2010 lebten weltweit 917 Mio. arbeitende Menschen in Haushalten mit einem Einkommen von unter zwei US-Dollar pro Tag und Kopf, 495 Mio. sogar mit weniger als 1,25 US-Dollar.“ Wohlgemerkt: Hier handelt es sich um die sogenannten „working poor“, hinzu kommt noch eine breite Masse, die überhaupt keinen regelmäßigen Job findet. Laut Schätzungen der Weltbank müssen daher insgesamt sogar 1,4 Mrd. Menschen mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen – was der von der Weltbank festgelegten Grenze für „extreme Armut“ entspricht. „Bei Zugrundelegung der Zwei-US-Dollar-Grenze, einer Richtgröße für ,allgemeine Armut‘, beträgt die Zahl der weltweit in Armut lebenden Menschen 2,6 Mrd.“, heißt es seitens der KfW Entwicklungsbank. Ein Konzept für nachhaltige Armutslinderung und somit auch Bekämpfung des Hungers lautet deshalb: Arbeit schaffen – und zwar unter fairen Bedingungen. Eine Forderung, die sich in der Realität leider sehr oft nicht widerspiegelt.

Lohnkosten 18 Cent/T-Shirt

Ein anschauliches Beispiel für ausbeuterische Verhältnisse liefert die Bekleidungsindustrie ab: Trotz Arbeitswochen von 50 Stunden und mehr können sich unzählige Beschäftigte in Entwicklungsländern kein menschenwürdiges Leben leisten. Um Näherinnen und Nähern einen existenzsichernden Verdienst zu ermöglichen, müssten die Lohnkosten pro produziertem T-Shirt von 18 auf 45 Cent angehoben werden, so die jüngsten Berechnungen der Fair Wear Foundation. In einem Geschäft in Österreich würde das „Leiberl“ dann 27 Cent mehr kosten. Für heimische Konsumentinnen und Konsumenten eine Lappalie, für die Betroffenen in der Dritten Welt ein Quantensprung: Millionen ArbeiterInnen könnten sich ausreichend Nahrungsmittel leisten, ihre Kinder in die Schule schicken und bei Bedarf Medikamente kaufen.
Das Beispiel aus der Bekleidungsindustrie zeigt deutlich auf, dass die Situation der Dritten Welt stark von ihrer wirtschaftlichen Beziehung zu reichen Industrienationen abhängig ist. Deshalb gilt Dependenz (Abhängigkeit) auch als ein Schlüsselbegriff zur Erklärung von Unterentwicklung. Die Ende der 60er-/Anfang der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts in Lateinamerika entstandene Dependenztheorie zieht folgende Schlüsse: Unterentwicklung ist auf die Eingliederung ehemaliger Kolonien in den von den kapitalistischen „Metropolen“ (Industriestaaten) beherrschten Weltmarkt zurückzuführen. Die Entwicklungsländer sind laut diesem Modell hoffnungslos unterlegen: Sie exportieren (billige) Rohstoffe und müssen (teure) Fertigwaren, die zu einem Gutteil aus den gelieferten Rohstoffen hergestellt werden, importieren. Das erweitert das Handelsdefizit und führt zu steigender Verschuldung der Entwicklungsländer bei den – erraten – Industrienationen. Der wachsende Schuldenberg erhöht die Abhängigkeit, außerdem macht die Konzentration auf einen Wirtschaftszweig (zum Beispiel Kaffeeanbau) die Ökonomie der Entwicklungsländer von teilweise spekulativ gesteuerten Weltmarktpreisen abhängig und somit extrem verwundbar. Von den ökologischen Kosten der Monokulturen ganz zu schweigen.

Modernisierungstheorie

Die Dependenztheorie steht damit in krassem Gegensatz zu den modernisierungstheoretischen Ansätzen, die in den 1950er- und 1960er-Jahren dominierend waren. Deren Quintessenz lautet: „Entwicklungsländer sind unterentwickelt, weil und solange sie sich nicht aus den Fesseln der Tradition befreien können. Mit anderen Worten: Sie müssen so werden, denken, handeln und konsumieren wie wir (die westlichen, kapitalistischen Industriestaaten, Anm.)“, so Franz Nuscheler in dem empfehlenswerten Arbeitsbuch „Entwicklungspolitik“. Unterentwicklung wird also auf hausgemachte Faktoren wie (Stammes-)Kultur, Tradition und deren negative Auswirkungen auf eine produktive Denk-, Lebens- und Arbeitsweise zurückgeführt. Am Stammtisch könnte die Modernisierungstheorie wie folgt wiedergegeben werden: „Die da unten sind ja an ihrem Elend selber schuld! Prost!“ Dieses menschenverachtende Vorurteil geht natürlich an der Wahrheit weit vorbei, wobei der Einfluss der regionalen Kultur auf die Entwicklungszusammenarbeit nicht außer Acht gelassen werden darf. Miteinander statt oktroyierte Hilfe von außen (bzw. oben) lautet deshalb die Devise. Michael Linhart, Leiter der Sektion für Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium, meint dazu: „In der Entwicklungszusammenarbeit wurde erkannt, dass ohne Dialog auf gleicher Augenhöhe keine Lösungen gefunden werden können. Deshalb stehen wir auch in engem Kontakt mit den Projektpartnern in unseren Schwerpunktländern.“ So wird zum Beispiel das Ziel Ugandas unterstützt, 77 Prozent der Landbevölkerung sowie alle StadtbewohnerInnen bis 2015 mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Mit der Hilfe Österreichs konnte im Südwesten des Landes bereits eine Million Menschen in ländlichen Kleinstädten an die Wasserversorgungsnetze angeschlossen werden.
Überaus erfreulich, wobei Herwig Adam, Geschäftsführer der auf Entwicklungspolitik konzentrierten Südwind Agentur, hinzufügt, dass Entwicklungszusammenarbeit Situationen immer nur punktuell verbessern kann: „Für strukturelle Änderungen benötigen wir mehr politische Verantwortung und politische Lösungen.“ Der Experte sieht dabei den Menschenrechtsansatz als gute Basis: „Die Umsetzung der UN-Menschenrechtscharta durch alle Unterzeichnernationen würde die Welt in die richtige Richtung lenken.“ Auch eine globale Besteuerung internationaler Finanzströme und eine stärkere Belastung sehr großer Vermögen zugunsten der Entwicklungszusammenarbeit hält Adam für überfällig. Das Südwind Magazin selbst verfolgt die Funktion eines „Watchdog“ und beobachtet sehr genau Arbeitsprozesse vom Rohstoffabbau bis zur Fertigung des Endprodukts. Um Missstände aufzuzeigen, werden Initiativen gestartet und koordiniert, wie die Clean Clothes Kampagne, die bereits zu spürbaren Verbesserungen in der Bekleidungsindustrie beigetragen hat.
Auch Linhart weist darauf hin, dass sehr wohl Fortschritte erzielt werden: „In der letzten Dekade hat sich in 83 Least Developed Countries (am wenigsten entwickelte Länder, Anm.) das BIP pro Kopf im Schnitt immerhin verdoppelt. Auch in Subsahara-Afrika sehen wir Erfolge. Medial wird allerdings sehr oft ein falsches Bild kommuniziert – Negativschlagzeilen stehen leider zumeist im Mittelpunkt.“

Tot-Schlagzeilen

Ein Phänomen, das ausführlich in dem aktuellen Buch „Afrika! Plädoyer für eine differenzierte Berichterstattung“ behandelt wird. Autor Martin Sturmer: „Medial wird Afrika beinahe ausschließlich negativ dargestellt, obwohl es auch sehr viele positive Meldungen geben würde. Die Verallgemeinerung und das schlechte Image führen zu einer ,Betroffenheitsmüdigkeit‘ in den Industrienationen, was der Entwicklungszusammenarbeit natürlich nicht dienlich ist.“ Deshalb die gute Nachricht zum Schluss: Die Zahl der weltweit Hungernden ist seit 1990 um 130 Mio. zurückgegangen; ein Etappensieg auf dem Weg zu globaler Gerechtigkeit.

Mehr Infos unter:
www.suedwind.at
www.entwicklung.at
www.eza.at
www.afrika.info

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor haraldkolerus@yahoo.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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