topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Der Ruf nach der Fesselung der Politik … Bemerkenswert ist es trotzdem, dass PolitikerInnen, die sich selbst als Populisten verstehen, mit dem Sparschwein auf WählerInnenfang gehen.

Der Ruf nach der Fesselung der Politik …

Schwerpunkt

Schuldenbremsen zu fordern kann verblüffend populär sein - und ist oft populistisch.

Der Beitritt zum europäischen Fiskalpakt gehörte zu den meistdiskutierten Themen der Gewerkschaftsbewegung in den letzten Jahren.1 Kein Wunder: Die Proponentinnen und Proponenten dieser „Schuldenbremse“ im Rahmen der EU waren schließlich bisher nicht unbedingt als die größten Fans der Gewerkschaften bekannt.2

USA: Staatsgrundsatz Schuldenverbot

Was für Europa als Debatte eher ein Novum darstellte, ist in den USA schon seit langer Zeit als ideeller Wert verankert. Dort galt ein Schuldenverbot zunächst sogar als eine Art Staatsgrundsatz. Bis 1917 musste jede einzelne Anleihe vom Kongress genehmigt werden. Seit dem Ersten Weltkrieg wurde diese mühsame Praxis durch eine automatische (allerdings jährlich anpassbare) Schuldenobergrenze ersetzt. Fast ebenso lange können wir mitverfolgen, wie diese Regelung immer wieder zum Gegenstand von tagespolitischen Scharmützeln wird, während das Land am Rand der Zahlungsunfähigkeit schrammt. Marktradikale Kräfte – wie die AnhängerInnen der Tea-Party-Bewegung – sehen auf diesem Feld einen Startvorteil für sich. Schließlich betrachtet die US-Bevölkerung laut Umfragen das Thema „Defizit und Verschuldung“ als durchaus zentrales Problem.3 Wer Schulden macht, gilt umgekehrt schnell als unpopulär. Das wissen gerade auch jene, die in Europa die Idee der Schuldenbremse als Kampagnenthema für sich entdeckten.

Mit dem Sparschwein

Im „Vertrag für Österreich“ forderte die Haider-FPÖ bereits 1995 eine Verfassungsbestimmung, welche die Staatsverschuldung auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts festschreiben sollte. In der Schweiz lancierte 2001 ein breites Bündnis aus konservativen, liberalen und weit rechts stehenden Kräften die Forderung nach einer Schuldenbremse. Ein darauf folgendes Referendum bestätigte mit 85 Prozent Zustimmung eine entsprechende Klausel in der Verfassung. Die rechtspopulistische SVP forderte zudem immer wieder deren weitere Verschärfung. In Deutschland führte 2011 die hessische CDU einen ganzen Kommunalwahlkampf zum Thema Schuldenbremse.

Parallel zu den Wahlen am 27. März 2011 hatte Ministerpräsident Volker Bouffier ein Referendum über eine entsprechende Bestimmung in der Landesverfassung angesetzt. Die Kampagne erwies sich bemerkenswerterweise als wesentlich populärer als Bouffier selbst. Während die CDU fast fünf Prozentpunkte verlor, stimmten 70 Prozent der Bevölkerung Hessens für eine Schuldenbremse. Im selben Jahr machte sich auch der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer am „größten Stammtisch der Welt“ – dem politischen Aschermittwoch der CSU in Passau – für ein solches Referendum stark. Zwei Jahre später gewann seine Partei bei den Landtagswahlen zwar beachtliche 47,7 Prozent. Nicht weniger als 89 Prozent der Bayern stimmten am 15. September 2013 aber gleichzeitig für eine Schuldenbremse in der Landesverfassung.

Wie dünn der politische Gehalt dieser Kampagnen war, wurde durchaus bemerkt. Im Falle Bayerns schrieb z. B. der „Tagesspiegel“ von „Populismus und Symbolik“ – da entsprechende Bestimmungen ohnehin bereits im deutschen Grundgesetz verankert sind.4 Für Hessen hielt die konservative FAZ vor dem Referendum 2011 fest: „Allein seit der Regierungsübernahme durch eine CDU/FDP-Koalition im Jahr 1999 erhöhte sich der hessische Schuldenstand um 57 Prozent.“5 Ebenso könnten hier die Schuldenberge der FPÖ in Kärnten oder jene, welche die neoliberalen Administrationen der Republikaner in den USA hinterlassen haben, angeführt werden. Bemerkenswert ist es trotzdem, dass PolitikerInnen, die sich selbst als Populisten verstehen6, mit dem Sparschwein auf WählerInnenfang gehen. Doch wo liegt eigentlich das populistische Potenzial der Schuldenbremse?

Neoliberaler Populismus

Das erst im letzten Sommer präsentierte Buch „Mythen des Sparens“ befasst sich u. a. mit der Frage, warum diese Mythen in breiten Teilen der Bevölkerung immer wieder gut ankommen können. Im Zentrum stehe demnach eine starke moralische Argumentation, welche erfolgreich an das „Gewissen der BürgerInnen“ – etwa mit „Verweisen auf Sprachbilder des Alltagsverstands“ – appelliert.7 Die Angst vor den Schulden – und nicht um die fehlenden Investitionen – für Enkel und Urenkel. Oder die eingängige, aber falsche Vorstellung, dass ein privater und ein staatlicher Haushalt in der gleichen Art und Weise geführt werden könnten. Auf dieser Klaviatur spielt seit vielen Jahren ein spezifisch neoliberaler Populismus.

Die Forderung nach einer Schuldenbremse beinhaltet aber nicht nur das Thema Schulden, sondern ebenso den Wunsch nach einer Bremse. Wer (angeblich) gebremst werden soll, wird klar kommuniziert. „Wenn sich schon Odysseus an den Mast binden ließ, um nicht den Gesängen der Sirenen zu erliegen“, argumentierte der Schweizer Finanzminister Kaspar Villiger 2001 blumig, „so ist es gewiss nicht schlecht, wenn sich auch die Politik gegen Verführungen wappnet.“8 Die „Basler Zeitung“ unterlegte damals diesen Ruf mit der angeblichen Stimme des Volkes: „Es ist wahrhaftig nicht mehr länger zu verantworten, dass im Bundeshaus konsumiert wird, als ob dieser Selbstbedienungsmarkt keine Kasse hätte.“9 Diese Idee, nämlich über ein Referendum den Handlungsspielraum „der Politik“ einzuschränken, kam in der Folge offenbar gut an. Und auch PolitikerInnen, die sich selbst fesseln bzw. ausbremsen wollen, gelten unter Umständen als besonders sympathisch. Villigers Ruf wurde 2001 medial jedenfalls als „beharrlich, pragmatisch und beliebt“ beschrieben.10 KritikerInnen von Schuldenbremsen sehen freilich genau hier die größten Gefahren dieses Konzepts.

Demokratieabbau gut vermarktet

Marktradikale Ideologen wie Friedrich Hayek fordern schon lange die Begrenzung der fiskalischen „Zwangsgewalt“ von Parlamenten durch übergeordnete Bestimmungen – v. a. um „überbordende“ Umverteilung zu verhindern.11 Demokratie soll somit für einen bestimmten Wirtschaftskurs bzw. zur Verhinderung bestimmter fiskalpolitischer Maßnahmen abgebaut werden. Lukas Oberndorfer von der AK Wien beschreibt daher Schuldenbremsen pointiert auch als Demokratiebremsen.

Ganz im Sinne Hayeks droht hier eine Begrenzung von Handlungsspielräumen demokratisch gewählter Institutionen für ein fragwürdiges Staatsziel. Strategisch sollen so Vorkehrungen getroffen werden, welche die Unterwerfung gegenüber einem diffusen Sparkurs langfristig absichern: „In dem Moment, in dem die neoliberale Integrationsweise zunehmend ihren Konsens in der Bevölkerung verliert, werden gerade jene Terrains überspielt, auf denen demokratische Kontrolle, die Interessen der ArbeitnehmerInnen und Forderungen der europäischen Bevölkerungen den größten Widerhall finden.“12

Grenzen der Sparpolitik erreicht

Trotz dieser autoritären Gefahren zeigt sich somit auch bereits das Licht am Ende des Tunnels. Der neoliberale Konsens wankt momentan tatsächlich. Selbst Manuel Barroso räumte im Vorjahr ein, dass die Sparpolitik „in vieler Hinsicht ihre Grenzen erreicht“ habe.13 Bemerkenswerterweise spiegeln aber gerade auch Entwicklungen in den USA eine veränderte Stimmungslage wider. Das haben auch die VertreterInnen der Tea-Party-Bewegung in der Debatte um die Blockade der Schuldenobergrenze 2014/15 zu spüren bekommen. Auch zahlreiche VertreterInnen der Republikaner sahen sich aufgrund des öffentlichen Drucks gezwungen, ihre Blockadepolitik aufzugeben und einer Neuverschuldung zuzustimmen. Die Partei gilt nun praktisch als gespalten, die Tea Party ist isoliert.

Aktuelle Umfragen zeigen erhellend den Hintergrund für diese Entwicklung: In der US-Bevölkerung überwiegt nämlich inzwischen die Sorge um das Gesundheitssystem deutlich die Angst vor dem Defizit.14

1 Gesetzliche Festlegung auf eine jährliche Neuverschuldung von maximal 0,5 Prozent des BIP bzw. eine Gesamtschuldenquote von 60 Prozent des BIP sowie ein Sanktionierungsmechanismus. Vgl.: ÖGB (2012), Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) & Fiskalpakt, Fragen und Antworten.
2 Im konkreten Fall v. a. EZB und IWF bzw. CDU und FDP.
3
tinyurl.com/ocs9hyy
4
tinyurl.com/mn8mowv
5tinyurl.com/lgac3bp
6 Vgl.
tinyurl.com/kgfblrk
7 Vgl. BEIGEWUM, Mythen des Sparens, HH 2013, S. 13 ff.
8 Nach:
www.zeit.de/2011/50/A-Schuldenbremse
9 Ebenda.
10 Vgl.
www.nzz.ch/aktuell/startseite/article7VCF4-1.514427
11 Vgl. Patrick Schreiner, Die „Schuldenbremse“ als Ausdruck (neo-)liberaler Demokratiefeindlichkeit,
www.annotazioni.de/post/1016
12 AK (2012), Infobrief eu&international, in:
tinyurl.com/ohhpn8g
13 Vgl.
tinyurl.com/ln8ya3w
14 Vgl.
tinyurl.com/ocs9hyy

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor john.evers@gmx.net  oder die Redaktion aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum