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Gesundheitsministerin Dr. Sabine Oberhauser Dass sich das klassische Acht-Stunden-Arbeitsmodell aufgelöst hat, sieht Sabine Oberhauser als Herausforderung für die Zukunft.

"Irgendwann die Reißleine ziehen"

Interview

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser im Interview über den zunehmenden Druck im Arbeitsleben und gesunde Arbeit für Jung und Alt.

Zur Person
Sabine Oberhauser
Seit 1. September 2014 ist sie Ministerin für Gesundheit.
Nach der Matura begann Oberhauser ihr Medizinstudium an der Universität Wien, das sie im Jahr 1987 mit der Promotion abschloss. Darauf folgte die Ausbildung zur Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde sowie zur Ärztin für Allgemeinmedizin. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung zur akademischen Krankenhausmanagerin an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Schon bald nach Abschluss ihrer Medizinausbildung engagierte sie sich in der Gewerkschaft, zunächst als Personalvertreterin in der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, anschließend im ÖGB. Im Jahr 2009 wurde sie zunächst zur Vizepräsidentin des ÖGB gewählt, im Jahr 2013 folgte die Wahl zur Bundesfrauenvorsitzenden. Ab 2006 war sie mit einer kurzen Unterbrechung Abgeordnete zum Nationalrat und Gesundheitssprecherin der SPÖ.

Arbeit&Wirtschaft: Was ist für Sie gesunde Arbeit?

Sabine Oberhauser: Arbeit, die sich an den Grundressourcen der Menschen orientiert; das heißt, sie muss zeitlich begrenzt und planbar sein, und wenn sie körperlich schwer ist, müssen technische Hilfsmittel da sein, wenn es geistige Arbeit ist, muss es genügend Ruhepausen geben.

Beim Thema Schwerarbeit wird in der politischen Diskussion meistens von Männerberufen gesprochen. Wie ließe sich besser für Belastungen von Frauen sensibilisieren, wie sie etwa für Pflegerinnen zum Alltag gehören?

PflegerInnen sind da immer wieder ein Thema. Aber man kann auch die Frage stellen, wie viele Kilotonnen eine Lebensmittelverkäuferin jährlich über die Registrierkassa zieht.
Man muss also noch viel mehr dafür sensibilisieren, dass Schwerarbeit nicht nur am Bau oder auch im Pflegebereich geleistet wird, sondern durchaus auch in anderen Berufen, zum Beispiel auch von einer Kindergärtnerin, die täglich Kinder hebt.

Von Maßnahmen zur Entlastung von Frauen profitieren auch Männer, ein klassisches Beispiel sind kleinere Gebinde oder Paletten. Gibt es in dieser Hinsicht mehr Initiativen?

Es gibt auch ähnliche Maßnahmen, um Männer zu entlasten, zum Beispiel am Bau. Im Prinzip geht das über die betriebliche Gesundheitsförderung, auch beim Fonds Gesundes Österreich laufen eine Menge Projekte.
Oft kommen solche Initiativen auch aus der Berufsgruppe selbst, und gute Projekte werden durchaus über den FGÖ gefördert. Mit dem Gütesiegel „Betriebliche Gesundheitsförderung“ zeichnen wir beispielsweise Betriebe aus, die sich um die Gesundheitsförderung ihrer MitarbeiterInnen besonders kümmern.

Apropos Frauen und Männer: Braucht es mehr geschlechtssensible Gesundheitspolitik?

Wir brauchen insgesamt gendersensible Vorsorge. Das betrifft, glaube ich, beide Geschlechter. Wir haben bei den Männern einen Vorteil: dass das männliche Geschlecht schon länger beforscht und auch diagnostiziert wird.
Bei Herzinfarkten zum Beispiel ist es so, dass bei Männern in der Erstanamnese viel häufiger Herzinfarkt steht, während das bei Frauen nicht so ist. Genderspezifizierte und gendersensible Projekte sind aber für beide Geschlechter notwendig.

Inzwischen ist die Annahme überholt, wonach Herzkrankheiten Männerkrankheiten sind. Braucht es auch hier mehr Geschlechtersensibilität?

Dass Doppel- oder Mehrfachbelastungen nicht gesund sind, ist klar. Viele Symptome sind bei Frauen anders als bei Männern. Das heißt, dass man genau drauf schauen muss.

Gesundheitsförderung und Prävention in der Lehre scheinen nur eine Nebenrolle zu spielen. Dabei gibt es gerade bei Lehrlingen Handlungsbedarf. Was könnten oder sollten Betriebe oder die Politik tun?

Der Lehrplan in den Berufsschulen ist nicht sehr sportfreundlich. Das hat damit zu tun, dass die Betriebe natürlich schauen, dass sie die Lehrlinge möglichst rasch wieder zurückbekommen.
Schon lange wird versucht, Turnstunden auch in den Berufsschulen zu etablieren. In der Schule fehlt aber insgesamt der Gesundheitsaspekt, nicht nur was Lehrlinge betrifft. Auch dort wird versucht werden, das stärker zu berücksichtigen. Aber auch die Betriebe selbst machen einiges. Oder auch der Fonds Gesundes Österreich hat eine Strategie zur betrieblichen Gesundheitsförderung in den Lehrbetrieben – auch in Klein- und Mittelunternehmen ...

… denen oft die Ressourcen fehlen ...

... denen nicht nur die Ressourcen fehlen, sondern oft auch das Know-how. Die Betriebe können auch um viele Förderungen ansuchen, wenn es eine wirklich gute Idee gibt. Wichtig wäre, dass Gesundheit im Betrieb thematisiert wird, so klein er auch sein mag und auch egal, ob es um Lehrlinge geht oder um andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Als Betrieb muss ich schauen: Was muss ich machen? Sind beispielsweise die Arbeitsflächen in der Höhe richtig eingestellt? Es geht also auch um Kleinigkeiten. Oder wird wirklich geschaut, dass einer gescheit hebt; dass ausreichend Pausen gemacht werden; dass man die Möglichkeit hat, sich zurückzuziehen? Da muss jeder Betrieb sensibilisiert werden und natürlich auch selbst drauf schauen. Stichwort Ernährung: Das gesunde Buffet gibt es schon für Schulen. Derzeit laufen Bemühungen, dieses Projekt auf Betriebskantinen auszuweiten.

Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Betriebsrätinnen und Betriebsräte?

Betriebsrätinnen und Betriebsräte sind, was die betriebliche Gesundheitsförderung betrifft, oft Projektnehmer. Sie haben also oft eine Idee für ein Projekt, das dann auch von ihnen getragen wird. Betriebsrätinnen und Betriebsräte – meistens in größeren Betrieben – sind da auch treibende Kraft, und das ist gut so.

Der Druck auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist enorm gestiegen. Dennoch scheinen psychische Erkrankungen immer noch ein Tabuthema zu sein. Wie ließe sich das ändern?

Das ist kein Tabuthema mehr. Es ist vor allem kein Tabuthema mehr, seitdem die klassische Depression zum Burn-out geworden ist, also sich die Terminologie verändert hat.
Wogegen ich mich immer wehre ist, dass die psychische Belastung eine Frauenkrankheit sei. So wird das nämlich oft dargestellt, und zwar aus dem einfachen Grund: Frauen geben oft auch leichter zu, dass sie es psychisch nicht mehr schaffen – leichter, als es Männer tun. Wir wissen, dass bei den Ansuchen um Invaliditätspension psychische Erkrankungen bei Weitem den Stützapparat überholt haben. Menschen geben das also auch zu.
Ich glaube, dass auf die psychische Gesundheit auch ein Fokus zu legen ist. Enttabuisiert sind psychische Krankheiten zum größten Teil. Wenn Leute wirklich stark belastet sind, sprechen sie darüber und holen sich auch Hilfe.
Eine Frage, die sicherlich immer wichtiger wird, ist aber: Wie gehe ich mit elektronischen Hilfsmitteln um, zum Beispiel mit dem Handy, und der Tatsache, dass man ständig erreichbar sein muss?
Dazu kommt, dass sich das klassische Acht-Stunden-Arbeitsmodell längst aufgeweicht hat. Auch darauf muss man den Fokus legen, möglicherweise in Projekten.

Wie hält man sich unter den stressigen Bedingungen als Ministerin fit?

Mit viel Disziplin, mit Spazierengehen zu nachtschlafender Zeit, also um fünf in der Früh, halb sechs.

Wann schläft man?

Jede Minute Schlaf, die man kriegt, nutzen. Was in meiner Position völlig leidet, ist Fernsehen – außer Nachrichtensendungen – oder Zeitung lesen, denn das habe ich sonst in der Früh gemacht. Das geht sich jetzt nur mehr rudimentär aus und der Genuss dabei fehlt. Um sich fit zu halten, ist natürlich auch wichtig, sich gesund zu ernähren, viel zu trinken und immer wieder zu versuchen, Pausen zu machen.

Was sollten Führungskräfte beachten, um ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen gesunden Arbeitsplatz zu ermöglichen?

Der Arbeitsplatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollte mindestens so ausschauen wie der von einem selbst, abgezogen von dem, was man als Führungskraft nicht kann, nämlich das Handy abdrehen. Und man sollte sich vielleicht auch überlegen, ob man möchte, dass die eigenen Kinder so arbeiten, wie man es von den MitarbeiterInnen verlangt.

Wo finden Sie selbst Ausgleich?

Spazieren gehen, laufen gehen, nichts tun. Wobei, beim Spazierengehen mache ich in der Früh auch meine Mails und Facebook (lacht).
Ich glaube, jeder muss für sich selbst entscheiden, wie er oder sie den Kopf frei kriegt. Ich nutze oft auch Autofahrten, wenn niemand mit mir fährt, um einfach wirklich nichts zu reden, nur zu denken.

Ist Disziplin ein Preis, den wir angesichts einer noch rationalisierteren Gesellschaft zahlen müssen?

Na ja, ich würde von niemandem Disziplin verlangen. Ich weiß auch nicht, ob sich viele Leute für diszipliniert halten, möglicherweise eher für pflichtbewusst.
Es ist mein Weg, mir mein Leben mit einem gewissen Maß an Disziplin zu organisieren. Ich stehe beispielsweise nicht gerne um fünf auf. Aber der Wecker schaltet sich einfach jeden Tag um fünf ein und ich stehe auf, ohne lange zu überlegen.
Das ist aber mein Weg. Ich glaube aber schon, dass viele gar nicht überlegen können, sondern funktionieren müssen, weil es anders nicht geht.

Gute Arbeit hat auch etwas mit Ressourcen zu tun. In der wirtschaftlichen Realität aber steigt der Druck weiterhin enorm an. Wie ließe sich gegensteuern?

In Krisenzeiten, wird der Druck auf die MitarbeiterInnen natürlich größer. Ich glaube, man muss irgendwann einmal die Reißleine ziehen und sich fragen, wie es besser weitergehen kann.

Nur wie soll das Reißleine-Ziehen aussehen?

Gerade im öffentlichen Bereich redet man viel von der Verwaltungsreform, die angeblich Milliarden einsparen könnte. Wenn Verwaltungsreform aber heißt, wir bauen noch mehr Köpfe ab und belasten die verbleibenden Köpfe noch mehr, bin ich dagegen. Das sollte man sich also gut überlegen.
Im privaten Sektor ist es so, dass sich die Arbeit natürlich verdichtet, wenn die Belegschaft beispielsweise in Krisenzeiten dünner wird. Das führt wiederum zu mehr Ausfallszeiten und dazu, dass Menschen früher nicht mehr arbeitsfähig sind.
Wenn man sich dann anschaut, was das volkswirtschaftlich heißt, sieht man: Es wäre gescheiter, man würde während des aktiven Arbeitslebens mehr auf die Ressourcenschonung achten, als die Ressourcen vorzeitig an die Pension oder den Krankenstand zu verlieren.

Ressourcen sind auch im Gesundheitssystem selbst ein Thema, allein schon wegen teurer Instrumente und Medikamente. Muss man sich als Gesellschaft vielleicht eingestehen, dass Gesundheit einfach immer teurer wird?

Gesundheit ist dann zu teuer, wenn das Geld nicht effektiv dort ankommt, wo es hingehört, nämlich bei den Menschen. Daran arbeiten wir sehr stark, einerseits mit der Gesundheitsreform, andererseits auch über die Sozialversicherungsträger, die unser aller Geld verwalten und das sehr gut und sehr effizient tun. Gesundheit ist das höchste Gut und muss uns daher auch etwas wert sein. Man muss allerdings schauen, dass das Geld wirklich dorthin kommt, wo es hingehört.

Manche ExpertInnen wenden ein, man würde sich etwas vormachen, wenn man meint, dass sich bei der Gesundheit sparen lasse.

Natürlich wird alles teurer, auch im Gesundheitswesen. Da heißt es halt verantwortungsvoll damit umgehen und gut planen. Wir haben uns daher einen Finanzpfad gegeben, der die Ausgabensteigerung dämpft. Mittelfristig wollen wir hier eine Steigerung von maximal 3,6 Prozent jährlich erreichen. Außerdem muss man gut verhandeln. Gerade bei den Medikamenten gibt es wirklich gute Kooperationen und Verhandlungen mit der Pharmaindustrie. Es gibt einen Pharmarahmenvertrag, wo die Sozialversicherungen und alle anderen Akteure gemeinsam schauen, wie sich dieses System verträglich finanzieren lässt, aber gleichzeitig so, dass jeder auch damit leben kann.

Was ist Ihr wichtigstes Vorhaben in der Gesundheitspolitik?

Ein solidarisches Gesundheitssystem zu erhalten und den Wert eines solchen Systems den Menschen, den Jugendlichen zu erklären. Wenn ich gesund bin, zahle ich für die Kranken – dieses System müssen wir auf jeden Fall beibehalten. Unter diesem Dach des Erhalts des solidarischen Gesundheitssystems stehen viele weitere Vorhaben: einerseits, das System finanzierbar halten, indem wir die Gesundheitsreform umsetzen; andererseits, das System besser erreichbar machen, also versuchen, möglichst niedrigschwellige Hausarztmodelle oder Primärversorgungmodelle zu bauen. Darüber hinaus ist mir wichtig, dass die Menschen, die im       System arbeiten, zufrieden sind. Ich versuche deshalb, genug Zeit für die Beschäftigten im Gesundheitssystem, aber auch für die Patientinnen und Patienten herauszuspielen.
Als Gesundheitsministerin hat man bei alldem mehr die moderierende Funktion zwischen Sozialversicherungen und den Ländern und den verschiedenen Akteuren im System. Aber als Gewerkschafterin weiß man, wie das ist, Menschen am Tisch zu halten, und das versuche ich auch.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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