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Symbolbild zum Bericht: Spar- und Wettbewerbs-EU am Ende? Spar- und Wettbewerbs-EU am Ende?

Spar- und Wettbewerbs-EU am Ende?

Schwerpunkt

Wird die euroliberale Wirtschaftspolitik fortgesetzt, blüht Europa ein verlorenes Jahrzehnt. Die Hälfte der Zeit ist bereits verstrichen.

Mitten in der Phase der wirtschaftlichen Erholung nach der „großen Rezession“ wurden die Eckpfeiler der Neuausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik eingeschlagen. Diese orientierten sich jedoch weder an den Krisenursachen noch an den Stabilisierungsmaßnahmen der öffentlichen Hand in Form von Konjunkturpaketen oder Kurzarbeit. Vielmehr wurde das alte „euroliberale“ Programm wiederbelebt, das bereits nach der Rekordarbeitslosigkeit Anfang der 1990er als Lösung propagiert wurde: Radikale Sparpolitik und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, vor allem durch Lohnsenkung. Diesmal war es die einsetzende Unsicherheit rund um die Kreditwürdigkeit Griechenlands Anfang 2010, die unter dem Schlagwort „neue europäische wirtschaftspolitische Steuerung“ weitere Reformen in Richtung Spar- und Wettbewerbsunion einleitete.

Arbeitslosigkeit und falsche Politik

Vier Jahre später sind die Ergebnisse dieser Politik, die sich aufgrund der deutlich tiefergehenden wirtschaftspolitischen Integration vor allem auf die Eurozone konzentrierte, verheerend. Die Zahl der Arbeitslosen stieg in der Eurozone gegenüber dem Vorkrisenniveau in zwei Schritten um über sieben Millionen auf einen neuen Rekord von mehr als 19 Mio. Der erste Anstieg von unter acht auf gut zehn Prozent im Jahr 2010 ist dem Wirtschaftseinbruch bzw. den unzureichenden öffentlichen Maßnahmen gegen die Krise geschuldet. Nach einer Stagnation der Arbeitslosenrate 2011 folgte der zweite Anstieg auf über zwölf Prozent, der vor allem auf die überzogene europäische Spar- und Wettbewerbsorientierung zurückzuführen ist.

Das wird besonders deutlich, wenn man die Entwicklung der Eurozone mit jener in den USA vergleicht: Nach einem ähnlich starken Wirtschaftseinbruch reagierte man dort mit anhaltend hohen öffentlichen Defiziten zur Stabilisierung der Lage. Somit konnte die Arbeitslosenrate von ebenfalls knapp zehn Prozent im Jahr 2010 auf unter sieben Prozent gesenkt werden. Ähnliches gilt für die Wirtschaftsleistung: Während 2013 in der Eurozone die Wirtschaftsleistung immer noch um etwa zwei Prozent unter dem Vorkrisenniveau lag, wuchs sie in den USA um sechs Prozent. Das ist mehr als in Deutschland (plus vier Prozent) und Österreich (plus drei Prozent), wo man sich den fatalen Konsequenzen der von ihnen eingeforderten europäischen Sparpolitik nur zum Teil entziehen konnte.

Mit den Hilfskrediten der Eurozone für Griechenland wurde kompromisslose Sparpolitik zum Hauptziel der europäischen Wirtschaftspolitik. Im Falle von Griechenland und später Irland, Portugal und Zypern waren diese Kredite das unmittelbare Instrument zur Durchsetzung der europäischen Vorgaben, indem die Auszahlung an die ständig wachsende Anzahl an Sparauflagen geknüpft wurde. Diese Auflagen wurden jedoch nicht demokratisch – beispielsweise im Europäischen Parlament – legitimiert, sondern von der extra dafür geschaffenen Troika ausverhandelt, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds zusammensetzt.

„Näher dem Abgrund“

Statt die Länder auf solide neue Beine zu stellen, wurden diese „näher an den Abgrund getrieben“, wie es Wolfgang Kowalsky vom Europäischen Gewerkschaftsbund formulierte. Selbst im angeblichen „Sanierungserfolgsland“ Irland ist die Bilanz ernüchternd: Die Arbeitslosenquote liegt trotz starker Auswanderung und einem besonders niedrigen Ausgangsniveau immer noch bei 12 Prozent; die Wirtschaftsleistung beträgt nur noch 93 Prozent des Vorkrisenniveaus. Besonders schlimm ist die Lage in Griechenland: Die Wirtschaft ist ähnlich stark eingebrochen wie in Österreich während der großen Depression in den 1930ern, und die Arbeitslosenrate erreicht unvorstellbare 27,5 Prozent.

Parallel zum Troika-Regime wurde eine Reform des – in orwellscher Weise Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) genannten – EU-Budgetregelwerks ausgearbeitet, das alle Länder der Eurozone unter Androhung empfindlicher finanzieller Sanktionen zur Sparpolitik zwingt. Diese Reform trat in zwei Schritten Anfang 2012 bzw. Ende 2013 in Kraft und taucht seither unter der Bezeichnung „Six-Pack“ und „Two-Pack“ immer wieder in der öffentlichen Diskussion auf. Damit nicht genug, unterzeichneten alle Mitgliedsstaaten (mit Ausnahme von Großbritannien und Tschechien) 2013 den sogenannten Fiskalpakt, der insbesondere die Verankerung der Regelungen des SWP in den nationalen Verfassungen vorsieht.

Das konservative Ziel der Einengung budgetpolitischer Handlungsfähigkeit wurde so weitgehend erreicht. Das Ergebnis ist ein im internationalen Vergleich besonders geringes Defizit der Eurozone – allerdings um den Preis von Rekordarbeitslosigkeit, Deflationsgefahr und realen Einkommensverlusten für die meisten EuropäerInnen. Selbst Organisationen wie die OECD kommen nun zum Schluss, dass die einseitige Sparpolitik negative Verteilungswirkung hatte.

Zweite Priorität: Jede/r gegen jede/n

In dem Maß wie die Verantwortlichen in der Europäischen Kommission bzw. im Rat die immer offensichtlicheren Schattenseiten ihrer Sparpolitik nicht mehr leugnen konnten, wurde der Zwang zu Strukturreformen zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit als zweite Säule der europäischen Wirtschaftspolitik ausgebaut. Beginnend mit dem von der deutschen Regierung vorangetriebenen Euro-Plus-Pakt sollte vor allem Arbeit verbilligt werden, sei es durch Abbau von Arbeitsplatzqualität und -standards, Schwächung der Gewerkschaften und/oder niedrigeren Löhnen. Die damit verbundene Hoffnung: Durch Exporte soll Europa wieder zu Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum kommen. Leider wurde „übersehen“, dass die Exporte der Eurozone nach wie vor nur etwa ein Fünftel der Gesamtnachfrage betragen. Selbst wenn dieser Teil nun stärker wächst, so kann damit rein rechnerisch insgesamt kein positiver Beitrag entstehen, wenn die Spar- und Lohnsenkungsstrategie zu Lasten der anderen vier Fünftel – nämlich der Konsum- und Investitionsnachfrage in der Eurozone selbst – geht.

Die Resultate dieser Politik sind durchaus sichtbar. Erstmalig seit dem Zweiten Weltkrieg sanken die real verfügbaren Einkommen der Haushalte in der Eurozone fünf Jahre in Folge. Unerwünschter Nebeneffekt: Die Verschuldungsquoten der privaten wie öffentlichen Haushalte steigt und somit wird ihre Rückzahlungsfähigkeit geschwächt. Gleichzeitig fördert das Mantra des Wettbewerbs zwischen Volkswirtschaften und ihren Akteuren die Konflikte untereinander. Die solidarische Zusammenarbeit zur Verbesserung der Lebensverhältnisse aller Menschen in Europa weicht dem Wettbewerb zwischen den Mitgliedsstaaten um Marktanteile „ihrer“ Unternehmen und die größten Einsparungen bzw. zwischen den Arbeitslosen um die wenigen verbliebenen Jobs.

Kurswechsel gefragt

Alternativen sind nicht nur gefragt, sondern liegen auf der Hand (vgl. Beitrag von Markus Marterbauer, Das verflixte siebte Jahr). Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene muss der Abbau der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt gerückt werden. Das würde nicht nur den Betroffenen helfen, sondern auch den Druck auf die Standards der Beschäftigten lindern. Zugleich würde damit mittelfristig zur Sanierung der öffentlichen Haushalte beigetragen werden, die sich einnahmenseitig in ganz Europa vor allem aus Steuern und Abgaben auf den Faktor Arbeit speisen und auch ausgabenseitig von hoher Arbeitslosigkeit geschwächt werden. Diese positiven Effekte fürs Budget ergeben sich selbst dann, wenn kurzfristig Geld für ökosoziale Investitionen in die Hand genommen werden muss.

Kurswechsel einschlagen

Die kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament zählen zu den wenigen Gelegenheiten, wo die Mehrheit der Menschen in der EU den Kurs der Wirtschaftspolitik beeinflussen kann. Von deren Ausgang wird abhängen, ob die Spar- und Wettbewerbspolitik weiter verschärft wird oder ob ein Kurswechsel für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse eingeschlagen wird.

Blogbeitrag zur Krise in Spanien: tinyurl.com/qxrllys
Blogbeitrag über öffentliche Investitionen: tinyurl.com/nfzx3gh

Blogbeitrag über Alternativen zur Massenarbeitslosigkeit in der EU: tinyurl.com/lkbmkq4

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor georg.feigl@akwien.at  oder die Redaktion aw@oegb.at

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