topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Symbolbild zum Bericht: Das verflixte siebte Jahr Die obersten fünf Prozent der Haushalte verfügen über die Hälfte des gesamten Vermögens. Es ist eine Frage der wirtschaftlichen Effizienz, der sozialen Stabilität und der Sicherung der Demokratie, diese Vermögenskonzentration zu verringern.

Das verflixte siebte Jahr

Schwerpunkt

Fast jede/r vierte Jugendliche ist arbeitslos, Armut und soziale Ausgrenzung greifen mehr und mehr Platz. Das müsste nicht sein. Die Alternativen liegen auf der Hand.

Zehn Millionen Arbeitslose mehr als vor Beginn der Finanzkrise; eine Arbeitslosenquote unter Jugendlichen von im Durchschnitt 24 Prozent, mit einer Spitze von fast 60 Prozent in Griechenland und Spanien; drastische Zunahme von Armut und sozialer Ausgrenzung; Wirtschaftsleistung und Realeinkommen noch immer unter dem Niveau von 2007; Abbau von Sozialleistungen gerade zu jenem Zeitpunkt, zu dem sie besonders dringend gebraucht würden: Die Europäische Union befindet sich trotz der jüngsten Konjunkturerholung im siebten Krisenjahr.

Tiefste Krise seit den 1930er-Jahren

In den besonders schwer von der Krise betroffenen Ländern gibt es jeweils spezifische Ursachen. Doch für die gesamte Union ist die Verantwortung für die tiefste Krise seit den 1930er-Jahren klar:

  • Der neoliberale Abbau staatlicher Regulierungen von Banken und Finanzmärkten hat zunächst zur Eröffnung eines spekulativen Casinokapitalismus geführt, dessen Spielkapital vom rasch wachsenden Vermögen einer kleinen Oberschicht stammt.
  • Der Zusammenbruch des Finanzcasinos hat einen Einbruch der realen Wirtschaftsleistung bewirkt, den vor allem ArbeitnehmerInnen und kleine Gewerbebetriebe bezahlt haben.
  • Mitten in der Krise wurden unter der Führung des liberalen EU-Wirtschaftskommissars Olli Rehn und der konservativen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel die öffentlichen Sozial- und Personalausgaben gekürzt, Massensteuern erhöht und Löhne gesenkt. Das hat die verfügbaren Einkommen gesenkt, die Konsumnachfrage und somit auch Produktion und Beschäftigung verringert. Die EU-Politik hat damit die Arbeitslosigkeit drastisch erhöht.
  • Liberale und Konservative haben mit ihrer falschen Politik die Krise verursacht und verschärft. Nun nutzen sie die verheerende Lage auf dem Arbeitsmarkt und im Staatshaushalt, um ihre politische Agenda voranzutreiben: den Abbau des Sozialstaates und die Schwächung der Gewerkschaften. In Spanien, Portugal und Irland sind sie dabei weit vorangekommen. Es wäre eine Illusion, zu glauben, dies hätte keine Folgen für uns in Österreich.

Auf fortschrittlicher Seite gibt es zwei Reaktionen auf die Vorherrschaft der Neoliberalen in der EU:

  • Die einen erwarten sich von der Rückkehr in den nationalen Wohlfahrtsstaat neue Handlungsspielräume in der Wirtschafts- und Sozialpolitik und plädieren für ein Ende des Euro. Doch kann sich ein einzelnes Land gegen den internationalen Steuerwettbewerb bei Gewinn- und Vermögenssteuern stemmen, der die Finanzierung des Sozialstaates gefährdet? Hat ein einzelnes Land die Möglichkeit, den riesigen spekulativen Kapitalverkehr einzudämmen?
  • Die anderen sind der Meinung, eine Regulierung der Finanzmärkte könne – wenn überhaupt – nur durch verstärkte Zusammenarbeit erreicht werden. Sie treten deshalb für eine demokratische Verfassung, das Prinzip der Sozialstaatlichkeit und eine starke Wirtschaftspolitik zur Eingrenzung von Banken und Finanzmärkten auf europäischer Ebene ein.

Das unmittelbarste Anliegen

Der unmittelbare Ansatzpunkt fortschrittlicher Wirtschaftspolitik in der EU ist der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen. Wir in Österreich müssen ein dringendes Interesse an der Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, Griechenland, Portugal und allen anderen Ländern haben: Weil wir mit den Opfern der Finanzkrise fühlen, weil wir die verheerenden Wirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit auf Gesellschaft und Demokratie kennen, weil Arbeitslosigkeit bei unseren Handelspartnern auch bei uns zunehmend auf Löhne und ArbeitnehmerInnenrechte drückt.

Für eine Verringerung der Arbeitslosigkeit müssen viele Faktoren zusammenspielen. Unmittelbar müssen Ausgabenkürzungen und Lohnsenkungen in den Krisenländern gestoppt werden, um Spielraum für eine Erholung von Investitionen und Konsum zu schaffen. Die europäischen Gewerkschaften fordern ein koordiniertes Investitionsprogramm für Infrastruktur und ökologischen Umbau der Wirtschaft. Für kommunale Beschäftigungs- und Ausbildungsprogramme zugunsten der Jugend wären in den nächsten Jahren Finanzmittel im Umfang von 40 bis 60 Mrd. Euro notwendig.

Viel Geld, aber wenig in Relation zu den 630 Mrd. Euro, die die Banken als Mitverursacher der Krise bislang aus Staatsgeldern bekommen haben. Dennoch stellt sich die Frage der Finanzierung. Die Staatschulden sind angesichts der enormen Kosten von Bankenrettungen und krisenbedingten Einnahmenentfällen seit 2007 sprunghaft auf ein langfristig nicht tragfähiges Niveau gestiegen. Zusätzliche öffentliche Investitionen können deshalb in den meisten Ländern mittelfristig nicht durch höhere Budgetdefizite finanziert werden.

Vermögenskonzentration verringern

Die großen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen der EU sind nicht ohne ein hohes Niveau öffentlicher Abgaben bewältigbar. Die Mittel für eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und eine Stärkung des sozialen Ausgleichs müssen von einer koordinierten Erhöhung vor allem von Vermögenssteuern kommen.

Die obersten fünf Prozent der Haushalte verfügen über die Hälfte des gesamten Vermögens. Es ist eine Frage der wirtschaftlichen Effizienz, der sozialen Stabilität und der Sicherung der Demokratie, diese Vermögenskonzentration zu verringern. Steuern auf sehr hohe Vermögen, ein Spitzensteuersatz für sehr hohe Einkommen, die Finanztransaktionssteuer und höhere Finanzaktivitätssteuern, ein Mindestsatz für die Körperschaftssteuer, die Erhöhung der Besteuerung von Kapitalerträgen und die Bekämpfung von Steuerflucht durch den vollen Informationsaustausch über Kapitalerträge bilden dabei die wichtigsten Elemente.

Demokratisch und sozial

Die entscheidende Herausforderung für ein soziales Projekt auf EU-Ebene besteht darin, die großen Errungenschaften des Nationalstaates in der Entwicklung von Demokratie und Sozialstaat über dessen nationale Grenzen hinaus zu bewahren. Dies ist nur dann möglich, wenn auf europäischer Ebene handlungsfähige und demokratisch legitimierte Strukturen entwickelt werden, die jene politischen Kräfte stärken, die für eine soziale EU eintreten. Die Stärkung des Europäischen Parlaments muss dabei im Mittelpunkt stehen.

Unmittelbar wäre es fatal, neoliberal orientierten Institutionen die Verwirklichung einer europäischen Sozialunion zu übertragen. Wichtig ist aber, darüber nachzudenken, in welchen Bereichen und mit welchen Instrumenten Schritte in Richtung des europäischen sozialen Projekts gemacht werden könnten. Dabei muss der soziale Ausgleich über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg auf die EU-Ebene ausgedehnt werden, etwa durch eine Stärkung des Sozialfonds und der Regionalpolitik und ein höheres EU-Budget, finanziert durch eigene Einnahmen.

Die Arbeitslosenversicherung bildet auf nationalstaatlicher Ebene ein wichtiges Element des sozialen Ausgleichs zwischen beschäftigten Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern und den Arbeitslosen.

Es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie Teile davon auf europäische Ebene transformiert werden können, etwa indem eine Grundabsicherung für Arbeitslose aus den EU-Budgets über eigenständige EU-Steuern finanziert wird und die Lebensstandardsicherung über ein Versicherungssystem auf nationalstaatlicher Ebene erfolgt.

Soziales Projekt weiterentwickeln

Die tiefe soziale und wirtschaftliche Krise hat zu schärferen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen geführt. Es ist völlig offen, welches politische Projekt sich auf europäischer Ebene durchsetzt. Die entscheidende Frage ist, ob die fortschrittlichen Kräfte Europas in der Lage sind, die EU von ihrer Strategie der autoritären Austeritäts- und Wettbewerbspolitik zu lösen, das traditionelle nationalstaatliche soziale Projekt auf europäischer Ebene weiterzuentwickeln.

Broschüre im Internet: „Europa in unsere Hände nehmen – AK Forderungen für die Wahlen zum Europäischen Parlament“

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor markus.marterbauer@akwien.at  oder die Redaktion aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum