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Symbolbild zum Bericht Der Obmann des Bundes der Industrieangestellten (einer Vorläuferorganisation der GPA-djp) Richard Seidel stellte dazu fest: "Es wäre falsch, wenn sich die Gewerkschaften den notwendigen Rationalisierungsbestrebungen widersetzen würden."

Rationalisierungsmanagement (mit-)gestalten

Schwerpunkt

Über die Anfänge gewerkschaftlicher Arbeitswissenschaft in der Zwischenkriegszeit.

Betriebliche Rationalisierungen durch den Einsatz von Maschinen, die Technologisierung von Arbeitsabläufen, Betriebsschließungen und -verlagerungen, zumeist verbunden mit Senkung der Lohnkosten und dem Abbau von Arbeitskräften, waren und sind die beliebtesten Methoden des Managements zur Produktivitäts- und mithin Gewinnsteigerung. Weitgehend unbekannt ist, dass sich die Gewerkschaften in Europa und den USA bereits in den „Goldenen Zwanzigerjahren“ mit diesen und ähnlichen Managementmethoden konfrontiert sahen. Als Reaktion entstand in Österreich damals nicht nur eine gewerkschaftlich orientierte „Arbeitswissenschaft“, sondern es kam auch zu einer institutionellen sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit.

1920er-Jahre: Rationalisierungswelle

Rationalisierungsmaßnahmen, bedingt durch den technologischen Fortschritt und verbunden mit einer Straffung von Arbeitsabläufen, begleiten die wirtschaftliche Entwicklung seit Beginn der Industrialisierung. Doch es waren bis zu den 1920er-Jahren oft nur einzelne Unternehmen oder Branchen, die zu unterschiedlichen Zeiten von Umstrukturierungen betroffen waren. In den 1920er-Jahren setzte jedoch – in Österreich bedingt durch ein hohes Zinsniveau – eine breite „Rationalisierungswelle“ ein, die sich über alle Branchen bis hin zum Dienstleistungssektor zog. Die umfassenden Kostensenkungsprogramme durch die Anwendung aller produktivitätsfördernder Maßnahmen hatten in vielen Betrieben fatale Folgen für die ArbeitnehmerInnen: Entlassungen, erhöhter Arbeitsdruck, verbunden mit der Zunahme von Arbeitsunfällen und Verlängerung von Arbeitszeiten, bei keinen oder nur geringen Lohnzuwächsen. Die volkswirtschaftlichen Kosten waren überdies durch die im konjunkturellen Aufschwung nach 1924 sehr hohe Arbeitslosigkeit enorm.

1926: Arbeitswissenschaftsreferat

Nachdem sich die Unternehmen zunehmend über das Rationalisierungsmanagement austauschten, Komitees bildeten und wissenschaftliche Einrichtungen gründeten, die produktivitätssteigernde Maßnahmen auszuloten versuchten, stellte sich für die Gewerkschaften die Frage, wie dieser „Rationalisierungswelle“ zu begegnen sei. Der Obmann des Bundes der Industrieangestellten (einer Vorläuferorganisation der GPA-djp) Richard Seidel stellte dazu fest: „Es wäre falsch, wenn sich die Gewerkschaften den notwendigen Rationalisierungsbestrebungen widersetzen würden. Die Gewerkschaften können nicht zulassen, dass die Rationalisierung vor allem auf Kosten der ArbeitnehmerInnen und nur zugunsten der Unternehmer durchgeführt wird. Sie müssen namentlich gegen die in vielen Fällen eintretenden Schädigungen der Gesundheit auftreten.“

Um die arbeitswissenschaftliche Forschung nicht allein den Unternehmern zu überlassen, wurde in der Wiener Arbeiterkammer 1926 ein arbeitswissenschaftliches Referat unter der Leitung von Hans Mars gegründet, welches bereits 1927 die Publikation „Rationalisierung, Arbeitswissenschaft und Arbeiterschutz“ herausgab. Das Werk gab den Gewerkschaften eine erste Orientierung über die Methoden und Probleme des „Rationalisierungsmanagements“ und führte zur Gründung des „Fachausschusses für gewerkschaftliche Rationalisierungspolitik“ (AFAB) im Bund der Industrieangestellten: „Die Rationalisierungspolitik der Gewerkschaften muss darin bestehen, unmittelbar und mittelbar auf die Wirtschaftsführung so einzuwirken, dass die durch die kapitalistische Rationalisierung hervorgerufenen oder durch die Unterlassung der sozialen Rationalisierung verursachten Schädigungen der physischen, psychischen und sittlichen Persönlichkeit und der wirtschaftlichen und sozialen Lage der einzelnen Arbeitnehmer und ihrer ganzen Klasse abgewehrt und an ihrer Stelle die größtmögliche Verbesserung der wirtschaftlichen, gesundheitlichen und kulturellen Klassenlage gesetzt wird.“

1929: Rationalisierungspolitik

Die nun von AK und AFAB 1927 und 1928 durchgeführten Untersuchungen wurden 1929 in einer vom Bund der Industrieangestellten herausgegebenen Publikation „Grundlagen und Richtlinien gewerkschaftlicher Rationalisierungspolitik“ veröffentlicht. An konkreten Beispielen von Unternehmen aus Österreich und Deutschland konnte festgestellt werden, dass „Rationalisierung“ in den meisten Fällen mit Arbeitsentlassungen, einer Senkung des Lohn- und Gehaltsaufwands und einer Zunahme von Arbeitsunfällen einherging, während die nun geringeren Produktionskosten von Gütern nicht an die Konsumenten weitergegeben wurden: „Für die Unternehmer ist die Intensivierung das beliebteste Mittel zur Erhöhung der Ausbringungsquote, weil diese keine Kapitalaufwendung für Investitionszwecke erfordert und trotzdem höheren Gewinn abwirft.“

Kuratorium für Wirtschaftspolitik

Gemeinsam mit den Gewerkschaften erarbeitete AK-Referent Hans Mars einen umfangreichen Maßnahmen- und Forderungskatalog. Darin enthalten: eine Demokratisierung der Betriebsverfassung, innerbetriebliche Arbeitsbeschaffungs- und Einkommenspolitik, Arbeitszeitfragen, Vorschläge zur Beschäftigung von jüngeren und älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zur Herstellung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Belegschaft und Unternehmer bis hin zu einer „Arbeitsfreudepolitik“, innerbetrieblicher Weiterbildung und „Freizeitkulturpolitik“.

Das Engagement von AK und Gewerkschaften führte darüber hinaus 1928 zu einer ersten auf freier Vereinbarung gegründeten sozialpartnerschaftlichen Institution, dem „Österreichischen Kuratorium für Wirtschaftlichkeit“ (ÖKW). Das ÖKW, in dem die ArbeitnehmerInnenseite neben Wirtschafts- und Ingenieurskammern und landwirtschaftlichen Hauptkörperschaften drittel-paritätisch vertreten war, sollte nach den Wünschen von AK und Gewerkschaften die Rationalisierungsbestrebungen von Unternehmen und Verwaltung in eine sozialverträgliche Richtung lenken, Einfluss auf die Volkswirtschaft nehmen, technisch-organisatorische, arbeitswissenschaftliche und statistische Arbeiten in Hinblick auf Verwertbarkeit in der Praxis initiieren sowie entsprechende Aufklärungsarbeit leisten: „Die ArbeitnehmerInnen erachten es als eine der wichtigsten Aufgaben des ÖKW, nach Möglichkeit auf die Investitionspolitik innerhalb der Volkswirtschaft Einfluss zu nehmen.“ Allerdings konnte das ÖKW diese ursprünglich von AK und Gewerkschaften gestellten Anforderungen durch seine Konzentration auf betriebswirtschaftliche Maßnahmen nie ganz erfüllen.

Zwar versuchte das ÖKW in den 1930er-Jahren noch über Arbeiten zur Energiewirtschaft und zum Verkehrswesen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu nehmen, verlor jedoch nach seiner Wiederbegründung in der Zweiten Republik durch seine Konzentration auf rein betriebswirtschaftliche Agenden an Bedeutung. Hinsichtlich seiner Gründung stellt es jedoch einen Meilenstein in der Geschichte früher sozialpartnerschaftlicher Institutionen dar.

Ausschaltung der Selbstverwaltung

Mit der Ausschaltung der Selbstverwaltung der Arbeiterkammern und dem Verbot der Freien Gewerkschaften 1934, mit der dadurch bedingten Emigration des AK-Referenten Hans Mars nach England sowie nicht zuletzt durch die verheerenden Folgen der 1930 einsetzenden Weltwirtschaftskrise fanden die ersten Ansätze einer „gewerkschaftlichen Rationalisierungspolitik“ ihr vorläufiges Ende. Die damals erarbeiteten Erkenntnisse und betriebsdemokratischen Forderungen blieben jedoch aktuell. Sie wurden zu einem nicht geringen Teil Grundlage für die gewerkschaftliche Politik nach 1945.

„Sicherheit, Gesundheit und Arbeit“

Viele der in der Zweiten Republik von ÖGB und Arbeiterkammer auf gesetzlicher Ebene und von den Gewerkschaften auf kollektivvertraglicher Basis durchgesetzten Errungenschaften finden sich bereits in deren Forderungen zur Gestaltung menschenwürdiger Arbeitsverhältnisse in der Zwischenkriegszeit. Nicht zuletzt gehen auch die heutigen Abteilungen der AK Wien „Sicherheit, Gesundheit und Arbeit“ und „Betriebswirtschaft“ auf das 1926 gegründete „Referat für Rationalisierung, Arbeitswissenschaft und Arbeiterschutz“ zurück.

 AK-Referat Sicherheit, Gesundheit und Arbeit: tinyurl.com/ns9752q

AK-Referat Betriebswirtschaft: tinyurl.com/q7tsgj7

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor klaus.mulley@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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