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Symbolbild zum Bericht Auch mit PatientInnen zurechtzukommen, die von Außerirdischen fantasieren, gehört bisweilen zum anstrengenden Alltag von Krankenschwestern.

EU-Rüffel wegen Ärzte-Arbeitszeit

Schwerpunkt

Spitalsbedienstete gehen in ihrem Job körperlich und psychisch an ihre Grenzen. Für ÄrztInnen soll jetzt eine neue Arbeitszeit-Regelung kommen.

Mein Wecker läutet um 5.30 Uhr. Ich stehe schwermütig auf, mit dem Gedanken, dass der Tag noch bis 20 Uhr dauert.“ Bernadette ist Krankenschwester auf der Akutpsychiatrie. Sie hat einen 12-Stunden-Arbeitstag vor sich. Um keine Schwierigkeiten mit der Oberschwester zu bekommen, will sie anonym bleiben. „Heute kümmere ich mich um fünf Patienten. Nach der Dienstübergabe stelle ich mich den PatientInnen vor. Mit Frau A. (akute Psychose und Substanzmissbrauch) war kein zielführendes Gespräch möglich. Sie spricht von Außerirdischen, nimmt Kontakt mit dem Universum auf und möchte die Welt von Mikroplastik befreien.“

Anstrengender Alltag

Was sich für manche möglicherweise lustig anhört, ist für Bernadette bisweilen anstrengender Arbeitsalltag. Nach der Visite um 11.30 Uhr fühlt sie sich bereits müde, hungrig und ein wenig ausgelaugt. „Um 13.00 Uhr kam eine Aufnahme mit Polizei und Rettung. Eine 64-jährige Dame wurde im tobenden Zustand auf der Mariahilfer Straße aufgegriffen. Sie bedrohte Passanten mit ihrem Gehstock.“ Nach einem Fluchtversuch von Frau A. und mehreren Patientinnen-/Patientengesprächen findet um 19 Uhr die Dienstübergabe statt. „Nach diesem Tag fühle ich mich sehr müde und erschöpft. Es war nicht einfach, mich die ganzen zwölf Stunden durchgehend zu konzentrieren. Pausen blieben – außer einer kurzen Trinkpause – keine.“
Es sei sehr wichtig, sich abgrenzen zu können, Krankengeschichten dürfe man nicht mit nach Hause nehmen. Trotz der langen Dienstzeit möchte sie aber nichts daran ändern: „Der große Vorteil von langen Diensten ist die viele Freizeit. Ein ganzer freier Tag ist für mich wertvoller als ein halber.“

Burn-out-Gefahr

Der Job im Spital ist fordernd – für manche sogar überfordernd. Lange Schicht- und Nachtarbeitszeiten, unterbesetzte Stationen und belastende Krankengeschichten zehren an den Nerven. Auf einer Aufnahmestation weiß man nie, was eine/n am nächsten Tag erwartet. Sich auf einen ruhigen Dienst freuen oder vor einem stressigen fürchten: Das gibt es nicht. Laut Arbeitsklima Index für Gesundheitsberufe der Arbeiterkammer Österreich aus dem Jahr 2006 fühlt sich jeder vierte Befragte Burn-out-gefährdet. Eine Ursache dafür: die Arbeitszeit.
Während in der Verwaltung oder im technischen Dienst Tätige mit ihren Arbeitszeiten zufrieden sind, ist sie in der Pflege bzw. bei ÄrztInnen ein großes Problem. Die Leidtragenden sind die PatientInnen, ihre Betreuung leidet darunter. „Ein Arzt hat nicht die Möglichkeit, sich ausreichend Zeit für PatientInnengespräche zu nehmen“, sagt Edgar Martin, Hauptgruppe II der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten – Kunst, Medien, Sport, freie Berufe (GdG-KMSfB). Die Idealvorstellung von Pflege sei unerfüllbar, man müsse sich meist auf die Grundbedürfnisse wie Nahrungsaufnahme und Medikamentenausgabe etc. beschränken. Pflege würde aber viel mehr bedeuten: einmal durch das Haar fahren, Zeit nehmen, vorlesen – die Kleinigkeiten eben.
Besonders von ÄrztInnen und dem Pflegepersonal werden viele Überstunden geleistet – oftmals auf Kosten des Privatlebens. „Die vielen Nachtdienste gehen an die Substanz“, meint Martin. In jungen Jahren sei der Wechsel zwischen Nacht- und Tagdiensten gut verkraftbar, ältere Spitalsbedienstete würden darunter leiden.
Viele MitarbeiterInnen gehen auch krank arbeiten, um die KollegInnen nicht noch zusätzlich zu belasten. Man will für andere da sein, vergisst dabei aber auf sich selbst. Durchschnittlich 40 Prozent aller ArbeitnehmerInnen in Gesundheitsberufen machen häufig Überstunden, Mehrarbeit gehört zum selbstverständlichen Arbeitsalltag.

Änderung

ÄrztInnen haben im Durchschnitt eine Wochenarbeitszeit von 56,4 Stunden. 30 Prozent arbeiten 60 Stunden, 11 Prozent 70 Stunden und 5,1 Prozent gar 80 Stunden pro Woche. Laut Arbeitsklima Index würden Überstunden dem Arbeitgeber billiger kommen, als neue Vollzeitarbeitsplätze zu schaffen. Das soll sich jetzt ändern.
Das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz erlaubt es derzeit, dass Ärzte bis zu 72 Stunden pro Woche und bis zu maxi-mal 49 Stunden durchgehend Dienst schieben.
Die maximale Tagesarbeitszeit liegt zwar grundsätzlich bei 13 Stunden. Jedoch kann ein sogenannter „verlängerter Dienst“ zur Anwendung kommen – vorausgesetzt, der Dienstnehmer wird während der Arbeitszeit „nicht durchgehend in Anspruch genommen“. Dann kann der durchgehende Dienst 32 Stunden betragen.
Beginnt jener „verlängerte Dienst“ am Vormittag eines Samstags oder vor einem Feiertag, darf dieser sogar bis zu 49 Stunden dauern. Zwar darf die Wochenarbeitszeit im Schnitt 48 Stunden nicht übersteigen, aber auch hier gibt es Ausnahmen. Bei einem „verlängerten Dienst“ kann die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bis zu 72 Stunden betragen. Pro Monat sind maximal acht „verlängerte Dienste“ zulässig.

EU-Rüge

Von der EU setzte es für die langen Arbeitszeiten eine Rüge. Sie schickte ein Mahnschreiben und drohte mit Strafzahlungen. Die Wochenarbeitszeit für ÄrztInnen dürfe maximal 48 Stunden betragen, der längste Dienst am Stück 25 Stunden.
Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) verhandelte daraufhin mit Ländern und Ärztekammer, im September wurde ein entsprechender Initiativantrag im Nationalrat eingebracht, der Ende Oktober beschlossen werden soll.
Den Ländern bereiten befürchtete Mehrkosten Kopfzerbrechen, die wegen anfallender Überstunden auf sie zukommen. Den Wunsch der Länder nach Ausnahmeregelungen für län-gere Arbeitszeiten will Hundstorfer nicht mittragen. Er setzt sich für eine stufenweise Reduzierung der Stunden ein.

Stufenplan

„Über die Neugestaltung der Ärztearbeitszeit gab es zahlreiche intensive Verhandlungen mit Ärztekammer und Ländern“, heißt es aus dem Sozialministerium. „Der Gesetzesentwurf sieht eine etappenweise Verkürzung der verlängerten Dienste für ÄrztInnen vor.“ Ab nächstem Jahr sind überlange Dienste nur mehr mit schriftlicher Zustimmung der betroffenen ÄrztInnen möglich.
Ab 2015 und bis 2018 soll der Stufenplan eine wöchentliche Arbeitszeit von durchschnittlich 60 Stunden ermöglichen, bis 2021 nur mehr 55 Stunden. Ab Mitte 2021 würde dann das 48-Stunden-Limit gelten. Auch bei Wochenenddiensten wird stufenweise reduziert: Ab 2018 sollen nur mehr 29 Stunden am Stück möglich sein, ab 2021 maximal 25-Stunden-Dienste. „Niemand will, dass sich sein behandelnder Arzt vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten kann“, sagt Arbeitsminister Hundstorfer. ÄrztInnen würden wesentlich „bessere Bedingungen“ vorfinden.
Das Problem bei der Umsetzung: Selbst viele ÄrztInnen sind gegen neue Arbeitszeit-Regelungen. „Es ist besser, zwölf Stunden durchzuarbeiten und dann heimzugehen, als 25 Stunden mit Rufbereitschaft. Aber viele wollen das nicht, weil sie noch eine eigene Praxis haben“, sagt Edgar Martin.

Klarheit durch Studie

Dass mehr ÄrztInnen benötigt werden, glaubt Martin nicht. „Die Arbeit lässt sich gut über Tag und Nacht verteilen.“ Man müsse einfach die Arbeitszeit anpassen.
Bei der Erstversorgung seien oft am Vormittag fünf Personen im Einsatz, am Nachmittag nur mehr zwei, obwohl dieselbe Arbeit anfalle. Eine Arbeitszeitstudie könnte Klarheit bringen. Ein weiteres Problem ist, dass ÄrztInnen Gehaltseinbußen befürchten würden. „Das Gehalt sollte nicht davon abhängig sein, ob ich in der Nacht schlafe“, bringt es Martin auf den Punkt.

Internet:
Arbeitsklima Index der Arbeiterkammer Oberösterreich:  
tinyurl.com/kcuff2s
Aktuelle Infos zu den Ärztearbeitszeiten:
www.aerztekammer.at

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