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Symbolbild zum Bericht Welchen Bildungsweg Chinesinnen und Chinesen einschlagen können, hängt vom Ergebnis einer Prüfung ab: dem "Gaokao", der ungefähr unserer Matura entspricht und auf den sich die SchülerInnen jahrelang vorbereiten.

Zeit für ein bisschen Fachchinesisch?

Schwerpunkt

Das aufstrebende China sucht nach qualifizierten Arbeitskräften. Warum also nicht dort studieren? Über die Chancen und Hürden des Bildungstransfers.

Seien wir ehrlich: Europa ist von Wirtschaftskrisen geprägt, von Schulden, Arbeitslosigkeit, Gefahren und Herausforderungen und dem Zweifel daran, für die Zukunft gewappnet zu sein. Wir haben viel zu verlieren. Da liegt es nahe, sein Glück dort zu versuchen, wo es offenbar in Zukunft noch etwas zu holen gibt. Eines dieser Länder ist zweifellos China. Warum also nicht gleich in jungen Jahren dort studieren, um schon mal die Weichen für eine internationale Karriere zu stellen?

Andrang auf Sinologie

Immer mehr StudienanfängerInnen scheinen eben diese Überlegung anzustellen. „Noch vor 30 Jahren galt Sinologie als Exotenfach“, kann man auf der Website des Instituts für Sinologie an der Universität Wien lesen. Anfang der 1980er-Jahre haben etwas mehr als 100 Studierende die Studienrichtung belegt. Diese Zahl hat sich inzwischen fast versiebenfacht: Im Wintersemester 2012 gab es 745 Sinologie-Studierende. Woher kommt das? Und wo liegen Unterschiede zu unserem Bildungs- und Unisystem? Qiangang Li kennt beide Welten, denn er hat sowohl in China als auch in Österreich studiert: Den Bachelor in Landschaftsdesign hat er an der Kunstakademie in seiner Geburtsstadt Shanghai absolviert, und vor zwölf Jahren kam er der Liebe wegen nach Wien und machte den Master in Bühnenbild an der Akademie der Bildenden Künste. Schon bei den Aufnahmeprüfungen lernte er die ersten Unterschiede kennen. „Obwohl die Prüfung in China sehr hart und schwierig war, konnten wir uns darauf gut vorbereiten“, erzählt er. Es seien viele Basisübungen gefragt gewesen wie das Abzeichnen einer Skulptur oder das Malen eines Stillleben-Aquarells – Dinge, die man üben kann. In Wien musste er eine Mappe mit eigenen Arbeiten abgeben. Dann gab der Lehrer eine Aufgabe vor, die rasch durchgeführt werden musste – in Lis Fall der Modellbau von Kulissen für ein Theaterstück.

Ähnlich unterschiedlich gestalteten sich die Studien. Zwar wurde an beiden Hochschulen praktisch gearbeitet, doch in Shanghai gab es mehr Vorlesungen, während Li in Wien möglichst viele Theaterstücke anschauen musste: „Das war eine große Öffnung für meine Augen.“ In Wien sei „sehr viel mehr Spontaneität“ gefragt gewesen. Prinzipiell seien chinesische Unis eher schulisch organisiert und das Leben der Studierenden spiele sich auf dem Campus ab. Das bedeutet, dass zwar viel Disziplin, aber nicht so viel Selbstorganisation gefragt ist wie in Österreich.

Zulassungsprüfungen in China sind extrem fordernd. Der Leistungsdruck ist enorm. Die Studien selbst sind aber meist gut zu schaffen. Alexandra Wagner, die fünf Jahre lang in China gearbeitet hat und heute beim Österreichischen Austauschdienst (ÖAD) in der Expertenstelle für Anerkennungsfragen Asien beschäftigt ist, sagt: „Man kommt nur sehr schwer in die Unis hinein, aber man fällt im Studium nicht leicht durch.“ Allerdings: „Die Qualität der Unis ist sehr differenziert – fast wie in den USA. Man muss sich sehr lang damit beschäftigen, um zu wissen, wie gut die Ausbildung an einer Uni ist“, sagt Wagner. Von einer sehr hohen Qualität könne man bei den Eliteunis ausgehen, zu diesen zählen etwa die Peking Universität, die Tsinghua Universität oder das Harbin Institute of Technology. Bei der Auswahl des Studiums würden bei den meisten Chinesinnen und Chinesen die Rankings mehr zählen als das eigene Interesse. Wagner: „Sie entscheiden sich lieber für die bessere Uni, auch wenn sie ein anderes Fach an einer schlechteren Uni mehr interessieren würde.“

Die große Prüfung

Welchen Bildungsweg Chinesinnen und Chinesen einschlagen können, hängt vom Ergebnis einer Prüfung ab: dem „Gaokao“, der ungefähr unserer Matura entspricht und auf den sich die SchülerInnen jahrelang vorbereiten. Diese Studienzulassungsprüfung findet an einem Tag im Jahr statt und versetzt die Städte, in denen sie absolviert wird, in einen Ausnahmezustand. „Der Zugang zur Hochschule ist in China sehr stark beschränkt“, sagt die Kommunikationswissenschafterin und Sinologin Katja Pessl. Sie hat ein Jahr lang in Peking studiert, unterrichtete vier Jahre lang an chinesischen Universitäten und erarbeitete dort für die Robert Bosch Stiftung Studien zum chinesischen Bildungssystem. „Wer den Gaokao nicht so gut besteht, hat Pech und kann nicht auf eine Eliteuni gehen, sondern muss mit einer Mittelklasseuni oder schlechteren Bildungseinrichtungen Vorlieb nehmen.“

Dass der Druck so hoch ist, wird verständlich, wenn man weiß, dass selbst Absolventinnen und Absolventen von Eliteuniversitäten am Arbeitsmarkt Schwierigkeiten haben, adäquate Jobs zu finden. Dies führt dazu, dass sie viele weitere Studienabschlüsse anhängen. Wer beim Gaokao schlecht abschneidet, dem bleibt als Alternative zum Beispiel, ein Junior College zu besuchen oder aber eine Ausbildung zum Facharbeiter zu machen – was in Zeiten, wo auch China unter Fachkräftemangel leidet, langsam etwas angesehener wird. Auch ein Studium im Ausland ist für viele eine Alternative. So sind es zum Beispiel die Chinesinnen und Chinesen, die den größten Teil der ausländischen Studierenden in Deutschland ausmachen. Umgekehrt versucht China seit einigen Jahren verstärkt, ausländische Studentinnen und Studenten anzulocken. Es werden immer mehr englischsprachige Studiengänge angeboten und beworben – laut Pessl besonders in Zentralafrika, Russland, im arabischen Raum, Japan und Korea. „China versucht, sich als Bildungsanbieter zu positionieren – zuvor war es eher ein Exporteur“, sagt die Kommunikationswissenschafterin.

Sprachbarriere

Ein Studium auf Chinesisch zu absolvieren, das erfordert für jene, die die Sprache nicht beherrschen, im Vorfeld extrem hohen Aufwand. Wer bei chinesischsprachigen Vorlesungen gut mitkommen will, dem raten Sinologinnen und Sinologen, noch vor Studienbeginn ein Jahr lang einen Sprachkurs in China zu besuchen und sich richtig hineinzuknien. Entsprechende Angebote für AusländerInnen gibt es an vielen Universitäten. Besonders die Schrift lasse sich nur mit viel Übung erlernen. Wer sie beherrscht, sollte sich mit den zahlreichen Sprichwörtern und Redewendungen vertraut machen, die in der gehobenen Sprache, zum Beispiel in den besseren Zeitungen oder in der wissenschaftlichen Literatur, verwendet werden.

Wer gerne eines Tages in China arbeiten oder aber Geschäftsbeziehungen mit Chinesinnen und Chinesen unterhalten möchte, sollte eines keinesfalls tun: nicht in China studieren. „In China ist die Beziehung sehr wichtig“, sagt Lisa Rock, die vor mehr als drei Jahren das Chinazentrum in Wien gegründet und 2013 einen Ableger in Peking eröffnet hat. Angeboten werden Chinesischkurse, Deutschkurse speziell für Chinesinnen und Chinesen, Übersetzungen sowie interkulturelle Trainings für Firmen. Dieses Netzwerk an Beziehungen nennt sich „guanxi“ und sei so etwas wie unser Vitamin B. „Allein dafür lohnt es sich, nach China zu gehen. Wenn ich dort Geschäfte machen will, ist es unumgänglich“, sagt Rock.

Interkulturelle Missverständnisse sind schwer zu vermeiden, doch wer gar keine Erfahrung im Land gesammelt hat, riskiert im Berufsleben grobe Schnitzer, die auch ein Geschäft platzen lassen können. Lisa Rock nennt ein Beispiel: „Eine europäische Firma hat Differenzen mit einem chinesischen Partner. Der CEO kommt nach China und schreit die Mannschaft zusammen.“ Doch statt die Arbeit zu verbessern, stellt der Partner die Kooperation komplett ein. „In China ist es ein No-Go, Ärger nach außen zu zeigen. Das bedeutet einen Gesichtsverlust und ein Bloßstellen“, sagt Rock. Auch ein klares und deutliches Nein höre man in China selten.

Vorsicht, Vorurteile!

Katja Pessl warnt allerdings davor, sich allzu sehr von Vorurteilen leiten zu lassen. Bevor sie an chinesischen Unis unterrichtete, hatte sie beispielsweise geglaubt, chinesische Studierende seien „eher passiv und schüchtern, melden sich nicht zu Wort und nehmen nicht so gern an Aktivitäten teil“. Heute sagt sie: „Alles Humbug. Sie sind interessiert, aktiv und nicht schüchtern.“ Es wäre aber auch nicht verwunderlich, wenn in diesem riesigen Land mit seinen mehr als 1,3 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern beide Pole existierten. Schließlich wird China längst nicht mehr nur als Land der Mitte wahrgenommen, sondern immer häufiger als Land der Gegensätze. Und diese Vielfalt, die sich nicht zuletzt aus der einzigartigen Geschichte des Landes ergeben hat, zeigt sich auch beim Versuch, ein komplexes Gebilde wie das chinesische Universitätssystem zu erfassen.

Web-Tipp: Studieren in China: tinyurl.com/phjnaqq

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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