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Symbolbild zum Artikel "Der nicht so kleine Unterschied" Gewerbeordnung aus 1859: Ein/e ArbeiterIn kann fristlos entlassen werden, wenn er bzw. sie "mit einer abschreckenden Krankheit behaftet ist" oder der "Trunksucht verfällt".

Der nicht so kleine Unterschied

Schwerpunkt

Kürzere Kündigungsfristen, keine Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfällen - ArbeiterInnen und Angestellte sind rechtlich nicht gleichgestellt.

Vor 150 Jahren war die Welt noch „in Ordnung“: Da gab es „Werksbeamte“, deren soziale Stellung dem Gesetzgeber ein Anliegen war; und es gab die Masse der HacklerInnen, für die sich niemand interessierte – ausgenommen die gerade im Aufbau befindlichen Gewerkschaften und Arbeitervereine. Die beiden sozialen Welten hatten kaum Berührungspunkte, auch nicht bei der Arbeit: Die einen kontrollierten nur die Arbeit der anderen.Aber die Welt dreht sich: Heute ist es oft sehr schwierig, festzustellen, wer eigentlich ArbeiterIn und wer Angestellte/r ist. Die sozialen Mauern sind gefallen. Angestellte weisen es im Regelfall empört zurück, in die Nähe von „Beamtentum“ (auch ein Klischee …) gerückt zu werden. Schon gibt es gemeinsame KV für ArbeiterInnen und Angestellte einer Branche. Nur der Gesetzgeber schafft die Angleichung nicht: Noch immer gibt es erstaunliche Unterschiede, im Regelfall zulasten der ArbeiterInnen, da und dort auch zulasten der Angestellten.

Gleiche Rechte für alle?

Gewiss: Es gibt noch Tätigkeiten, die man gut unterscheiden kann, z. B. Fließbandarbeit einerseits, Leitungsaufgaben andererseits. Aber auch wo das zutrifft: Weshalb sollte diese tatsächliche Unterscheidung unterschiedliche Rechte nach sich ziehen? Tatsächlich spricht viel dafür, dass auch die verbliebenen rechtlichen Unterschiede zwischen Arbeiterinnen/Arbeitern und Angestellten verfassungswidrig sind. Aber neue und vernünftige Regeln sind nicht die Aufgabe der Gerichte, die muss schon der Gesetzgeber herbeiführen.
Als allererstes muss endlich mit einer schwarz-blauen Gemeinheit aufgeräumt werden: Bei Fällen der Arbeitsverhinderung aus persönlichen Gründen (Hochzeit, Geburt, Katastrophen …) bestehen gleiche Rechte. Allerdings gelten Regeln in KV – abgeschlossen in grauer Vorzeit – per Gesetz als gültige Schlechterstellung bei Arbeiterinnen und Arbeitern. Es braucht nur einen Federstrich, um das endlich zu lösen; zur Hälfte hat ihn der Gesetzgeber im Zuge der Hochwasserkatastrophen im Sommer bereits gemacht.
Bei Erkrankung und Arbeitsunfällen sind sich alle einig: Das derzeit für Angestellte geltende System ist sozial wenig treffsicher. Es sieht gerade bei langen schweren Erkrankungen schlechtere Leistungen vor als das Arbeitersystem. Bei häufigeren, kürzeren Krankheiten ist es in seinen Leistungen besser, bei Arbeitsunfällen schlechter. Zudem ist das Regelwerk so kompliziert. Kaum jemand kann wirklich feststellen, auf welche Leistungen Anspruch besteht. Also, warum keine einheitliche Regelung, die einfach zu administrieren ist und die man gut überblicken und kontrollieren kann? Die vorgesehenen Leistungen bei Krankheit müssen so weit verbessert werden, dass ArbeiterInnen und Angestellte Anspruch auf gleiche, jedenfalls bessere Leistungen als heute haben. Das würde die ArbeitgeberInnen nicht belasten. Sie ersparen sich im Bereich gehäufter Kurzkrankenstände etwas, aber auch durch einfachere Verwaltung.

Vorzeitige Auflösung

Unterschiedlich geregelt sind auch die Gründe für eine vorzeitige (fristlose) Auflösung der Arbeitsverhältnisse, also Entlassung bzw. Austritt. Für ArbeiterInnen sind sie in der Gewerbeordnung aus 1859 geregelt. Entsprechend merkwürdige Überbleibsel aus vergangenen Tagen finden sich da: So kann ein/e ArbeiterIn z. B. fristlos entlassen werden, wenn er bzw. sie „mit einer abschreckenden Krankheit behaftet ist“ oder der „Trunksucht verfällt“. Aber auch Angestellte können schon deswegen entlassen werden, weil sie sich als „vertrauensunwürdig“ erweisen. Da sind modernere, differenziertere, aber für beide Gruppen gleiche Regelungen überfällig.
Die Kündigungsfristen für Angestellte betragen bei Kündigung durch den/die ArbeitgeberIn mindestens sechs Wochen. Je nach Dienstalter erstrecken sie sich auf bis zu fünf Monate. Bei ArbeiterInnen verhält sich dies anders: Gesetzlich ist eine 14-tägige Kündigungsfrist festgelegt, von dieser kann jedoch im KV abgegangen werden. In den traditionell starken KV, wie z. B. jenen der Metallindustrie, ist eine Anpassung an die langen Fristen der Angestellten bereits gelungen. Eine gesetzliche Gleichstellung gibt es jedoch noch immer nicht. Das führt dazu, dass in manchen Branchen aberwitzig kurze Kündigungsfristen für ArbeiterInnen bestehen, z. B. im Bäckergewerbe (ein Tag) oder im Malergewerbe (in den ersten fünf Jahren gar keine Kündigungsfrist). Das hat im Fall der kurzfristigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses schlimme soziale und finanzielle Auswirkungen für die Betroffenen. Wenn nur mit gleichen Fristen und vor allem zum selben Kündigungstermin aufgelöst werden könnte, gäbe es auch am Arbeitsmarkt einen einheitlichen Termin zum Arbeitsplatzwechsel: den Monatsersten für alle! Das würde kurze Phasen der Arbeitslosigkeit vermeiden, die nur wegen verschiedener Usancen beim Beendigungstermin entstehen. Bei Kündigungsfristen und -terminen gibt es massive Interessengegensätze, zumal wir für ArbeitnehmerInnen weiter möglichst kurze Kündigungsfristen wollen. Dieses Thema wird eine harte Nuss!
Überhaupt nicht nachvollziehbar ist der noch immer bestehende Unterschied bei den Beiträgen zur Krankenversicherung. ArbeiterInnen zahlen hier 3,95 Prozent, anstelle der 3,82 Prozent der Angestellten. Genau um diese Differenz ist wiederum der Arbeitgeberanteil niedriger, sodass die Krankenkassen im Effekt denselben Gesamtbetrag erhalten! Die Krankenversicherung für ei-nen/eine ArbeiterIn ist also für ArbeitgeberInnen – wenn auch nur minimal – billiger, dafür für HacklerInnen entsprechend teurer.

Schöne neue Welt?

Immer wieder locken ArbeitgeberInnen einzelne ArbeiterInnen mit der Zusage, sie in ein Angestelltenverhältnis zu übernehmen. Was verschwiegen wird: Mit dem Wechsel des Kollektivvertrags fallen oft auch Zulagen und Zuschläge weg, die an die typische ArbeiterInnen-Tätigkeit anknüpfen. Bei geänderter Tätigkeit entfällt der Anspruch auf Umstufung und höheren Lohn – denn im Angestellten-KV gibt es natürlich alle diese Arbeiter-Tätigkeiten nicht. Aber das wissen wir ja seit Langem: „Lösungen“ nur für Einzelne von uns sind keine wirkliche Lösung. Gemeinsam sind wir stark! Der Gesetzgeber ist gefordert!

INFO&NEWS - Die wichtigsten Unterschiede auf einen Blick:

  • Alle haben Anspruch auf bezahlte Freizeit aus „wichtigen persönlichen Gründen“. Bei Arbeiterinnen und Arbeitern gelten alte KV-Regelungen als wirksame Schlechterstellung und verdrängen das Gesetz.
  • Bei Krankheit bzw. Freizeitunfall haben alle sechs Wochen Anspruch auf das volle Entgelt, dann vier Wochen auf das halbe Entgelt (und halbes Krankengeld von der Krankenkasse). Mit den Dienstjahren steigen diese Ansprüche nur für Angestellte. Aber: ArbeiterInnen haben alle diese Ansprüche pro Arbeitsjahr, für Angestellte gilt eine komplexe Zusammenrechnungsregel. Nur ArbeiterInnen haben einen zusätzlichen Zahlungsanspruch bei Krankenständen nach Arbeitsunfällen.
  • Unterschiedliche Gründe für vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses (Entlassung/Austritt). Bei Arbeiterinnen und Arbeitern sind die Gründe geregelt, bei Angestellten nur beispielsweise angeführt.
  • Die kurze 14-tägige Frist für ArbeiterInnen kann durch KV noch einmal verkürzt werden, das Gesetz kennt keinen Kündigungstermin. Für Angestellte gilt eine Kündigungsfrist von sechs Wochen bis fünf Monaten (je nach Dienstalter) und das Quartal als Kündigungstermin (allerdings kann im Arbeitsvertrag der 15. und der Letzte jedes Monats vereinbart werden).
  • ArbeiterInnen zahlen 3,95 Prozent vom Bruttolohn an die Krankenversicherung, Angestellte nur 3,82 Prozent. ArbeitgeberInnen zahlen bei Arbeiterinnen und Arbeitern nur 3,7 Prozent dazu, bei Angestellten 3,83 Prozent. In Summe ergibt das jeweils 7,65 Prozent.

Ein Blick in den KV:
www.kollektivvertrag.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen rene.schindler@proge.at susanne.haslinger@proge.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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