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EGB-Generalsekretärin Bernadette Ségol Bernadette Ségol: "Man kann nicht jungen Griechen oder Spaniern die Emigration als Lösung ih-rer Probleme präsentieren. Das löst auch die Probleme des Landes nicht, es beraubt das Land seiner Zukunft.

Eine Gegenwart, bitte!

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Europas Jugend braucht jetzt Taten, keine Versprechen für eine schönere Zukunft, fordert auch EGB-Generalsekretärin Bernadette Ségol.

In Europa waren im Mai 2013 mehr als 5,6 Mio. junge Menschen unter 25 Jahren arbeitslos, das ist eine Arbeitslosenquote von knapp 23,5 Prozent. Die Lage spitzt sich in den sogenannten Problemstaaten weiterhin zu: In Griechenland sind in dieser Altersgruppe 59,2 Prozent arbeitslos, in Spanien 56,5 Prozent und in Portugal 42,1 Prozent. Der Arbeitslosigkeit folgen Armut, sozialer Abstieg, Abhängigkeit von den Eltern – eine Abwärtsspirale.
Für den EGB ist der stetige Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit eine direkte Folge der falschen Krisenbewältigungspolitik. „Diese Politik ist gescheitert, die Schulden sinken nicht, die Arbeitslosigkeit steigt und steigt monatlich“, sagt Bernadette Ségol, Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB). „Die jungen Menschen sind die ersten Betroffenen, weil sie gerade erst in den Arbeitsmarkt eintreten. Das ist natürlich nicht die Erklärung der EU-Politik, aber das ist es für uns. Seit fünf Jahren machen sie diese Politik – wann werden sie sich bewusst, dass es ihre Politik ist, die gescheitert ist, dass ihr Weg kein guter war?“

„Merken, dass wir was tun“

Die europäische Politik hat das Problem nun erkannt. Anfang Juli hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zu einem Gipfel nach Berlin geladen. Viele Worte sollten Europas Jugend signalisieren: Wir nehmen eure Probleme ernst. EU-Kommissionschef José Manuel Barroso: „Unsere Jugendlichen brauchen Aktionen, Entscheidungen, Arbeit – also lasst es uns anpacken.“ Die deutsche Kanzlerin betonte, es dürfe keine verlorene Generation geben: „Schön wäre, die Jugendlichen in Europa merken mal, dass wir was tun.“ Fragt sich, ob es an den Jugendlichen ist, etwas zu bemerken, oder an der Politik, nun endlich wirklich etwas zu tun. Hinter Angela Merkels Einladung nach Berlin – knapp zwei Monate vor der deutschen Bundestagswahl – vermuteten europäische Medien ebenso wie die deutsche Opposition einen Wahlkampfgag.

Sechs Mrd. Euro für die Jugend

Der Gipfel in Berlin brachte nicht viel mehr als weitere Beteuerungen und die – bereits angekündigten – sechs Mrd. Euro für den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit von 2014 bis 2020. Sechs Mrd. für die gesamte EU – im Vergleich dazu nehmen sich die 600 Mio., die im kleinen, von Jugendarbeitslosigkeit nicht derart massiv getroffenen Österreich jährlich für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für 15- bis 24-Jährige aufgewendet werden, geradezu üppig aus (siehe dazu Beitrag von Michael Trinko, Vorbild Österreich). Das EU-Geld soll jenen Regionen zugutekommen, in denen mehr als 25 Prozent der Jugendlichen keine Jobs haben. Die genaue Verteilung ist allerdings noch unklar.
Dass mit der Europäischen Jugendgarantie das Thema endlich angegangen wird, deuten viele als erstes, gutes Signal – allerdings auch als halbherziges. Wie schnell war die EU mit Milliarden zur Stelle und das mehrfach, als es um die Rettung der Banken ging? Wie lange hat es gebraucht, wie viele Monate, in denen die Arbeitslosigkeit unter den Jungen stetig angestiegen ist, bis man sich endlich auch dieses Themas annahm? Die in Aussicht gestellten sechs Mrd. Euro pro Jahr für bestimmte Regionen werden das strukturelle Problem auch nicht beseitigen. „Man kann nicht Jobs garantieren, wo es gar keine gibt“, sagt die spanische Europaabgeordnete Eider Gardiazábal Rubial in einer jüngst erschienenen Publikation der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung.1 „Europa braucht für die Integration seiner jungen Menschen in erster Linie neues Wachstum.“ Wenn sich die ökonomische Situation in Europa nicht ändere, so Gardiazábal Rubial, werde es nicht möglich sein, das Problem der Jugendarbeitslosigkeit zu lösen.

Prekär, befristet, schlecht bezahlt

Ein weiteres strukturelles Manko, das allein mit den sechs Mrd. nicht beseitigt werden kann, sind die Arten von Arbeit, die mehr und mehr junge Menschen in Europa haben: prekäre, befristete, schlecht bezahlte Jobs. Dieses Problem kann nur durch einen Mix beseitigt werden: gute Ausbildungen, qualitativ hochwertige Jobs mit guter Bezahlung und mit sozialer Sicherheit.
Bernadette Ségol meint, dass einige Staatschefs sich des Ernstes der Lage durchaus bewusst seien: „Einige wissen, dass wir ein Niveau erreicht haben, das sozial nicht mehr erträglich ist. Andere hoffen immer noch darauf, dass sich die Arbeitslosigkeit stabilisiert und dass die Wirtschaft wieder anspringt. Es gibt das Bewusstsein bei manchen, aber es sind noch zu wenige, um jetzt endlich einen Schritt nach vorne zu machen. Investieren ist dieser Schritt.“ Die Europäische Jugendgarantie wäre laut EGB so eine wichtige Investition.

Soziale Investition Jugendgarantie

Der EGB hat sie als ersten wichtigen Schritt begrüßt, er hat aber bereits vor Monaten einen kon-kreteren und verbindlicheren Entwurf vorgelegt. Für den EGB ist die Jugendgarantie eine soziale Investition in die Zukunft der Europäischen Wirtschaft und Gesellschaft. Die Kosten des EGB-Modells, die auf zehn Mrd. Euro geschätzt werden, sind im Vergleich zu den Kosten, die Europas Staaten für junge Menschen ohne Ausbildung, Lehre oder Arbeit aufwenden müssen – geschätzte 100 Mrd. Euro – noch relativ gering.
Der EGB will mehr auf die konkreten – ganz unterschiedlichen – Bedürfnisse junger arbeitsloser Menschen eingehen. So muss die Definition von „jung“ breiter gefasst werden, zum Beispiel bis 29 Jahre. Die neue Bologna-Studienordnung hat bewirkt, dass junge Menschen an ihre Bachelor-Studien Master-Studien anhängen und de facto später ins Arbeitsleben eintreten. Darauf muss auch Rücksicht genommen werden. Die Jugendgarantie muss weiters eine passende Mischung verschiedener Maßnahmen und Angebote beinhalten, mit hochwertiger Ausbildung und praktischen Arbeitseinsätzen als zentrale Achsen. Ganz wesentlich für den EGB ist, dass alle im Rahmen der Jugendgarantie erworben Qualifikationen formal anerkannt werden.
Manche mitteleuropäische ArbeitgeberInnen wollen das Problem der Jugendarbeitslosigkeit im Süden Europas in den Griff bekommen, indem sie junge spanische oder griechische FacharbeiterInnen nach Österreich und Deutschland holen – ein unter anderen von WKO-Präsident Christoph Leitl geäußerter Vorschlag.
„Mobilität als Lösung für die Jugendarbeitslosigkeit zu präsentieren ist gefährlich“, sagt Bernadette Ségol. „Man kann nicht jungen Griechen oder Spaniern die Emigration als Lösung ihrer Probleme präsentieren. Das löst auch die Probleme des Landes nicht, es beraubt das Land seiner Zukunft. Wenn man einem Land die Dynamik der Jugend entzieht, dann wird es verarmen. Es nimmt auch den jungen Menschen in Österreich oder Deutschland ihre Jobchancen – diese Idee ist nur zum Vorteil der Unternehmen.“

Wen wählt die Jugend?

Die europäische Jugendarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen, ist auch hinsichtlich der Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2014 für Bernadette Ségol besonders dringlich. Was wird Europas Jugend wählen, wenn keine klaren Zeichen und konkreten Schritte gesetzt werden? Ségol: „Auf diese gewichtige Frage muss man die Staatschefs rechtzeitig aufmerksam machen, und darauf, dass viel auf dem Spiel steht. In einem Jahr sind Wahlen – was sagen wir den Jungen, die wählen können, damit sie proeuropäische Parteien wählen und nicht Rechte oder Populisten? Im Moment ist da eine Leere und ich fürchte den Anstieg von Populismus, das ist eine Realität in Europa.“ Die Folgen einer erstarkten europäischen Rechten sind klar: „Sie werden die Grenzen ihrer Staaten für ArbeitnehmerInnen aus anderen Ländern dicht machen. Das ist allerdings keine Lösung für mehr Arbeitsplätze.“ Was wäre der Ausweg? „Man muss deutlich sagen, dass es ein Problem mit der Arbeitslosigkeit gibt und dass man es lösen will. Zu glauben, dass sich etwas verbessert, wenn man Grenzen für Beschäftigte aus anderen Ländern dicht macht, ist purer Unsinn.“ Ségol sieht hier eine große Verantwortung bei den Staats- und Regierungschefs: „Man muss ihnen ganz klar sagen: Was ihr heute tut, das hat Folgen für die nächsten 10, 15, 20 Jahre – ihr müsst eure Verantwortung in der Politik ernst nehmen.“

1 http://library.fes.de/pdf-files/id-moe/10139.pdf 

ÖGB-Europabüro:
www.oegb-eu.at
Europäischer Gewerkschaftsbund:
www.etuc.org
Europäisches Gewerkschaftsinstitut:
www.etui.org

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