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Symbolfoto zum Bericht "Arbeitslosigkeit und autoritäre Wende - Europa geht anders!" In der AK-Broschüre "Die EU auf Kurs bringen - Ein neues Europa für die Menschen" finden sich Vorschläge, wie sich die EU ändern muss, um die Krise zu überwinden und die Grundlagen für ein neues Wohlstands- und Verteilungsmodell zu schaffen.

Arbeitslosigkeit und autoritäre Wende - Europa geht anders!

Schwerpunkt

Mehr Demokratie und ein Verschieben der Kräfteverhältnisse ist notwendig.

Europa steht an einem Wendepunkt. Das Leben von Millionen Menschen nach fünf Jahren Krisenpolitik ist geprägt von Arbeitslosigkeit, Rezession und Armut. Seit Beginn der Aufzeichnungen war die Arbeitslosenquote noch nie so hoch: 26 Mio. Menschen sind in der Union ohne Lohnarbeit – rund zehn Millionen mehr als vor der Wirtschaftskrise. Allein seit Juni 2012 nahm die Zahl der Arbeitslosen in der Union um über eine Million Menschen zu.
Besonders dramatisch ist die Situation in jenen Ländern, die im Anschluss an die Wirtschaftskrise die Politik der Troika umsetzen müssen, um Geld aus dem EU-Rettungsschirm zu erhalten. Sie sind mit der schärfsten Form der EU-Austeritätspolitik konfrontiert. Die Folgen sind desaströs: So beträgt in Griechenland und Spanien die Arbeitslosigkeit mittlerweile rund 27 Prozent – bei Jugendlichen sogar 60 Prozent. Werte, die selbst in der Zwischenkriegszeit nur kurzfristig übertroffen wurden. Neben drastischen Sparmaßnahmen verordnet die aus Vertreterinnen und Vertretern der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds und der EU-Kommission zusammengesetzte Troika „Strukturreformen“, zu denen sich die betroffenen Länder durch vertragliche Vereinbarungen verpflichten müssen. Die Erfahrungen zeigen aber, dass damit nicht jene Strukturen einer Reform unterzogen werden, die für die Wirtschaftskrise verantwortlich sind. So kam es in keinem der betroffenen Länder zu einer merklich verstärkten Besteuerung von Vermögen, hohen Einkommen und Unternehmensgewinnen. Genauso wenig wurde die Monopolisierung wirtschaftlicher Entscheidungen durch eine Demokratisierung aufgebrochen. Im Gegenteil, die Ungleichheit in der Verteilung und die Entdemokratisierung der Wirtschaft(-spolitik) spitzten sich weiter zu – zumal die Gelder aus dem EU-Rettungsschirm nicht den Arbeitslosen und Armen zugutekommen. Vielfach werden sie zur Rettung von Banken eingesetzt, die nicht selten aus den „Geberländern“ stammen.

Nicht zukunftsfähig

Da Ausgabenkürzungen und neoliberale Strukturreformen die Nachfrage drosseln, kam es zu einem massiven Einbruch der Wirtschaft. Dass diese Entwicklung im Süden letztlich auch die Länder des Zentrums treffen werde, war kritischen Ökonominnen und Ökonomen von Anfang an klar: 87 Prozent der Nachfrage nach europäischen Gütern und Dienstleistungen kommen vom europäischen Binnenmarkt. Nachdem die Rezession 2012 erneut auch die Kernländer der Eurozone erfasst hat, lässt sich ein Zusammenhang nicht mehr länger leugnen.
Trotzdem die Politik in den „Krisenländern“ aus der Perspektive der breiten Masse gescheitert ist, wird sie in ganz Europa verallgemeinert: Ein „Reformbündnis“ aus Unternehmerverbänden, Finanzindustrie, EU-Kommission, neoliberalen Staatschefs und EZB hat ab 2010 energische Anstrengungen unternommen, Teile der sogenannten Austeritätspolitik (bedingungslose Kürzung der öffentlichen Leistungen) und der „Strukturreformen“ auf ganz Europa auszuweiten. Im Zentrum dieser Bemühungen stehen die sogenannte Economic Governance (Paket aus sechs Rechtsakten, welches die Haushalts- und Wirtschaftspolitik verstärkt in die Hände der Europäischen Kommission legt) und der Fiskalpakt (völkerrechtliche Verpflichtung auf drastische Sparpolitik), die Ende 2011 bzw. Anfang 2013 in Kraft getreten sind.

Pakte für Wettbewerbsfähigkeit

Diese Politik soll nun mit einer Grundsatzentscheidung im Dezember 2013 in ihre nächste Etappe gehen: In „Pakten für Wettbewerbsfähigkeit“1, so die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, sollen sich alle Mitgliedsstaaten der Euro-Zone vertraglich gegenüber der Kommission zur Deregulierung ihres Arbeitsrechts, zur „Reform“ ihrer Pensionssysteme und zur Senkung ihrer Löhne verpflichten. Um politischen Widerstand zu überwinden, werden Zuckerbrot und Peitsche in Position gebracht: Wenn die Maßnahmen umgesetzt werden, gibt es dafür – ganz nach dem in den Krisenländern zur Anwendung kommenden Modell – finanzielle Unterstützung. Andernfalls drohen Verwarnungen und Geldbußen.
Die Wirtschaftskrise und ihre „Bearbeitung“ haben die ohnehin oft schon prekäre Lebenssituation vieler Menschen weiter verschärft und die neoliberalen Europabilder brüchig werden lassen. Eine Vertiefung der Union im Interesse der wenigen stößt daher immer weniger auf den Konsens der Bevölkerung und lässt sich deshalb auch immer schwerer demokratisch durchsetzen. Es überrascht daher nicht, dass die bisherigen Bausteine der Krisenpolitik ein autoritär-neoliberales Muster aufweisen: Sie stellen einen Eingriff in die europäischen Verträge dar, der ordnungsgemäß nur durch ein Vertragsänderungsverfahren erfolgen hätte können.
Gegen diese Krisenpolitik bilden sich zunehmend Bündnisse von unten. Hierfür steht der Aufruf „Europa geht anders“2, der von zahlreichen Erstunterzeichnerinnen und -unterzeichnern aus ganz Europa unterstützt wird. Auf der entsprechenden Homepage heißt es: „Wir fordern alle Menschen, die ein anderes Europa wollen, auf, Druck auszuüben, damit möglichst viele Regierungschefs dem Wettbewerbspakt eine Absage erteilen. Es braucht eine Kehrtwende hin zu einem demokratischen, sozialen und ökologischen Europa der Vielen!“

Europa braucht eine Kehrtwende

Über die Wettbewerbspakte hinaus geht es um den Kampf für ein neues Europa. Die fatale Abwärtsspirale aus Sparpolitik, Sozialabbau, Zerstörung der Tarifautonomie und Arbeitslosigkeit muss gestoppt werden. In der AK-Broschüre „Die EU auf Kurs bringen – Ein neues Europa für die Menschen“3 finden sich Vorschläge, wie sich die EU ändern muss, um die Krise zu überwinden und die Grundlagen für ein neues Wohlstands- und Verteilungsmodell zu schaffen. Kurzfristig sind Sofortmaßnahmen zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung unumgänglich, wobei die Verteilungsfrage zentral ist: Durch koordinierte und markante Steuererhöhungen auf Vermögen, Spitzeneinkommen, Unternehmensgewinne und den Finanzsektor können die massiven Verteilungsungleichgewichte angegangen und budgetäre Spielräume für eine aktive Wirtschafts- und Sozialpolitik gewonnen werden. Darüber hinaus braucht es weitere tief gehende Maßnahmen zur Schrumpfung des Finanz- und Bankensektors, wie Re-Regulierung, öffentliche Kontrolle und Aufspaltung. Weitere Ressourcen zur Finanzierung öffentlicher Investitionen, vor allem in die soziale und ökologische Infrastruktur, können durch die rasche Einführung der geplanten Finanztransaktionssteuer und wirksame Maßnahmen gegen Steuerflucht, Steuerhinterziehung und Steuerdumping sichergestellt werden.
Die restriktiven fiskalpolitischen Vorgaben zur Budgetkonsolidierung sind dahingehend zu lockern, dass öffentliche Zukunftsinvestitionen nicht den neuen Fiskalregeln unterliegen („Goldene Regel der Finanzplanung“). Gleichzeitig muss das Verfahren zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte umfassend überarbeitet werden, um sicherzustellen, dass Mitgliedsstaaten mit Leistungsbilanzüberschüssen gezielt ihre Binnennachfrage stärken und Parlamente anstatt der Exekutive über die Wirtschaftspolitik entscheiden. Ein Sozialpakt, der soziale Mindeststandards einschließlich der Verankerung von Lohnuntergrenzen auf nationaler Ebene (unter Wahrung der Tarifautonomie), Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping sowie zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit beinhaltet, muss wesentlicher Bestandteil einer verbesserten sozialen Dimension der Währungsunion sein.

Vertiefung der Europäischen Union

Die Umsetzung dieser Maßnahmen ist Bedingung für eine „Vertiefung der Europäischen Union“. Sie bilden Einstiegsprojekte in die notwendige umfassende Transformation der europäischen Integration, die nicht nur eine formale Demokratisierung des Institutionengefüges zur Voraussetzung hat, sondern auch jene Akteure des neoliberalen Reformbündnisses entmachten muss, die für die gegenwärtige Politik der Verelendung verantwortlich sind. Ein „anderes Europa“ kann nur über eine weitreichende Verschiebung der Kräfteverhältnisse erstritten werden, welche auch die Monopolisierung wirtschaftlicher Entscheidungen durch eine umfassende Demokratisierung aufbrechen muss.

1 Für eine ausführliche Analyse siehe: Oberndorfer, Pakt(e) für Wettbewerbsfähigkeit als nächste Etappe in der Entdemokratisierung der Wirtschaftspolitik?, Infobrief eu & international 1/2013, bit.ly/paktefuerwettbewerbsfaehigkeit
2www.europa-geht-anders.eu
3tinyurl.com/ksanpth


Europa geht anders:
www.europa-geht-anders.eu

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