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Mag. Bernhard Achitz Bernhard Achitz: "Wir wollen auf keinen Fall, dass die Interessen der Wirtschaft vor die Interessen der ArbeitnehmerInnen gestellt werden, dass die Interessen des Kapitals vor den Interessen der Menschen kommen."
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ArbeitnehmerInnen ins Parlament

Interview

Der Leitende Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz, über die Forderungen der ArbeitnehmerInnenvertretungen an Nationalrat und künftige Regierung.

Zur Person
Mag. Bernhard Achitz
Grundsatz und Organisation - Leitender Sekretär des ÖGB
Geboren am 20. Juli 1965 in Wien
Erlernter Beruf: Jurist

Ausbildung:
1983–1990 Jus-Studium in Wien
1990–1991 Gerichtsjahr
Berufliche Laufbahn:
1991–1997 Mitarbeiter in der Sozialpolitischen Abteilung der Arbeiterkammer Wien
Gewerkschaftliche Funktionen:
1997–2007 Leiter des Referates für Sozialpolitik des ÖGB
Seit 1/2008 Leitender Sekretär des ÖGB für Grundsatz
Seit 10/2012 Leitender Sekretär des ÖGB für Grundsatz und Organisation
Seit 2. Juli 2009 Mitglied des ÖGB-Vorstands
Weitere Funktionen:
Seit 2006 erster stellvertretender Vorsitzender des Verbandsvorstandes im Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger


Arbeit&Wirtschaft: „Was wir wollen“ lautet der Titel der kommenden A&W – wir haben darin Sorgen der ArbeitnehmerInnen und die daraus resultierenden Wünsche an eine künftige Regierung zusammengetragen. An dich als Leitender Sekretär im ÖGB nun die Frage: Was wollen wir gar nicht von einer künftigen Regierung? 

Bernhard Achitz: Wir wollen auf keinen Fall, dass die Interessen der Wirtschaft vor die Interessen der ArbeitnehmerInnen gestellt werden, dass die Interessen des Kapitals vor den Interessen der Menschen kommen. Das können wir nicht tolerieren.
Wir haben es ja jetzt leicht mit unseren Forderungen an eine zukünftige Bundesregierung, weil wir erst im Juni einen ÖGB-Kongress hatten, wo wir ein tolles Forderungsprogramm bzw. ein Arbeitsprogramm für die nächsten fünf Jahre formuliert und einstimmig über Fraktionsgrenzen hinweg beschlossen haben. Auf der Basis dieses Arbeitsprogramms sind wir nun dabei, gemeinsam Forderungen für die neue Bundesregierung zu erarbeiten. Diese werden relativ bald nach den Wahlen dem ÖGB-Bundesvorstand vorgelegt und der wird sie beschließen. 

 
Team Stronach hat sich ja in der Anfangsphase des Wahlkampfs auf die Gewerkschaften als „Bremser und Blockierer“ eingeschossen. Die NEOs wollen den „Kammerzwang“ abschaffen. Viel Gegenwind? 

Diese Diskussion gibt es immer wieder. Ich denke nur daran, dass es einmal eine Abstimmung gebraucht hat, um die Politik zu überzeugen, dass gesetzliche Interessenvertretungen notwendig sind – 1996. 
Ich glaube, die Erfolgsbilanz spricht für sich, wenn man schaut, wie Österreich durch die Krise gekommen ist und wie andere Staaten durch die Krise gekommen sind. Wenn man analysiert, warum das so ist, dann hat die Sozialpartnerschaft durchaus eine bedeutende Rolle bei der positiven Bewältigung der Probleme eingenommen.
Diese sollte auf jeden Fall erhalten bleiben, und ein weiterer wesentlicher Punkt ist, dass in Österreich die Maßnahmen zur Krisenbewältigung und nachher auch zur Bewältigung der Finanzprobleme, die die Krise hinterlassen hat, ausgewogen waren und nicht alle auf dem Rücken der ArbeitnehmerInnen ausgetragen wurden wie in anderen Staaten.
Das hat dazu geführt, dass die Kaufkraft der österreichischen ArbeitnehmerInnen nicht – wesentlich – kleiner geworden ist. So ist das Steuereinkommen konstant geblieben, der Sozialstaat blieb finanzierbar. In vielen anderen Staaten, in denen man über die Gewerkschaften „drüber gefahren“ ist und Kürzungen im Sozialsystem durchgeführt hat, ist das nicht passiert.
Ich glaube, auf diese Politik müssen wir weiter setzen, denn sie ist nicht nur im Sinne der ArbeitnehmerInnen und im Sinne der Menschen, sondern sie ist auch im Sinne des Wirtschaftsstandorts. 
 

Welche Rolle übernimmt der ÖGB im Wahlkampf?

Der ÖGB selbst bringt sich in den Wahlkampf nicht ein. Wir vertreten gegenüber allen Parteien die Interessen der ArbeitnehmerInnen.
Wenn Vorschläge kommen, die im Sinne der ArbeitnehmerInnen sind, so unterstützen wir das und wenn Vorschläge kommen, von denen wir überzeugt sind, dass sie die ArbeitnehmerInnen zusätzlich und unsachlich belasten, dann kritisieren wir das. Insofern kommen wir unserer Rolle auch in Wahlkampfzeiten nach, aber ansonsten mischen wir uns in den Wahlkampf nicht ein. Betrachtet man aber die Fraktionen im ÖGB, schaut das anders aus – die stellen auch Kandidatinnen und Kandidaten und unterstützen die jeweiligen Parteien.


Es gab ja vor Jahren die Diskussion über „GewerkschafterInnen im Parlament“ – wir haben einen Artikel von Paul Dvořák zu diesem Thema im Heft. Warum sind GewerkschafterInnen im Parlament wichtig? 

Ganz einfach: Im Parlament sitzen InteressenvertreterInnen. Jeder, der sich ins Parlament wählen lässt, vertritt Interessen einer bestimmten Gruppe, auch einer bestimmten Gruppe in einer bestimmten Region.
Es müssen auch die Interessen der ArbeitnehmerInnen im Parlament vertreten werden. Diese sind im Verhältnis eh unterrepräsentiert. Die Forderung müsste eigentlich sein: Viel mehr InteressenvertreterInnen der ArbeitnehmerInnen ins Parlament. Und zwar in allen Parteien.
Die UnternehmerInnen, die im Parlament sitzen, vertreten beinhart UnternehmerInnen-Anliegen, Bäuerinnen und Bauern die Anliegen der Landwirtschaft – und das ist alles legitim. Daher muss es auch legitim sein, dass Menschen, die es sich zum Beruf gemacht haben, die Interessen der ArbeitnehmerInnen zu vertreten, fürs Parlament kandidieren und dass Menschen, die sich als Betriebsrätinnen und Betriebsräte, als PersonalvertreterInnen engagieren sowie Gewerkschaftsfunktionärinnen und -funktionäre auch ins Parlament gewählt werden. 
 

Unser Heft ist voll mit Anliegen der ArbeitnehmerInnen aus den verschiedensten Bereichen. Was sind dem ÖGB die drei wichtigsten? 

Wenn man es auf drei Punkte beschränken soll, muss man die drei Punkte relativ weit fassen.   
Punkt Eins: Schlüssel zur Finanzierung des Sozialsystems aber auch für Steuereinnahmen ist eine hohe Beschäftigung. Und zwar eine hohe Beschäftigung mit guter Bezahlung und guter sozialer Absicherung.
Wir müssen darauf achten, dass die Arbeitslosigkeit möglichst gering ist, die Beschäftigung möglichst hoch und dass die Menschen, die in Österreich beschäftigt sind, von ihrem Verdienst auch leben können. Und entsprechend auch Beiträge zum Sozialsystem leisten und Steuern zahlen. Dafür soll man alles tun, was nur möglich ist: Die Arbeitsfähigkeit der Menschen erhalten, ihnen eine gute Ausbildung mitgeben, denn dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie beschäftigt werden.  
Zweiter großer Punkt und eine ganz, ganz wichtige Zukunftsfrage ist Bildung. Und zwar sehr gesamtheitlich betrachtet, von der Ausbildung der ganz Kleinen im Kindergarten über die Schule zu den Universitäten. Aber auch die Ausbildung und Weiterbildung wenn man schon im Berufsleben steht, die Anerkennung von Lehrabschlüssen als gleichwertige Alternative zu einer schulischen Ausbildung, zu einer Matura. Qualitätssicherung in der Lehre, wenn möglich breiter Zugang zu den Universitäten und dergleichen. 
Drittens, würde ich sagen, die Frage der Steuergerechtigkeit, denn wenn man sich anschaut, wer für das Steuereinkommen in diesem  Land sorgt, dann sind das zum Großteil die ArbeitnehmerInnen. Und die, die ihr Geld für sich arbeiten lassen, tragen wenig bis gar nichts dazu bei. Das sollte sich ändern, da müssen Schritte gesetzt werden, um Arbeitseinkommen zu entlasten und von jenen einen gerechteren Beitrag zu bekommen, die auf Kapitaleinkünfte setzen.
Wir brauchen also mehr vermögensbezogene Steuern. Außerdem muss das Steuersystem ökologischer gestaltet werden. Dazu gehört, dass Firmen, die die Umwelt stärker belasten als der Branchendurchschnitt, mehr zahlen – und die, die sauberer arbeiten, zahlen weniger Steuern. Bei allen Ökosteuern werden wir aber darauf schauen, dass den sozial schwächeren Menschen die Mehrbelastungen ausgeglichen werden.
Für sie fordert der ÖGB übrigens auch, dass mehr Netto vom Brutto übrig bleibt. Tarifstufen und Freibeträge sollen an die Inflation angepasstwerden, damit die jährlichen Lohnerhöhungen bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern landen und nicht beim Finanzamt.


Wird das Thema angenommen? 

Da haben wir gerade als Gewerkschaftsbewegung ganz gute Aufklärungsarbeit geleistet.Wir hatten ja vor einigen Jahren den Schwerpunkt „Fair teilen“. Da haben wir auf die ungleiche Belastung der ArbeitnehmerInnen im Vergleich zu den Wohlhabenden aufmerksam gemacht, haben auch die Zahlen ins richtige Licht gestellt und haben – ich glaube auch sehr gut – klargemacht und transportieren können, dass eine Vermögenssteuer, die bei 700.000 Euro oder einer Million ansetzt, eine Arbeitnehmerin, einen Arbeitnehmer nicht belastet.
Die müssten nämlich 40 Jahre sparen, sich nichts leisten, um nur in die Nähe eines solchen Vermögens zu kommen. Diese Forderungen wurden dann schon auch im Zuge der Finanzkrise vermehrt aufgegriffen. Da wurde ja offensichtlich, dass durch Spekulationen und durch Menschen, die gemeint haben, sie lassen ihr Geld für sich arbeiten, diese Krise verursacht wurde. 


Es ist immer wieder von Politikverdrossenheit die Rede und um ehrlich zu sein, wundert mich das angesichts der täglichen Nachrichten nicht besonders. Seit Jahren geht die Wahlbeteiligung zurück – die IG Metall ruft im Internet mit einem originellen Spot „Geh wählen“ auf, zur Wahl zu gehen – ist so etwas bei uns vorstellbar?

Es wird sicher diverse Wahlaufrufe geben, aber daran ist – noch – nicht gedacht. Eine hohe Wahlbeteiligung ist aber ein Zeichen für eine aktiv funktionierende Demokratie und wir hoffen schon, dass die ArbeitnehmerInnen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen.  

Wie weit nimmst du in deiner Umgebung Politikverdrossenheit wahr? 

Eigentlich weniger, aber meine Wahrnehmung ist da eine eher selektive, weil ich genau mit jenen Leuten zusammentreffe, die sich eher für Politik interessieren und das auch diskutieren wollen. 

Das sind die zweiten Nationalratswahlen, bei denen junge Menschen ab 16 Jahren wählen dürfen – was hältst du davon? 

Das ist sicher gut und wichtig, weil sich die Politik dann automatisch auch um diese WählerInnengruppe und damit um deren Interessen mehr kümmern muss. 
 
Du darfst ja schon eine Zeit lang wählen. Wie haben sich die Wahlkämpfe verändert? 

Das Fernsehen wird immer wichtiger. Was auffällt ist, dass diesmal sehr, sehr viele Fernsehkonfrontationen stattfinden. Aber im Bereich der Gewerkschaftsbewegung ist der persönliche Kontakt nach wie vor ausschlaggebend und ich finde es gut, dass PolitikerInnen versuchen, mit ArbeitnehmerInnen in Kontakt zu kommen und auf diversen Veranstaltungen für Diskussionen zur Verfügung zu stehen. Das stärkt die Sache der ArbeitnehmerInnen und das ist immer gut. 

Auch in Deutschland wird bald gewählt. Lassen sich die Wahlkämpfe in Deutschland und Österreich überhaupt vergleichen? 

In Deutschland ist es vom Einfluss der Gewerkschaften her anders, weil den Deutschen ein starker Dachverband fehlt, der den politischen Einfluss der Gewerkschaftsbewegung fokussiert und an der richtigen Stelle einbringen kann – es ist im Ergebnis anders, denn viele Fehler in der Reform eines Sozialsystems, die in Deutschland passiert sind, sind uns in Österreich erspart geblieben, obwohl sie auch in Österreich verlangt worden sind.
Wir haben z. B. in der Krankenversicherung keinen Umstieg von einer Pflichtversicherung auf eine Versicherungspflicht gemacht; die Deutschen haben jetzt erkannt, dass es ein Fehler war, den sie nicht mehr rückgängig machen können.
Wir haben kein Hartz IV, sondern eine, glaube ich, sehr gut funktionierende Mindestsicherung und wir sind auch im Pensionssystem andere und für die ArbeitnehmerInnen wohl bessere Wege gegangen: Keine Erhöhung des Antrittsalters, sondern auf Gesundheitsmaßnahmen setzen und Beschäftigung Älterer.  


Kannst du dich noch an deine erste Wahl erinnern? 

Wenn mich nicht alles täuscht, war das der Vorzugsstimmenwahlkampf von Josef Cap. 

Seitdem irgendwann nicht gewählt? 

Nein – immer. 

Ist Wählen etwas Besonderes für dich? 

Ich lasse keine Wahl aus, insofern ist es nichts Besonderes – es ist ein Teil der Demokratie. Das macht man, das nimmt man wahr. Ich bin froh, dass ich wählen gehen darf und das tu ich auch.

Wir danken für das Gespräch.

Mehr Infos unter:
www.bundeskongress.at
IG-Metall-Spot:
www.youtube.com/watch?v=uy1af0A2Bn0


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