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Symbolbild Jeder soll autonom über sein Leben bestimmen, so weit das möglich ist und nicht mit der gleichen Freiheit anderer kollidiert.
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Alles, was (un)gerecht ist

Schwerpunkt

Oft ist die Rede vom gerechten Krieg oder von ungerechtem Sparen. Aber was bedeutet Gerechtigkeit wirklich? Seit Tausenden Jahren sucht man nach der Antwort.

Schon in der „Politeia“ widmet sich der große Philosoph Platon ganz der Frage der Gerechtigkeit und deren Verwirklichung in einem idealen Staat. In Bezugnahme auf seinen Lehrer Sokrates erklärt Platon, gerecht sei, wenn jeder/jede das macht, was er/sie am besten kann. „Jeder tue das Seine und mische sich nicht in Dinge, die ihn nichts angehen“, heißt es. Analog dazu solle jeder das Seine bekommen, aber auch niemandem das Seine genommen werden. Der Rechtsgelehrte Ulpian erklärte ähnlich lautend: „Gib jedem das Seine!“ An dieser Stelle wollen wir nicht darauf eingehen, dass die Nationalsozialisten den Spruch „Jedem das Seine“ (Inschrift auf dem Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald) für ihre menschenverachtende Politik instrumentalisiert haben – dafür können die antiken Denker natürlich nichts! Entscheidend ist jedoch, wie bzw. von wem festgestellt wird, wie Güter und Pflichten verteilt werden sollen.

Ebenen der Gerechtigkeit

Elisabeth Holzleithner – sie lehrt am Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Uni Wien – meint dazu: „Es kommt darauf an, von welcher Ebene wir sprechen, die von Gerechtigkeit betroffen ist. In der Rechtsetzung ist der parlamentarische Gesetzgeber verantwortlich. Nach klaren Regeln und einem Diskussionsprozess werden Gesetze festgelegt. Es stellt sich natürlich die Frage, wie partizipatorisch diese Entscheidungsfindungen ablaufen, wie weit also die Betroffenen bei der Umsetzung in die Realität einbezogen werden.“ Das wird letztlich in der Praxis entschieden und erfolgt in Österreich bekanntlich durch eine repräsentative Demokratie. In Autokratien findet hingegen keine (oder eine sehr mäßige) Beteiligung eines Großteils der Betroffenen statt, was per se ungerecht ist. Gerechtigkeit ist also immer mit einem Diskurs verbunden.

Freiheit: der springende Punkt

Abgesehen vom Verfahren der Gerechtigkeitsfindung bleibt zu klären, ob es eine universelle Gerechtigkeit gibt oder ob diese immer „regional“ bzw. kulturell begrenzt sein muss. Holzleithner hat sich dazu unter anderem in ihrem Buch „Gerechtigkeit“ (ein Band der vom bekannten Philosophen Konrad Paul Liessmann herausgegebenen Reihe „Grundbegriffe der europäischen Geistesgeschichte“) intensiv beschäftigt: „Beim Nachdenken über Gerechtigkeit hat sich ein unhintergehbares Prinzip herausgebildet, nämlich die Vorstellung, dass Personen gleichermaßen frei sind. Jeder soll autonom über sein Leben bestimmen, so weit das möglich ist und nicht mit der gleichen Freiheit anderer kollidiert. Das bedeutet, dass niemand unbesehen zum Objekt degradiert werden darf, über das willkürlich bestimmt wird. Jeder Mensch verdient Achtung und Berücksichtigung.“ Ansonsten werden laut der Expertin Personen und Personengruppen zu „verfügbarem Material“, dem möglicherweise sogar die Existenzberechtigung abgesprochen wird, wie das im Nazi-Regime und anderen Diktaturen der Fall war. Holzleithner meint, dass aufbauend auf dem Grundprinzip der gleichen Freiheit die praktischen (Detail-)Fragen der gerechten Verteilung in Angriff genommen werden sollten.

Gerechtigkeit und Solidarität

Das Stichwort der gerechten Verteilung führt uns wiederum zum Begriff der Solidarität. Hier streiten sich Gelehrte, unterschiedliche Interessenvertretungen und politische Parteien darüber, ob Gerechtigkeit mit Solidarität gleichzusetzen ist. So meinte etwa John Rawls (1921–2002), der führende Denker zeitgenössischer Gerechtigkeitstheorie, dass in einer Gesellschaft kooperierender Mitglieder jeder etwas leisten müsse. Menschen, die keinen adäquaten Beitrag beisteuern, seien quasi Trittbrettfahrer, für die wenig Platz in dieser Gemeinschaft sei. Der wirtschaftsliberale Ansatz nach der Schule von Adam Smith oder des österreichischen Wirtschaftsnobelpreisträgers Friedrich August von Hayek hält staatliche Eingriffe in den Wirtschaftskreislauf ohnedies für wenig sinnvoll, ja sogar kontraproduktiv und ungerecht. Staatliche (solidarische) Lenkungsmaßnahmen führten demnach nämlich zu Verzerrungen. Stattdessen solle man die „unsichtbare Hand“ – sprich Selbstregulierung – des Marktes walten lassen.

Keynes’ „General Theory“

Viele DenkerInnen sind hier ganz anderer Ansicht, wobei an erster Stelle John Maynard Keynes zu nennen ist. Der britische Ökonom sprach sich in seiner „General Theory“ dafür aus, dass Staaten oder Institutionen wie Zentralbanken mit gezielten finanzpolitischen Maßnahmen die Wirtschaft, vor allem in Krisenzeiten, ankurbeln sollten. So würden die Nachfrage nach Gütern sowie Dienstleistungen, Beschäftigung und letztlich der allgemeine Wohlstand ansteigen. Das sei volkswirtschaftlich sinnvoll und darüber hinaus auch gerecht. Denn aus dem Blickwinkel einer solidarischen Perspektive produziert der freie Markt strukturelle Ungleichheiten, was sich etwa in der Herausbildung von Monopolen und Oligopolen widerspiegelt. Der Anhäufung von Kapital auf der einen Seite stünden auf der anderen verarmte Massen von Arbeiterinnen und Arbeitern gegenüber, weshalb ein soziales Gegensteuern notwenig sei. Oder vielleicht gleich eine Revolution? Diese Meinung vertrat wiederum Karl Marx, der übrigens dem Begriff der Gerechtigkeit prinzipiell sehr skeptisch gegenüberstand. Er hielt ihn für einen Teil des bürgerlichen Überbaues, für ein Scheinargument der Bourgeoisie, um die bestehenden Machtverhältnisse zu legitimieren. Innerhalb der unterdrückerischen kapitalistischen Produktions- und Besitzbedingungen sei Gerechtigkeit laut Marx nicht zu erreichen. Nach der Machtergreifung des Proletariats und der Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft erübrige sich das Problem der Gerechtigkeit/Ungerechtigkeit dann von selbst. Interessant ist, dass Marx die Prinzipien einer kommunistischen Gesellschaft auch wie folgt formuliert: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ – was wiederum stark an Platon erinnert.

Von Rousseau zu Marx

Marx greift übrigens auch aus dem Vollen auf den Schweizer Philosophen Jean-Jacques Rousseau zurück. Dieser meinte schon im 18. Jahrhundert, dass der Privatbesitz die Wurzel allen menschlichen Übels sei, der zu einer Herrschaft der Reichen über die Armen und Schwachen führe. Die Lösung sieht Rousseau in der Errichtung eines Gesellschaftsvertrags, der durch die freie Übereinkunft aller Bürger zustande kommen muss. Hier soll der Wille der Mehrheit über den Interessen einiger weniger Mächtiger stehen. Womit wir wieder bei Diskurs und Gesetzesfindung, wie sie in einer Demokratie üblich sind, angelangt wären. Die Umsetzung ist dann eine Frage der praktischen Auseinandersetzung, die sich aus dem gesellschaftlichen Diskussionsprozess herauskristallisiert. Dass der jeweilige Status quo es allen recht macht, ist dabei unwahrscheinlich – zu unterschiedlich sind die Auffassungen bzw. Interessen. Holzleithner führt weiter aus: „So ist es etwa die Position der Gewerkschaften, dass sozial Schwächere Sozialleistungen beziehen, weil das gerecht ist. Andere meinen wiederum, dass solche Leistungen eher Ausdruck von Großzügigkeit statt von Gerechtigkeit seien.“ Wer hier „recht“ hat, mögen die geneigten LeserInnen selbst entscheiden. Markus Marterbauer, Wirtschaftsexperte der AK Wien, gibt dabei zu bedenken: „Gerechtigkeit ist ein menschliches Anliegen, wobei gerechte Verteilung auch volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Die Zeiten hoher Prosperität fallen mit dem Ausbau des Sozialstaates zusammen.“ Der Ökonom meint, dass schon allein die Erwartungen in den Sozialstaat stabilisierend wirken: „Das Vertrauen in gewisse Sozialleistungen wie zum Beispiel Arbeitslosenunterstützung oder Gesundheitsversorgung halten vom ‚Angstsparen‘ ab. So bleibt gerade in Krisensituationen Geld im Wirtschaftskreislauf erhalten.“ Anstatt eines harten Sparkurses wünscht sich der Experte deshalb mehr Investitionen in Bildung und Arbeit. Marterbauer abschließend: „Die Finanzierung über eine höhere Belastung von großen Vermögen halte ich dabei für vertretbar und gerecht.“

Mehr Info unter: www.information-philosophie.de

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