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Symbolbild zum Bericht "MMag. im Kinderzimmer" Lange Studiendauer und schlechte Bezahlung am Berufsanfang selbst für gut Ausgebildete sind zumindest in Österreich noch keine ausreichenden Erklärungen, warum junge Erwachsene immer später das Elternhaus verlassen.

MMag. im Kinderzimmer

Schwerpunkt

Auch in Österreich wohnen immer mehr junge Erwachsene bei den Eltern - das hat viele Gründe, materielle Not ist einer der selteneren.

Würden Sie einen Mann daten, der noch bei den Eltern wohnt?“ – Da kommen junge Frauen ab 18 wohl auch heute noch sehr ins Grübeln, sogar diejenigen, die selbst noch im Kinderzimmer logieren. Obwohl sich immer mehr junge Menschen immer länger mit dem Ausziehen Zeit lassen, wird das Phänomen auch in der eigenen Altersgruppe nicht hundertprozentig akzeptiert. Nicht abgenabelt, Kind geblieben, unselbstständig – das sind in der Regel die anderen. Warum man/frau selbst noch keinen eigenen Haushalt hat, dafür werden dann außergewöhnliche Umstände angeführt.

Frauen holen auf

Der Anteil der 27-Jährigen, die noch im „Hotel Mama“ residieren, hat sich von 1971 bis 2011 auf rund 38 Prozent fast verdoppelt, bei den 36-Jährigen fast verdreifacht.1 Bei den Frauen verläuft der Trend ähnlich – allerdings deutlich schwächer als bei den Männern. Sie holen Studien zufolge vorrangig in der Altersklasse 18 bis 25 auf. Wohnte 1971 knapp jede dritte 21-Jährige bei den Eltern, tun das 2011 schon zwei von drei. Derzeit wohnt jede zwölfte 33-Jährige in Österreich noch unter dem elterlichen Dach, 1971 war dieser Anteil nicht einmal halb so groß. Die neusten Daten zeigen, dass Frauen auch hier aufholen: Nach einer im vergangenen August vorgestellten repräsentativen Studie der GfK Sozial- und Organisationsforschung, für die 4.000 ÖsterreicherInnen ab 15 befragt wurden, wohnen 42 Prozent der Männer und 41 Prozent der Frauen zwischen 20 und 29 Jahren bei den Eltern.

A-Schicht Phänomen

Im internationalen Vergleich liegt Österreich eher im Mittelfeld. Und der lange Verbleib im Elternhaus scheint hier vor allem ein Phänomen der A-Schicht (= mehr als 6.000 Euro monatliches Netto-Haushaltseinkommen) zu sein. Immerhin wohnen 62 Prozent der Männer und Frauen mit Eltern aus der A-Schicht zwischen 20 und 29 Jahren noch zuhause. Nicht nur weil die Berufsausbildung länger dauert, sondern einfach weil ausreichend Platz vorhanden ist. Das zeigt auch die Tatsache, dass der Auszug etwa dann besonders unwahrscheinlich ist, wenn junge Männer mehr als 35 m2 zu ihrer Verfügung haben.2

2010 wohnten in Spanien 60 Prozent der unter 35-Jährigen noch oder wieder bei den Eltern. Der durchschnittliche Italiener gründet erst mit 31 Jahren einen eigenen Hausstand. Dass SüdländerInnen länger zu Hause wohnen als etwa SkandinavierInnen hat schon länger Tradition. In den vergangenen Jahren sind die Quoten allerdings überall gestiegen, das Verhältnis ist annähernd gleich geblieben. Die Unterschiede hängen wahrscheinlich nicht nur mit der für südliche Länder typischen katholischen Lebensplanung zusammen, bei der man(n) direkt vom mütterlichen Herd zum Kochtopf der Gattin wechselt. Überall dort, wo Hausbesitzer bei der Mietengestaltung ziemlich freie Hand haben, sind die Mietpreise besonders hoch und der Trend zum Eigenheim größer. Aber auch in ländlichen Gebieten ist die Tendenz zum Eigenheim verständlicherweise größer und das ist natürlich – zumindest kurzfristig – teurer als eine Mietwohnung. Last but not least wird in manchen nördlichen Staaten die „Nestflucht“ in Form von Mietzuschüssen, Ausbildungsförderungen, Darlehen u. Ä. staatlich gefördert.

Lange Studiendauer und schlechte Bezahlung am Berufsanfang selbst für gut Ausgebildete sind zumindest in Österreich noch keine ausreichenden Erklärungen, warum junge Erwachsene immer später das Elternhaus verlassen. Flügge werden viele immerhin oft schon vor dem 20. Lebensjahr – beim Studieren im Ausland oder einem Praktikum in Übersee. Längere Auslandsaufenthalte, die mitunter innerhalb von wenigen Wochen geregelt werden müssen, sind praktisch nur mit der Heimatbasis Elternhaus möglich. Nebenbei eine eigene Wohnung zu erhalten, ist unter dem Aspekt größtmöglicher Flexibilität nur schwer möglich.

Nestflucht nicht nötig

Die Kluft zwischen den Generationen ist deutlich kleiner geworden. Die meisten jungen Leute haben nicht mehr das Bedürfnis, ihr Elternhaus so rasch wie nur möglich zu verlassen, vielleicht unter anderem auch deshalb, weil viele infolge hoher Scheidungsraten nicht mehr mit beiden Elternteilen gleichzeitig „zurechtkommen“ müssen beziehungsweise mitunter zwischen zwei „Elternhäusern“ wählen können. Wie auch immer, laut der Shell-Jugendstudie 2010 haben 90 Prozent der Jugendlichen ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Drei Viertel würden ihre eigenen Kinder im selben Stil erziehen. Ausreichend Platz und kaum Generationenkonflikt – unter diesen Umständen kann man sich auch länger damit Zeit lassen, um die optimale Wohnung in einer angenehmen Gegend zu finden bzw. dafür zu sparen.

Nur wer aus irgendwelchen Gründen das Elternhaus möglichst rasch verlassen will, ist gewillt, Einbußen an Wohnkomfort in Kauf zu nehmen. So wie etwa Migrantinnen und Migranten, die häufig in eher beengten Verhältnissen leben, früher heiraten und bei denen (offene oder verdeckte) Konflikte zwischen den Generationen eher an der Tagesordnung sind: „Als Kind in der Familie – unabhängig vom Alter bzw. Erwerbsstatus – leben weit mehr Personen, die im Inland geboren sind, als jene mit ausländischem Geburtsland (31,5 % zu 13,9 %)“, so eine Studie der Statistik Austria3.

Stufenweiser Prozess

Im Übrigen ist der Auszug aus dem Elternhaus nicht automatisch mit emotionaler und sozialer Unabhängigkeit gleichzusetzen. Wer etwa nach wie vor seine Wäsche von Mama waschen und bügeln oder sich täglich bekochen lässt, steht noch nicht hundertprozentig auf eigenen Beinen.
„Denn der Auszug ist zwar nach außen sichtbar, aber nicht unbedingt mit emotionaler Autonomie gleichzusetzen, womöglich für junge Menschen nicht so bedeutend wie von Medien etc. suggeriert“, folgert Christine Geserick vom Institut für Familienforschung (ÖIF). Die Jugendlichen argumentieren, „die emotionale Bindung an die Eltern bleibe von der räumlichen Trennung unberührt.“

Apropos Sex

Die soziale Ablösung (z. B. bei Konsumverhalten oder Sexualität) findet heute früher statt, das Experimentieren mit Lebensstilen und ein gleitender Übergang in das Erwachsenenleben sind durchaus üblich. Ende des 20. Jahrhunderts wurde daher der Begriff Postadoleszenz für die eigene Lebensphase zwischen Jugendlichem und Erwachsenen etabliert.

Apropos Sex: Kommt der nicht zu kurz, wenn junge Leute bei den Eltern leben? In Publikationen zum Thema Nesthocker wird dieser Bereich erstaunlich selten erwähnt. Für den Generations and Gender Survey wurden 5.000 Personen zwischen 18 und 45 Jahren gebeten abzuschätzen, wie sich ein Auszug innerhalb der nächsten drei Jahre auf die verschiedenen Lebensbereiche auswirken könnte. Am positivsten schätzen die Befragten die Auswirkungen auf ihre Autonomie und ihr Sexualleben ein, hier rechnen 46 Prozent (Autonomie) bzw. 40 Prozent (Sexualleben) mit einer viel besseren oder besseren Situation. Die Mehrheit antwortete jedoch neutral („weder noch“), in fast allen Bereichen – außer bei den Finanzen. Hier prognostizierten die Befragten eindeutig negative Konsequenzen.

Mama bleibt die Beste

Und nach dem Auszug? Deutlich mehr als die Hälfte der befragten Personen zwischen 20 und 39 Jahren sieht ihre/seine Mutter mindestens einmal pro Woche, wobei der tägliche Kontakt bei Söhnen fast doppelt so häufig genannt wurde wie von Töchtern.
Der Kontakt zu den Vätern ist weniger intensiv, besonders deutlich ist der Unterschied bei den 20- bis 24-Jährigen. Nur knapp die Hälfte hat mindestens einmal pro Woche Kontakt mit dem Vater. Auch vollständiger Kontaktabbruch zum Vater kommt deutlich häufiger vor als zur Mutter.

1 Österreichisches Institut für Familienforschung der Universität Wien, Christine Geserick, Working Paper 76/2011, Ablösung vom Elternhaus, Ergebnisse aus dem Generations and Gender Survey (GGS) 2008/09
2 Immowelt.at: Wohnen und Leben Winter 2012, Repräsentative Studie zum Wohnen und Leben in Österreich
3 Statistik Austria: Arbeits- und Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten in Österreich, Wien 2009

Österreichisches Institut für Familienforschung der Universität Wien, Studie zur Ablösung vom Elternhaus
tinyurl.com/octwhzx

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