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Das Land der Griechen mit der Seele suchen ...

Wir sind Europa

SOZAK-Absolvent René Pauly hat mit den Menschen gesprochen.

Nach etwa einer Stunde Autofahrt deutete der 68-jährige Taxifahrer mit seiner zittrigen Hand in Richtung meines Hotels, er könne mich nicht direkt hinfahren, da heute Markttag sei und die Bauern aus dem Athener Umland ihre Waren anbieten würden. Die Fahrt kostete mich 15 Euro und einen überraschten Blick, als er mir mit einem kleinen Gerät eine Rechnung ausdruckte.

Einladung zum Essen

Im Hotel wurde ich überfreundlich empfangen, als ob ich jedes Wochenende zu Besuch kommen würde und die Besitzer mich schon eine Ewigkeit kennen würden. Ich packte meine Koffer aus, genoss den Ausblick über Athen, um mich anschließend auf den Weg zu machen und meine Umgebung zu erkunden. Es war gerade 14 Uhr, als ich in einer gemütlichen Taverne saß und an meinem Bericht schrieb, als mich ein Mann in einem sehr schönen Anzug ansprach und in perfektem Englisch fragte, ob ich ihm einen Kugelschreiber abkaufen würde. Ich lud ihn ein, mit mir zu essen, ich würde bezahlen, wenn er mir dafür seine Geschichte erzählt. Ich merkte, dass es ihm unangenehm war, doch offenbar war sein Hunger größer als sein schlechtes Gefühl. Er habe vor einer Woche noch in einer großen Logistikfirma gearbeitet, 15 Jahre war er dort tätig, dann haben sie ihn gekündigt, weil er zu teuer geworden ist und die Finanzkrise von allen Opfer verlangt – sagte ihm sein Chef. Abfertigung habe er keine bekommen, obwohl ihm eine zugestanden wäre, weil sein Unternehmen durch die Finanzkrise alle Rückstellungen aufbrauchen musste, und so könne der Chef ihm keine Abfertigung auszahlen. Die Gewerkschaft ist gegen die „Einsparungsargumentation“ der Finanzkrise machtlos, die die meisten Unternehmen nun verwenden, um bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu sparen. Da es kein Bilanzoffenlegungsgesetz gibt, können die Firmen nun ohne weiteres behaupten, sie hätten kein Geld und so Abfertigungen oder sogar Gehälter nicht ausbezahlen. Jetzt bekomme er etwa 322 Euro Arbeitslosengeld, für ein Jahr, danach sei Schluss mit staatlichen Sozialleistungen, da diese im Februar 2012 mit dem vierten Referendum abgeschafft wurden. Drei Tage nach seiner Kündigung habe er erfahren, dass nun ein Mann um die 20 seine Stelle übernommen hat. Das sei logisch, sagte der Mann, da auch der Generalkollektivvertrag (welcher einer der besten in Europa war) von den Arbeitgebern gekündigt wurde, müssen diese nur noch den Mindestlohn bezahlen und da sind unter 25-Jährige um etwa 60 Euro günstiger. Später habe ich erfahren, dass die Gewerkschaft gegen dieses altersdiskriminierende Gesetz beim Europäischen Gerichtshof mit der Argumentation „Tut uns leid, Griechenland befindet sich in einer Ausnahmesituation“ abgeblitzt ist. Wie es weitergehen sollte, wisse er nicht, er versuche nun bei den Eltern seiner Frau unterzukommen. Seine drei Kinder sind zum Glück schon vor einem Jahr alle nach Deutschland ausgewandert, da sie in Griechenland keine Arbeit gefunden haben, obwohl sie alle fertig studiert haben. Überall in Athen sieht man Zu-verkaufen-Schilder, egal ob Wohnungen oder Geschäftslokale. Jeder versucht, sich irgendwie durchzukämpfen – ob mit dem Verkauf von Kugelschreibern, Taschentüchern oder Feuerzeugen. 140.000 Menschen leben in Athen bereits auf der Straße. Kinder müssen in den Schulen vor dem Unterricht mit Milch oder einem Stück Brot versorgt werden, da sie durch die mangelnde Nahrungsaufnahme oft zusammenbrechen. Die Prostitution in Athen ist um etwa 4.000 Prozent gestiegen, fünf Euro – eine halbe Stunde. Selbstmordraten der älteren Bevölkerung sind rapide gestiegen, durch die Senkung der Pensionen können sie ihre Kinder nicht mehr unterstützen und wollen sie nicht zusätzlich belasten. Diejenigen, die ohnehin immer brav ihre Steuern bezahlt haben, werden noch mehr ausgepresst und die, die ohnehin nie Steuern gezahlt haben, ihr Geld auch früh genug in Steueroasen wie Österreich gebracht haben, werden kaum zur Kasse gebeten. 

Griechenland heute

Er werde weiter kämpfen, versuchen zu überleben, denn was solle man schon machen? Das waren seine letzten Worte, bevor er ging, bezahlen musste ich nichts, denn er hatte nur ein Glas Wasser bestellt. So war es doch nicht sein Hunger, der ihn zum Bleiben brachte, sondern nur sein Wunsch, jemandem vom heutigen in Europa befindlichen Griechenland zu erzählen.

INTERVIEW
Zur Person - Nikos PAIZIS
Alter: 57
Wohnort:  Piraeus, Athens, Greece
Erlernter Beruf: Mathematiklehrer und Bildungsforscher
Beruf: Wissenschaftlicher Berater der griechischen gewerkschaftlichen Bildungsorganisation KANEP/GSEE

Wie ist dein Familienstand?
Ich war verheiratet und bin geschieden.

Hast du Kinder? Und was machen die beruflich?
Anna ist 31 Jahre alt und Volksschullehrerin, sie hat ein Pädagogik-Studium abgeschlossen, und Olga ist 29 Jahre alt, hat ein Management-Studium abgeschlossen und ist in einer Führungsposition in einem Unternehmen.

Arbeitsplatz:
Ich unterrichte an einem Privatgymnasium.

Gewerkschaft:
Ich bin Vizepräsident der griechischen PrivatschullehrerInnen-Gewerkschaft OIELE.

Verrätst du uns bitte dein Einkommen und deine Lebenshaltungskosten?
Mein Nettoeinkommen als Lehrer beträgt 1.545 Euro, aus Networking, also Vernetzungsarbeit, als Forscher verdiene ich monatlich netto zusätzliche 1.200 Euro. Das reicht gerade, um meine Basiskosten abzudecken und meine alten Eltern und meine Töchter ein wenig zu unterstützen.  

Was bedeutet dir Arbeit?
Mein Leben und permanenter Stimulus für meine Kreativität und Kommunikationsfähigkeiten. 

Wie denkst du über die Wirtschaftslage in Griechenland?
Nur das Allerschlimmste.

Was bedeutet dir Gewerkschaft?
Die einzige Antwort auf die Bedürfnisse der Gesellschaft.

Was bedeutet dir die Europäische Union?
Sie ist zur größten Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt geworden.

Was ist dein Lieblingsland in Europa und warum?
Italien – dort habe ich viele Verwandte und Freunde.

Wie verbringst du deinen Urlaub?
Ich fahre einmal im Jahr zehn Tage auf meine Heimatinsel.

Was wünschst du dir für die Zukunft?
Endlich Licht am Ende des Tunnels …

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor rene.pauly@bfi-stmk.at
oder die Redaktion aw@oegb.at

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