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Symbolbild zum Bericht Die experimentelle Forschung zeigt, dass es Reichen an Empathie mangelt und dass Betrügen und Täuschen eher akzeptiert werden.
Buchtipp

Was vermögen Vermögende?

Schwerpunkt

Würden Reiche dasselbe von der Politik wollen wie Arme, könnte dies das Gemeinwohl stärken. Dem ist aber nicht so.

Seit den 1980er-Jahren verlagert sich die Bedeutung von öffentlichem Vermögen hin zu privatem Vermögen. Durch Privatisierungen, Deregulierung und Finanzglobalisierung stieg privates Vermögen bei einigen wenigen an, während das öffentliche Vermögen zurückging. In Folge sank der Spielraum des Wohlfahrtsstaates – und der Möglichkeitsraum der Reichen erhöhte sich. Oxfam, eine NGO, die regelmäßig zu Ungleichheit schreibt (tinyurl.com/n9c4rpm), hat jüngst belegt, dass die 85 reichsten Menschen so viel an Vermögen haben wie die gesamte untere Hälfte der Weltbevölkerung. Die private Vermögensungleichheit ist extrem und steigt in vielen Ländern sogar weiter an. Dies ist ein weitgehend unumstrittenes Faktum, umstritten bleibt aber, warum dies so ist und wie viel an Ungleichheit einer Demokratie guttut.

Die Frage nach dem Warum
Zur Beantwortung der Frage nach dem Warum der Vermögenskonzentration sind mehr und bessere Daten zur Vermögensentstehung notwendig. Wurde das Vermögen erarbeitet und erspart, geerbt, geschenkt, oder kam es durch Kursgewinne zustande? Der prominenteste Vermögensforscher, Thomas Piketty, der jüngst einen viel beachteten Auftritt in der Arbeiterkammer Wien hatte, fordert hierzu vehement Datentransparenz. Dies wäre ein unumgänglicher erster Schritt zur Aufklärung über die ungleichen sozialen Verhältnisse. Wenig weiß man schließlich zu den Privatstiftungen im In- und Ausland, zu den in Steueroasen gebunkerten Vermögen, aber auch zum Unternehmensvermögen und zu Teilen des Finanzvermögens. Bankgeheimnis und der steuerliche Regelrahmen, mit seiner Schieflage und seinen Ausnahmen, nutzen den Vermögenden.

Vermögende und Politik
Thomas Piketty achtet in seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ besonders auf die Top-1-Prozent, am wichtigsten erachtet er aber einen noch kleineren Kreis von Vermögenden, die Top-0,1-Prozent. In Österreich wären dies nur etwa 4.000 Haushalte. Eine so massive Vermögenskonzentration impliziert auch eine Konzentration von Macht und damit einher geht die Gefahr, dass demokratische Institutionen inhaltlich ausgehöhlt werden. Am Markt entsteht Vermögensungleichheit, in vermögenden Familien wird sie dynastisch ausgebaut, doch erst von der Politik wurde sie über billige Privatisierungen, Deregulierung und Steuersenkungen befördert. Die Vermögenden können leichter selbst politische Ämter übernehmen oder sie können jene Parteien unterstützen, die ihre Interessen verfolgen. An Gleichheit orientierte Politik hingegen hat kaum noch ein Instrumentarium zum Gegensteuern zur Verfügung. Dieses Dilemma ist seit Langem bekannt und war bereits ein Thema in der Großen Depression der 1930er-Jahre. US-Präsident Franklin D. Roosevelt mahnte damals, dass politische Gleichheit bedeutungslos werde, angesichts der Ungleichheit in der Wirtschaft. Die Problematik ist folgende: Würden Reiche dasselbe von der Politik wollen wie Arme, dann könnte dies das Gemeinwohl stärken, da die Vermögenden ja auf jeden Fall in der Gesellschaft durchsetzungsfähiger sind. Die Vermögenden haben – wie wir aus Studien wissen – jedoch andere Vorstellungen zu Sozialausgaben und Budgetkonsolidierung als der Rest der Bevölkerung. Soziale Themen sind ihnen weniger wichtig. Reagiert die Politik nun stärker auf die Vorstellungen der Vermögenden, so werden die Interessen des Rests beeinträchtigt.
Doch können wir in allen gesellschaftlichen Fragen von einer einheitlichen Orientierung der Vermögenden ausgehen? Aus den USA wissen wir, dass Milliardäre wie die Koch-Brüder massiv die republikanische Tea Party unterstützen. Andererseits gibt es auch Vermögende, die den Demokraten finanziell zur Seite stehen. Daher mag es sein, dass sich konservative und liberale Milliardäre in ihrer Wirkung auf die Politik ausgleichen. Doch dies kann von der Mitte abwärts niemanden beruhigen, denn es sind jedenfalls die Vermögenden, die gegenüber dem Rest viel mehr an Einflussmöglichkeiten haben, und dies ist schlecht für eine Demokratie. Dabei geht es nicht um eine direkte Kontrolle der Politik durch die Vermögenden, sondern es geht um immense Möglichkeiten der Beeinflussung.
Die Vermögenden vermögen, und dies ist hinreichend für eine Schieflage, weil die Politik dann beginnt, von Sachzwängen zu sprechen. Wenn Vermögende ihre Interessen dann auch in Einzelfällen konkret verfolgen, dann reichen ihre Möglichkeiten von Lobbying, Parteispenden, einer stärkeren Regelausnutzung und -missachtung bis zum Agenda Setting. Durch ein geschicktes Platzieren von Themen können öffentliche Debatten beeinflusst werden. Gäbe es eine funktionierende Kontrolle durch die Medien, so wäre diese Schieflage weniger schlimm. Doch die vierte Gewalt bleibt von der Vermögenskonzentration nicht unberührt.

Öffentliche Debatten zum Vermögen
Die Bevölkerung bleibt zum Reichtum und speziell zu den Beziehungen der Vermögenden mit der Politik auch aufgrund der Datenschwächen auf Vermutungen angewiesen. Politische Macht ist leicht an Ämtern zu erkennen, doch wirtschaftliche Macht wird auch ohne politische Ämter ausgeübt. Wie können die Interessen der Top-0,1-Prozent vom Rest der Gesellschaft erkannt werden? Die Diskussion von Verteilungsfragen wird auf verschiedenen Wegen erschwert: So wird der eigene Reichtum von Vermögenden gerne relativiert. Diese reihen sich dann in der Selbstwahrnehmung irgendwo in der Mitte einer Gesellschaft ein. Wer aber in der Mitte steht, muss seinen Reichtum nicht begründen.

Vorgetäuschtes Allgemeininteresse
In den USA wird auch viel diskutiert, dass es zu einer großen Verkehrung kommt, die Reichen sehen sich selbst als Opfer von Kampagnen. Und aktiv können Vermögende sogar mit Graswurzelbewegungen reagieren. Diese sind erfindungsreiche volksnahe Initiativen der Vermögenden, die in ihrer Form Basisbewegungen durchaus ähneln und sehr hilfreich sind, wenn es um die ureigenen Interessen der Vermögenden geht, etwa um die Vermeidung von Vermögensbesteuerung. Je eher es Vermögenden gelingt, symbolische Macht zu erlangen, desto eher können sie ihre eigenen Interessen fälschlich als Allgemeininteressen ausweisen.
Abwertend sprechen manche von Armutskultur und argumentieren, dass manche Arme ohnedies selbst verschuldet in Not seien, da ihr geringes Einkommen durch Fehlverhalten und Charakterschwächen erklärbar sei. Diesen Armen mangle es an Entschlossenheit, Bereitschaft zum Verzicht, Fleiß und Risikoorientierung. Die Reichtumskultur wäre dann eine von Sparsamkeit, Mut, Innovation und Wohltätigkeit. Doch psychologische Studien zeigen, dass Reiche bei Verhaltensvergleichen in Experimenten schlechter abschneiden als Arme. Forscher platzierten sich etwa auf Straßen bei Fußgängerübergängen. Die Fahrer von Luxuswagen hielten weit seltener. Die experimentelle Forschung zeigt zudem, dass es an Empathie und Rücksichtnahme bei Reichen mangelt und dass Betrügen und Täuschen eher akzeptiert werden. Eine wohltätige Verwendung von Teilen des erworbenen Reichtums wird daher die Akzeptanz der Vermögenskonzentration stärken.
Besonders ärmere Menschen glauben an das sinnvolle Wirken von vermögenden Wohltätern. Dass die Demokratie aber auch über ein für die Gemeinschaft eingesetztes Vermögen geschwächt werden kann, ist schwer einzusehen. Insbesondere wenn der Sozialstaat seit Jahrzehnten als Bürokratie attackiert wird.

Mehrheitsbefund
Die Beschreibungen in diesem Artikel basieren auf den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien. Der Befund von den verhängnisvollen Folgen von Vermögenskonzentration für das Gemeinwesen wird von vielen geteilt. Der Aussage „Zu großer Reichtum einiger weniger führt zu gesellschaftlichen Problemen“ stimmt in Österreich eine deutliche Mehrheit zu.

Linktipp:
Beitrag und Video der A&W-Diskussion „Lektionen aus Pikettys Thesen“ zum Nachlesen und -sehen.

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