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Symbolbild zum Beitrag "Gewerkschaft und Parlament" Ein dauerhafter Rückzug von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern sowie parteiintegrierten Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern aus dem Parlament würde bedeuten, dass die Gewerkschaftsbewegung jegliche Hoffnung aufgegeben hat ...

Gewerkschaft und Parlament

Schwerpunkt

In der österreichischen Gesetzgebung ab 1945 spielten GewerkschafterInnen lange eine wichtige Rolle. Das sollte in Zukunft wieder der Fall sein.

In den vergangenen Jahren wurden Stimmen lauter, die den Rückzug von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern aus dem Parlament forderten. Einmal wird als Grund dafür Unvereinbarkeit genannt, ein anderes Mal heißt es, scheinbar wohlmeinend, es wäre „besser für den ÖGB“, würden seine SpitzenvertreterInnen keine Mandate ausüben. Die Freiheitliche Partei (FPÖ) verlangte sogar einmal entsprechende gesetzliche Regelungen.1 Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Tätigkeit derer, deren Entfernung aus dem relevanten Entscheidungsgremium da gefordert wird, ist bisher kaum bis gar nicht erfolgt. Mein Beitrag in „Wissenschaft über Gewerkschaft“ setzt sich das Ziel, diese Lücke zumindest in Ansätzen zu schließen. Ausgehend von den Stenographischen Protokollen des österreichischen Nationalrates wird der Versuch unternommen, die Frage „Was tun GewerkschafterInnen im Parlament?“ zu beantworten.
Dass das nach 1945 in Österreich praktizierte System des Interessenausgleichs, die „Sozialpartnerschaft“, das Parlament in seiner Bedeutung einschränkt, ist eine häufig anzutreffende Meinung. Für den Politikwissenschafter Anton Pelinka stellt sie sogar die „Antithese zum Parlamentarismus“ dar.2 Der Sozialphilosoph Norbert Leser spricht den Mandatarinnen und Mandataren aus den Bereichen der Unternehmer- und Arbeitnehmerverbände eigenständige Kompetenz ab: Die von dort kommenden Abgeordneten seien, im Unterschied zu den anderen Mandatarinnen und Mandataren, keine „Persönlichkeiten“, sondern verdankten ihr Mandat der „Rückendeckung ihrer Organisationen, […] nicht ihren Qualitäten“.3 Dass die tatsächliche Aktivität der ArbeitnehmervertreterInnen eine solche Behauptung nicht stützt, ist eine der Hauptthesen, die sich aus der Analyse der parlamentarischen Quellen ergeben.

Bedeutende Beiträge

Die GewerkschafterInnen im Nationalrat leisteten oft die bedeutendsten Beiträge zur parlamentarischen Arbeit. Die Sozialpolitik der Zweiten Republik wurde nicht nur über Sozialpartnervereinbarungen, sondern auch und vor allem auf parlamentarischer Ebene von GewerkschafterInnen „gemacht“. Der Großteil der Sozialausschussmitglieder waren ArbeitnehmervertreterInnen und seit 1945 waren alle Vorsitzenden des Sozialausschusses SP-GewerkschafterInnen. Bei nahezu allen Weichenstellungen in der Sozialpolitik drückten ArbeitnehmervertreterInnen den Gesetzen ihren Stempel auf. Sie waren es vornehmlich, die die Ausschussberatungen und die darauf folgenden Debatten im Plenum führten. Ebenso, wenn auch weniger dominant, machte sich ihr Einfluss in Fragen der Wirtschafts-, Frauen- und Bildungspolitik bemerkbar. Genannt seien hier nur die Stichworte Verstaatlichungsgesetze, Arbeitszeitgesetzgebung, Sozialversicherung, Arbeitsverfassung oder Schulorganisationsgesetz. Der Beitrag, den sie leisteten, war also ein beachtlicher.

Haltung der Parteien

Auf parlamentarischem Boden spielten die ArbeitnehmervertreterInnen erst im Klub der Sozialistischen, dann in jenem der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ) die bedeutendste Rolle und in den 1970er-Jahren erreichte ihr Einfluss seinen Höhepunkt. Hier waren GewerkschafterInnen diejenigen, die die Haltung der Partei in Sozialfragen, in Fragen der Wirtschafts- und Industriepolitik und immer öfter in budgetpolitischen Belangen vertraten. Die ArbeitnehmerInnen aus den Reihen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) waren dagegen vergleichsweise schwach. Während der Debatte zu dem so bedeutenden Arbeitsverfassungsgesetz war es etwa für die ÖVP selbstverständlich, als Hauptredner den Präsidenten der Wirtschaftskammer Rudolf Sallinger zu nominieren, während bei der SPÖ ausschließlich GewerkschafterInnen sprachen. Dies entsprach dem Selbstverständnis und der Konzeption der ÖVP, eben keine „Klassenpartei“ zu sein und das gesamte „Volk“ zu vertreten.

Rückentwicklung nach 1980

Ab den 1980er-Jahren änderte sich jedoch die Zusammensetzung der Fraktionen im Parlament. Erstens kandidierten tendenziell weniger ArbeitnehmervertreterInnen und überhaupt InteressenvertreterInnen für den Nationalrat. Zweitens kam es zu gravierenden Veränderungen innerhalb der stark reduzierten Gruppe der ArbeitnehmervertreterInnen. Während bisher fast alle wichtigen Vorsitzenden der Teilgewerkschaften Abgeordnetenmandate (meist für die SPÖ) innehatten, bestimmten nun weniger prominente GewerkschafterInnen und leitende Angestellte der Arbeiterkammern das Bild. Die einzig verbleibenden beziehungsweise „nachbesetzten“ SpitzengewerkschafterInnen im Nationalrat waren nach der politischen Wende 1999/2000 ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch, der Metallervorsitzende Rudolf Nürnberger als Repräsentant der sozialdemokratischen Gewerkschaftsfraktion, ÖGB-Frauenvorsitzende Renate Csörgits sowie Rainer Wimmer, 2004 bis 2006 Vorsitzender der Gewerkschaft Agrar-Nahrung-Genuss. Alle vier hatten Mandate der zu diesem Zeipunkt oppositionellen SPÖ, während der Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst Fritz Neugebauer ab 2002 ein ÖVP-Mandat ausübte. Im Jahr 2006 entschied die SPÖ, dass Gewerkschaftsvorsitzende und der ÖGB-Präsident nicht mehr als Kandidaten für sie antreten sollten, ein Beschluss, der allerdings schon 2008 wieder zurückgenommen wurde. Damit konnte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier und der FSG Wolfgang Katzian in den Nationalrat einziehen und der steirische Abgeordnete Josef Muchitsch zum Vorsitzenden der Gewerkschaft Bau-Holz gewählt werden, ohne sein Mandat niederlegen zu müssen.

Gegentrend notwendig

Ein dauerhafter Rückzug von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern sowie parteiintegrierten Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern aus dem Parlament würde bedeuten, dass die Gewerkschaftsbewegung jegliche Hoffnung aufgegeben hat, die Berücksichtigung von ArbeitnehmerInneninteressen durch ihre Parteien und damit in der Gesetzgebung durchzusetzen. Internationale Erfahrungen zeigen nämlich deutlich die Notwendigkeit für Gewerkschaftsorganisationen, in den nationalen Parlamenten vertreten zu sein.4 Auch angesichts stagnierender oder sinkender Mitgliederzahlen ist es  für Gewerkschaften notwendiger denn je, über ihre „Kernkompetenz“ der Kollektivvertrags- und Lohnverhandlungen hinaus in der Gesellschaft präsent und verankert zu sein. Der Sozialphilosoph Oskar Negt vertritt die These, dass sie ihren „Kampf um Anerkennung und würdige Lebensbedingungen“ nicht ohne „Erweiterung des kulturellen und politischen Mandats“ erfolgreich fortführen könnten.5 Folgt man dieser Argumentation, sind das Engagement und die Arbeit von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern in den Parlamenten heute wichtiger denn je. Ein Gegentrend zu dem sich seit den 1990er-Jahren abzeichnenden relativen Bedeutungsverlust der ArbeitnehmervertreterInnen in der parlamentarischen Arena wäre im ArbeitnehmerInneninteresse erforderlich. Denn was ein in den Schaltzentralen der Macht verankerter ÖGB nicht erreichen kann, kann ein freiwillig-unfreiwillig aus diesen Zentren der Macht entfernter ÖGB schon gar nicht. Seine Geschichte beweist, dass es möglich ist, aktive und erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit und Mitentscheiden sowie Mitverantworten im Parlament zu verbinden.

1 Vgl. Sozialpartner aus dem Parlament: Empörung über Vorstoß Riess-Passers, Die Presse, 14.7.2001.
2 Pelinka, Anton (1986): Sozialpartnerschaft und Interessenverbände (Politische Bildung 52/53), Wien.
3 Vgl. Leser, Norbert: Kommentar der Anderen, Die Presse, 11.8.2001.
4  Vgl. Weltarbeitsbericht der ILO 1997/98; ILO-Studie: Gewerkschaften müssen Global Players werden, Süddeutsche Zeitung, 5.11.1997.
5 Negt, Oskar (2005): Wozu noch Gewerkschaften?, Göttingen.


Mehr zum Projekt „Wissenschaft über Gewerkschaft“:
www.oegbverlag.at
Alle Beiträge ab 1. Oktober auf der Website
www.wissenschaft-gewerkschaft.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor paul.dvorak@univie.ac.at
oder an die Redakteurin von „Wissenschaft über Gewerkschaft“
brigitte.pellar@aon.at


Info&News
Der Artikel fasst Paul Dvořáks Aufsatz „Parlamentarismus und Gewerkschaftsbewegung in Österreich“ aus dem zum ÖGB-Kongress 2013 erschienenen Band „Wissenschaft über Gewerkschaft“ zusammen. Hier setzen sich WissenschafterInnen verschiedener Fachrichtungen mit Positionen über und von Gewerkschaften im Lauf ihrer Entwicklung auseinander und fragen nach der Rolle der Gewerkschaft im 21. Jahrhundert. Arbeit&Wirtschaft wird Kurzfassungen wichtiger Beiträge in unregelmäßigen Abständen publizieren.

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