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Symbolbild zum Bericht "Professionelle Pflege zu Hause - Alternative zur Familie?" Im Jahr 2012 hatte Österreich 8,4 Mio. EinwohnerInnen; der Anteil der Personen, die 65 Jahre und älter waren, betrug 17,9 Prozent. Im Jahr 2030 wird dieser Anteil bei knapp neun Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern fast ein Viertel betragen.

Professionelle Pflege zu Hause - Alternative zur Familie?

Schwerpunkt

Einheitliche Standards und Daten über die Versorgungssituation fehlen.

Sozialer Fortschritt kann viele Gesichter haben: Eines davon wäre ein professionalisiertes und dennoch leistbares Pflegesystem, das eine bessere Versorgungsqualität sicherstellt und v. a. Frauen entlastet, die bisher ihre Angehörigen selbstlos und unbezahlt zu Hause gepflegt haben.
Wer diesen Gedanken für eine sozialromantische Utopie hält, verkennt die Potenziale eines flächendeckenden Angebots an Sozialen Diensten – von (teil)-stationärer Betreuung, mobilen Pflege- und Betreuungsangeboten bis hin zur Hilfe bei haushaltsnahen Diensten (z. B. Einkäufe, Reinigung).

(In)Transparenz im Pflegebereich

Während die Daten zum Pflegegeld (u. a. BezieherInnen nach Stufen/Altersgruppen/Bundesländern) und der entsprechende finanzielle Aufwand schon immer genau erfasst wurden, gestaltet sich das Vorhaben, aussagekräftige und detaillierte Daten im Bundesländervergleich zu den Sachleistungen (Pflege- und Betreuungsdienste) zu erhalten, als durchaus schwierig.

Der Aufwand für das Pflegegeld betrug 20111 für den Bund 2,071 Mrd. Euro und für die Länder 379 Mio. Euro, in Summe somit rund 2,45 Mrd. Euro (0,8 Prozent des BIP). Für Pflege- und Betreuungsdienste wurden 2011 laut Statistik Austria 2,9 Mrd. Euro (Vollkosten/Bruttokosten) aufgewendet, der sogenannte Nettoaufwand – in einem verkürzten Sinn – betrug 1,6 Mrd. Euro2. Im Ergebnis wurden im Jahr 2011 damit rund vier Mrd. Euro für Pflege (Geld- und Sachleistungen) ausgegeben, das entspricht rund 1,35 Prozent des BIP.

Aktuell (8/2013) beziehen in Österreich knapp über fünf Prozent der Bevölkerung (439.000 Personen) Pflegegeld, international eine sehr hohe Zahl. Anzumerken ist aber, dass sich ein Großteil in den unteren Stufen befindet: 52 Prozent der PflegegeldbezieherInnen in den Stufen 1 und 2, nimmt man die Stufe 3 dazu, sind es fast 70 Prozent aller BezieherInnen.

Im Vergleich zum nach wie vor geldleistungsdominanten Pflegesystem in Österreich ist der Anteil der Gesamtausgaben für Pflege an der Wirtschaftsleistung in den skandinavischen Ländern mehr als doppelt so hoch. Dort ist auch die Professionalisierung deutlich höher als in Österreich.

Status quo

Laut BMASK bzw. Statistik Austria werden 16 Prozent der PflegegeldbezieherInnen stationär betreut, 30 Prozent nehmen mobile Dienste in Anspruch, drei Prozent erhalten eine Förderung der 24-Stunden-Betreuung. Jedenfalls über 50 Prozent werden zu Hause ohne professionelle Hilfe gepflegt und betreut. Die hohe Nichtinanspruchnahme professioneller Dienste durch die PflegegeldbezieherInnen kann wohl auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden, u. a. ein verfestigtes – konservatives – Rollenbild für Frauen, fehlende Dienstleistungsangebote und Kostenvorbehalte.

Die Pflege und Betreuung durch Angehörige – zum Großteil durch Frauen (Ehefrauen, Töchter, Schwiegertöchter) – spielt „traditionell“ in Österreich eine große Rolle und bildet auch bestehende Versorgungsdefizite im Bereich der Sozialen Dienste (u. a. hinsichtlich flächendeckender Verfügbarkeit und Qualität) ab. Auch das Kostenargument spielt eine Rolle, da mit dem Pflegegeld die pflegebedingten Mehraufwendungen nur pauschaliert abgegolten werden und ein nicht unwesentlicher Beitrag aus dem Einkommen (meistens der Eigenpension bzw. der Familie) geleistet werden muss.

Harmonisierte Pflegestandards?

Derzeit sind weder die Standards in der Pflege einheitlich definiert, noch sind verlässliche Datengrundlagen über die Versorgungssituation in den einzelnen Bundesländern bzw. Regionen verfügbar. Damit fehlen wesentliche Entscheidungsgrundlagen für einen zielgerichteten Ausbau der Sachleistungen in Österreich.

Neben dem Aufbau eines standardisierten Monitorings der Versorgungssituation in den Bundesländern soll mit den Mitteln aus dem beim BMASK eingerichteten Pflegefonds der Mehraufwand der Bundesländer beim Auf- und Ausbau der Betreuungs- und Pflegedienstleistungen teilweise abgedeckt werden. In Summe stehen 2011 bis 2016 kumuliert 1,3 Mrd. Euro zur Verfügung und erste Versorgungszielwerte wurden definiert.

Zukünftiger Bedarf

Im Jahr 2012 hatte Österreich 8,4 Mio. EinwohnerInnen; der Anteil der Personen, die 65 Jahre und älter waren, betrug 17,9 Prozent3. Im Jahr 2030 wird dieser Anteil bei knapp neun Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern fast ein Viertel betragen. Insbesondere der Anteil der „älteren Alten“ wird stark steigen: Knapp über eine Mio. Menschen (rund elf Prozent) wird älter als 75 Jahre sein.

Die Zahl pflege- und betreuungsbedürftiger Personen wird allein aus diesem Grund jedenfalls steigen. Inwieweit die dazugewonnenen Jahre „gesunde“ Jahre oder solche mit Pflegebedarf sind, kann nur geschätzt werden. Aber auch die geänderten Wohnverhältnisse (mehr Singlehaushalte, Entfernung des Wohnorts der Kinder von jenem der Eltern) sowie die steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen und deren späterer Pensionsantritt werden die Nachfrage nach professionellen Angeboten bei den Sozialen Diensten steigern. Dies muss als Chance für den Arbeitsmarkt gesehen werden.

Seriös absehbar ist aus heutiger Sicht nur, dass für Pflege und Betreuung größere Budgets als heute erforderlich sein werden. Verblüffend ist aber so manche langfristige Kostenprojektion mit dem Befund, dass das Pflegesystem vor einem Finanzierungskollaps stehen soll. Ein Befund, der – wie oben beschrieben – weder auf verlässliche Datengrundlagen noch auf konkrete Ausbauszenarien zurückgreifen kann und darüber hinaus methodisch zweifelhaft ist.

Aus AK-/ÖGB-Sicht wäre deshalb mehr Kostenwahrheit – nicht nur bei (Langfrist-)Projektionen – das Gebot der Stunde, um eine unnötige Verunsicherung der Menschen zu vermeiden. Projektionen des künftigen Budgetbedarfs im Bereich der Pflege in Österreich bzw. in Europa (vgl. Europäische Kommission, The Ageing Report 2012) beziehen sich einseitig vorwiegend auf die anfallenden „Kosten“ (Investitionen, Personalbedarf, Betriebskosten etc.), ohne aber die beachtlichen positiven Effekte auf die öffentlichen Haushalte zu berücksichtigen (u. a. Impulse durch Investitionen, direkte Lohnabgaben durch zusätzliche Beschäftigung, Einsparungen im Gesundheitsbereich durch bedarfsgerechtere Versorgung u. v. m.).

Diese einseitige und ökonomisch kurzsichtige Betrachtung führt damit stets zu Verzerrungen und massiv überhöhten Kostendarstellungen.

Doppelte Entlastung

Die „wahren“ Netto-Kosten des notwendigen Ausbaus der Pflege-Dienstleistungen fallen umso niedriger aus, je höher die (direkten und indirekten) Beschäftigungseffekte und die positiven Wirtschaftsimpulse ausfallen. Eine Professionalisierung des Pflegesektors insgesamt bringt aus Sicht von AK und ÖGB nicht nur eine massive (physische und psychische) Entlastung der bisher pflegenden Angehörigen mit sich, sondern auch eine Entlastung der öffentlichen Budgets, da Fehlversorgungen vermieden werden und gleichzeitig beachtliche Beschäftigungspotenziale realisiert werden können.

Eine aktuelle Studie des NPO-Kompetenzzentrums der WU Wien (2012)4 kommt sogar zum Schluss, dass ein Euro, der 2010 in Wien in mobile Pflege- und Betreuungsdienste investiert wurde, einen ökomischen und gesellschaftlichen Nutzen von 3,70 Euro ausgelöst hat. Die Frage lautet daher: Können wir es uns eigentlich leisten, nicht zu investieren?

Gerade durch die verbesserten Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sollte auch das „innerfamiliäre“ Leistbarkeitsargument professioneller Pflegeangebote wesentlich entschärft werden – zugespitzt könnte gelten: steigende Haushaltseinkommen ermöglichen statt „Gratis-Pflege“ forcieren.

1 BMASK (2012), Pflegevorsorgebericht; ab 2012 nur noch Bundespflegegeld.
2 Minus Kostenbeiträge, Regresse und sonstige Einnahmen.
3 Statistik Austria (2013), Demografische Indikatoren.
4tinyurl.com/o4x3lem 

BMASK – Informationen zur Pflege:
tinyurl.com/p9zvzxv

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