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Symbolbild zum Bericht Der Markt allein ist nicht dazu geeignet, eine einigermaßen gleiche Einkommensverteilung zu schaffen. Dazu braucht es den Sozialstaat.
Grafik: Armutsgefährdete Personen 2011 Grafik 1: Zum Vergrößern aufs Bild klicken!

Ohne Sozialstaat keine Umverteilung

Schwerpunkt

Wem Umverteilung ein Anliegen ist, der kommt an einem gut ausgebauten Sozialsystem wie dem österreichischen kaum vorbei.

Schutz vor sozialen Risiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Invalidität: So lassen sich die grundlegenden Aufgaben des Sozialstaates zusammenfassen. Gut ausgebaute Sozialsysteme wie das österreichische aber erfüllen noch einen weiteren wesentlichen Zweck, und zwar den gesellschaftlichen Ausgleich zu schaffen, sprich möglichst allen Menschen die Teilhabe am sozialen Leben zu gewährleisten. Teilhabe bedeutet nicht nur, das Überleben zu sichern, sondern nach den eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten an der Gesellschaft Anteil nehmen zu können.

Ausgleich schaffen

Um diesen Ausgleich zu schaffen, bedarf es sozialer Umverteilung. In Österreich geschieht das über die öffentlichen Ausgaben, insbesondere die Sozialausgaben. Der österreichische Sozialstaat hat eine stark umverteilende Wirkung, die beispielsweise über die Wirkung gemessen werden kann, die Sozialleistungen und Pensionen auf die Einkommensverteilung haben. Gäbe es in Österreich keine Sozialleistungen und wäre die Einkommensverteilung in Österreich zur Gänze dem Markt überlassen1, so wären ganze 44 Prozent der Menschen in Österreich armutsgefährdet2. Anders ausgedrückt: Der Markt allein ist nicht dazu geeignet, eine einigermaßen gleiche Einkommensverteilung zu schaffen. Dazu braucht es den Sozialstaat. Einen wesentlichen Anteil an dieser haben die öffentlichen Leistungen aus der Pensionsversicherung. Sie beinhalten auch Ausgleichsleistungen für Zeiten von Kindererziehung oder Arbeitslosigkeit, die in privaten Systemen nicht berücksichtigt würden. Bezieht man diese Leistungen mit ein, reduziert sich die Armutsgefährdung schon auf 25 Prozent. Berücksichtigt man zusätzlich noch Leistungen wie Arbeitslosengeld, Familienbeihilfe oder bedarfsorientierte Mindestsicherung, reduziert sich die durchschnittliche Armutsgefährdungsrate auf 12,6 Prozent. Das bedeutet, dass der österreichische Sozialstaat – neben all seinen anderen Leistungen – die Gefahr, von Einkommensarmut betroffen zu sein, auf ein Drittel oder zumindest die Hälfte reduziert (siehe Grafik 1).

Die Bedeutung sozialstaatlicher Umverteilung ist für Frauen größer als für Männer: Ohne Sozialleistungen und Pensionen sind 48 Prozent der Frauen armutsgefährdet – immer noch 42 Prozent der Männer wären es aber auch. Noch stärker gilt dies für ältere Menschen: Über 65-Jährige sind ohne Sozialleistungen zu 89 Prozent armutsgefährdet.

Markt macht Armut

Auch AlleinerzieherInnen und Familien mit drei oder mehr Kindern haben in überdurchschnittlich vielen Fällen kein Markteinkommen in armutsvermeidender Höhe, ohne Transferleistungen wäre etwas mehr als die Hälfte armutsgefährdet. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Bildungsabschluss: Menschen mit Pflichtschulabschluss sind etwa vor sozialstaatlichen Transferleistungen doppelt so oft armutsgefährdet wie Maturantinnen und Maturanten: 63 Prozent im Vergleich zu 34 Prozent.

Soziale Geld- und Sachleistungen

Doch nicht alle Sozialleistungen dienen in erster Linie dem Zweck der gesellschaftlichen Umverteilung. Tatsächlich ist nur ein kleiner Teil der Leistungen bedarfsgeprüft, sprich für Menschen in finanziellen Notlagen vorgesehen. Das betrifft in erster Linie existenzsichernde Leistungen wie die Notstandshilfe, die Ausgleichszulage oder die Bedarfsorientierte Mindestsicherung. Es tragen aber auch andere Leistungen zur Umverteilung bei: Das Arbeitslosengeld ist zwar zu großen Teilen eine Leistung, deren Höhe vom vorhergehenden Einkommen abhängig ist (Versicherungsleistung), ArbeitslosengeldbezieherInnen kommen jedoch zu einem überproportionalen Teil aus unsicheren, schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen. Hingegen leisten viele ArbeitnehmerInnen in gut bezahlten, sicheren Beschäftigungsverhältnissen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, auch wenn sie weit seltener eine Leistung daraus in Anspruch nehmen.

Neben Geldleistungen spielen Sachleistungen eine zentrale Rolle bei sozialer Umverteilung. Darunter fällt beispielsweise gut ausgebaute, leistbare Kinderbetreuung. Sie bietet (in der Regel einkommensschwachen) Alleinerzieherinnen und Alleinerziehern die Möglichkeit, einer Beschäftigung nachzugehen. Ebenfalls zu den Sachleistungen, die primär ärmere Bevölkerungsteile nutzen, gehören Sozialberatungsstellen oder öffentliche Pflegeeinrichtungen.

All diese Leistungen (und noch einige mehr) sind notwendig, um einen sozialen Ausgleich in einem wirtschaftlich hoch entwickelten Land mit einer Vielzahl unterschiedlicher Arbeits- und Lebensrealitäten zu schaffen. Dafür sind jedoch entsprechende finanzielle Mittel erforderlich. In Österreich werden Jahr für Jahr etwa 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Sozialleistungen (ohne Bildungsausgaben) aufgewendet. Ähnlich verhält es sich in anderen Ländern mit gut ausgebauten Sozialsystemen wie Frankreich, Deutschland oder Schweden. Dabei handelt es sich um gut investiertes Geld, denn ohne ausgebauten Sozialstaat wäre eine Gesellschaft mit vergleichsweise wenig ausgegrenzten Menschen wie die unsere nicht möglich.

Sozialstaat in der Defensive …

Doch der Sozialstaat befindet sich in der Defensive, und dies nicht erst seit den mit der Finanz- und Wirtschaftskrise verbundenen Sparpaketen der letzten Jahre. Spätestens seit den 1990er-Jahren wird soziale Sicherheit zunehmend als finanzielle Last und weniger als gesellschaftliche Errungenschaft diskutiert. Die letzte erhebliche finanzielle Ausweitung sozialstaatlicher Aufgaben in Österreich – die Einführung des Bundespflegegeldes – liegt bereits über 20 Jahre zurück.3 Die Ironie dabei ist, dass der Sozialstaat gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit mit hoher Arbeitslosigkeit und steigender Armut das Ziel von Sparmaßnahmen ist, obwohl er gerade dann besonders dringend benötigt wird. Immerhin sorgt er dafür, dass die Einkommen der betroffenen Menschen durch eine Krise wie die aktuelle nicht allzu stark sinken und damit auch die Kaufkraft nicht einbricht. Gerade in der momentanen Situation wäre es dringend notwendig, das Sozialsystem auszuweiten – und nicht zu kürzen.

… aber mit Potenzial

Dabei ist das Umverteilungspotenzial in Österreich keineswegs ausgereizt: Soziale Umverteilung findet hierzulande praktisch zur Gänze über (Sozial-)Staatsausgaben statt. Die Staatseinnahmen (Steuern, Gebühren, Sozialversicherungsbeiträge) haben insgesamt praktisch keine umverteilende Wirkung. Eine Besteuerung von Vermögen beispielsweise könnte hier einen Beitrag leisten.

1 
Markteinkommen sind jene Einkommen, die aus Erwerbsarbeit, Unternehmenserfolg und Vermögen bezogen werden.
2 
Armutsgefährdung laut EU-SILC-Definition bedeutet, über ein gewichtetes Einkommen von weniger als 60 Prozent des Durchschnitts (Median) aller Einkommen zu verfügen.
3 
Die Einführung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung im Jahr 2010 ist zweifelsfrei ein bedeutender sozialpolitischer Fortschritt, eine wesentliche Systemumstellung oder Erweiterung ist sie jedoch nicht.

Mehr Infos unter: tinyurl.com/qbuj5no

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor norman.wagner@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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