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Nationalrat und Gewerkschafter Josef Muchitsch "Im Wissen, dass man es nie allen Menschen recht machen kann, soll man eines nie zulassen: nämlich dass andere mit einem Politik machen." Das ist der Leitsatz von Nationalrat und Gewerkschafter Josef Muchitsch.

"Nicht über sich bestimmen lassen!"

Interview

Nationalrat Josef Muchitsch über den Reiz der Mitbestimmung und die Baustelle Geschlechtergerechtigkeit, welche die Gewerkschaften noch länger begleiten wird.

Zur Person: Josef Muchitsch
Er wurde 1967 bei Leibnitz in der Steiermark geboren.
Nach der Pflichtschule erlernte er den Beruf des Maurers. Von 1988 bis 1991 besuchte er die höhere technische Bundeslehranstalt Graz und anschließend die Sozialakademie Mödling (1991–1992). Von 1992 bis 2000 war er Sekretär bei der Gewerkschaft Bau-Holz. Seit 1992 ist er Mitglied des Gemeinderates von Leibnitz, von 1998 bis 2013 war er Vizebürgermeister (der jüngste in der Steiermark) von Leibnitz. Seit 2000 ist er Landesgeschäftsführer, seit 2006 FSG-Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz. Seit 2006 ist Muchitsch Abgeordneter im Nationalrat und seit 2012 geschäftsführender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz. 

 

Arbeit&Wirtschaft: Was hat Sie selbst motiviert, in Ihrem Betrieb mitzubestimmen?

Josef Muchitsch: Ich bin eigentlich bestimmt worden mitzubestimmen. Ich war damals 16 Jahre und Maurerlehrling. Im Zuge einer Gruppenversammlung der Arbeiter wurde ich zum Jugendvertrauensrat bestimmt. Aus dieser Bestimmung wurde dann eine Berufung, nämlich Gewerkschafter zu werden.

Wie kam’s? 

Ich habe mich sofort danach dafür interessiert, was für Aufgaben ein Jugendvertrauensrat hat, warum man ihn wählt und welche Möglichkeiten der Mitbestimmung er hat. Daraufhin habe ich meinen damaligen betreuenden Gewerkschaftssekretär in der Gewerkschaft Bau-Holz irrsinnig genervt, indem ich sehr viele Fragen gestellt habe und lästig war. Das war mir aber auch zu wenig. Ich habe mir dann wirklich jedes Bildungsangebot von ÖGB und Gewerkschaften reingezogen, von Wochenendseminaren bis hin zu Stufen- und Gruppenkursen.

Liegt der Reiz im Mitredenkönnen?

Genau das ist es. Ich habe als Jugendfunktionär einen Lehrlingsstreik in der Landesberufsschule initiiert, weil man versucht hat, zwei dritte Klassen in einem Lehrgang zusammenzulegen. Das habe ich nicht als fair empfunden, obwohl ich damals erst im zweiten Lehrjahr war. Dann habe ich gesagt: Wir streiken jetzt einmal einen Tag und schauen, was auf uns zukommt. Das hat dann zu sehr vielen Telefonaten geführt, von Graz in Richtung Berufsschule Murau, in denen ich aufgerufen wurde, diesen Streik sofort zu beenden und einzulenken, weil er weder genehmigt noch beschlossen war. Das habe ich damals alles nicht gewusst. Das war Unwissenheit, aber volle Motivation. Und es hat dazu geführt, dass die zwei dritten Klassen nicht zusammengelegt wurden.

In Zeiten des Sparens ist die Arbeit von BetriebsrätInnen nicht gerade einfach. Wie kann man sich da positionieren?

Ich bewundere jeden Menschen, der sich bereit erklärt, mitzubestimmen, ob es als Betriebsrat ist oder als Ersatzbetriebsrat. Denn wir sind letztendlich in einer Gesellschaft angekommen, in der wir keine Dankbarkeit erwarten dürfen. Vielmehr wird das, was Betriebsräte ehrenamtlich leisten und wofür sie kämpfen, von den Kolleginnen und Kollegen als Selbstverständlichkeit angesehen.

Es braucht also auch einen gewissen Mut?

Das ist der noch vorhandene Idealismus, sich für die Kolleginnen und Kollegen einzusetzen. Und weil Betriebsräte die Einstellung haben, mitgestalten zu wollen und nicht über sich bestimmen zu lassen.

Apropos KollegInnen: Was können sie tun, damit die BetriebsrätInnen gut arbeiten können?

Erstens hinter dem Betriebsrat stehen. Zweitens dem Betriebsrat offen die Meinung sagen. Das Schlimmste ist, hinter den Kulissen zu raunzen, zu sudern, alles besser zu wissen, aber es nicht vor dem Vorhang vorzutragen.

Der gestiegene Druck lässt manche zögern, sich an den Betriebsrat zu wenden. Wie kann man damit umgehen?

Das ist Aufgabe des Betriebsrates, den Kolleginnen und Kollegen zu verstehen zu geben, dass sie ohne Angst oder auch ohne Probleme zu haben, mit ihren Anliegen zu ihm kommen können.

Flache Hierarchien sind in. Nur besteht da nicht die Gefahr, dass Interessengegensätze verschwimmen?

Je größer der Betrieb, umso größer auch die Forderung nach einem Betriebsrat, weil es den Eigentümern oder Chefs nicht möglich ist, sich individuell mit den Beschäftigten auseinanderzusetzen. Je kleiner der Betrieb, desto familiärer, desto fürsorglicher ist auch der Umgang mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, denn es gibt eine persönliche Beziehung und eine gegenseitige Verlässlichkeit. Schwarze Schafe sind davon jetzt ausgenommen.

Angesichts der Sparzwänge droht der Betriebsrat zum Gremium zu werden, das nur noch Schlimmeres verhindert. Eine Gefahr?

Der Betriebsrat darf sich vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht vom Arbeitgeber in eine Rolle drängen lassen, wo er schlechte Nachrichten an die Belegschaft überbringt. Leider passiert das in verschiedenen Fällen. Es ist nicht die Aufgabe des Betriebsrates, einen Bericht über die finanzielle Lage der Firma, über diverse Geschäftsfelder-Erweiterungen oder Sonstiges zu präsentieren. Es ist die Aufgabe des Betriebsrates, sich mit der Umverteilung im Betrieb, mit der Einkommenssituation, mit der Fairness und Gesundheit am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen. Hier tappen die einen oder anderen Betriebsräte oft in die Falle, sich als Botschafter oder Briefträger der Geschäftsführung einspannen zu lassen. Und das wirft kein positives Licht auf einen Betriebsrat. Von daher: Mitbestimmen, wenn es darum geht, Arbeitsplätze zu erhalten – aber nicht, wenn es darum geht, Arbeitsplätze zu reduzieren.

Oft wird die mangelnde Bereitschaft beklagt, sich zu engagieren. Bei der BetriebsrätInnen-Konferenz im September zeigte sich ein anderes Bild. Eine Ausnahmeerscheinung?

Hier ging es um ein Thema – „Lohnsteuer runter!“ –, das letztendlich alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betrifft, unabhängig von ihrem Status als Arbeiter, Angestellte oder Beamte. Diese Veranstaltung hat eines gezeigt: Dass es sehr wohl möglich ist, an einem Wochen- bzw. Arbeitstag Funktionärinnen und Funktionäre zu mobilisieren. Über 5.000, die sich dort eingefunden haben, waren überwiegend nicht freigestellte Betriebsräte, die ein Zeichen setzen wollten.

Erst kürzlich forderte Neos-Chef Matthias Strolz, dass mehr Entscheidungen auf Betriebsebene verlagert werden. Was spricht eigentlich dagegen?

Das hätten sie gerne, diese neuen, klugen Menschen im Parlament. Das Problem ist, dass nach den Freiheitlichen jetzt mit dem Team Stronach und den Neos zwei weitere Parteien den Einzug ins Parlament geschafft haben, welche Gewerkschaften nicht nahestehen. Das sind Träumer von einer gerechten Arbeitswelt, wo der Arbeitgeber den Arbeitnehmer am Gewinn teilhaben lässt, wo man sich selbst um die Pensionsvorsorge zu kümmern hat, auch wer krank wird, muss sich eben selbst darum kümmern. Diese neoliberalen Parteien hätten Österreich nicht dahin gebracht, wo wir jetzt sind, weder im Gesundheits- und Pensionssystem noch im Pflegesystem.

Sie erwähnten, dass gerade Arbeitgeber in kleineren Betrieben die Fürsorgepflicht, die sie gegenüber ihren MitarbeiterInnen haben, sehr hochhalten. Was spricht dagegen, ihnen mehr Gestaltungsspielraum zu geben?

Diese Familienbetriebe sind überwiegend im Gewerbebereich in Österreich angesiedelt. Wenn wir hier nicht Kollektivvertragsbestimmungen hätten, die ein Mindesteinkommen sichern – dann gute Nacht!

Was wären die negativen Konsequenzen konkret?

Es würde erstens ein Dumping nach unten erzeugen und einen unfairen Wettbewerb unter den Betrieben auslösen. Es würde eine wesentlich höhere Abhängigkeit von Arbeitnehmern bewirken, die nicht die Möglichkeit haben, sich gut zu verkaufen oder auch eine Leistung zu erbringen, etwa aufgrund von Handicaps – jeder Mensch wird einmal älter. Das wäre der Untergang eines fairen Wettbewerbs.

Die sogenannte neue Arbeitswelt könnte bedeuten, dass Beschäftigte nur noch selten im Betrieb sind. Welche Perspektiven gibt es da für die gewerkschaftliche Arbeit?

Das ist letztendlich eine Entwicklung der Zeit, wo die DienstnehmerInnen von sich aus bei den Arbeitgebern vorstellig werden, um einen Teleworking-Arbeitsplatz zu haben oder andere Arbeitsverhältnisse anzustreben. Überall dort, wo die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer außerhalb des Betriebes nicht dementsprechend schlechter behandelt wird in der Entlohnung und der sozialen Absicherung, ist es nicht aufzuhalten und soll auch nicht aufgehalten werden. Aber überall dort, wo diese Formen dazu verwendet werden, um über Ausbeutung von Menschen zu Aufträgen zu kommen oder als Arbeitgeber seine Gewinne zu erhöhen, dort sind wir natürlich aufgerufen, Stopp zu sagen.

Nur wo kann die Gewerkschaft da noch andocken?

Da sind die Gewerkschaften auch aufgerufen, neue Medien einzusetzen wie Social Media und anderes.

Zur Einkommensgerechtigkeit zwischen den Geschlechtern: Da in Österreich so viel über die Kollektivverträge passiert, zählen wahrscheinlich die Kollektivvertragspartner zu den wichtigsten AkteurInnen. Welche Maßnahmen sind da geplant?

Die Gewerkschaften haben in den letzten Jahren ja eine Gleichstellung des Kollektivvertragslohns geschafft. Wo es nicht gelingt, ist auf der Ebene danach. Das heißt, bei der freiwilligen zusätzlichen Entlohnung oder auch bei der Chance, in höher qualifizierte Positionen nachzurücken. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist realitätsfern. Fakt ist, dass Frauen hier nach wie vor einen Nachteil haben, das bestätigen die Statistiken. Das ist auch ein Problem, das uns in den nächsten Jahren weiterverfolgen wird.

Was wäre die wichtigste Baustelle: Sind es die Zuschläge, ist es Anrechnung von Familienarbeit?

Ich würde sagen, es ist Aufgabe der Gewerkschaften, alles zu lösen, was den Kollektivvertrag und den Mindestlohn betrifft – dort, wo es noch Baustellen gibt. Das Darüberliegende ist auch ein Auftrag an den Betriebsrat – und auch an die Frauen selbst. Ich spreche das bewusst an: mehr Selbstvertrauen, mehr Bewusstsein, sich auf die Beine zu stellen bei unterschiedlicher Entlohnung, freiwilliger Überzahlung bei gleicher Tätigkeit. Dort gilt es stärker aufzutreten.

Die Gewerkschaft wird immer noch als sehr männlich wahrgenommen. Wie könnte man es für Frauen attraktiver machen, sich für die eigenen Interessen zu engagieren?

Was meine Fachgewerkschaft betrifft, ist das natürlich eine schwierige Frage, bei einem Männeranteil von 94 Prozent der Mitglieder. In meiner Zeit ist es gelungen, dass Frauen in der Gewerkschaft wesentlich stärker wahrgenommen werden, auch in unserer 94-Prozent-Männergewerkschaft, und sogar leitende Positionen und eigene Verantwortungsbereiche haben. Das wäre vor zehn, 15 Jahren noch undenkbar gewesen. Dass es sich langsam weiterentwickelt: Ja, das ist so, aber es bedarf auch entsprechender Möglichkeiten und Ressourcen. Aber es geht vorwärts.

Sie selbst sind Nationalrat. Wie lässt sich die Funktion eines Gewerkschafters mit jener eines Parlamentariers vereinbaren?

Dann müsste man die Frage stellen, was die Vertreter von Banken oder anderen Institutionen wie Wirtschafts- oder Landwirtschaftskammer im Hohen Haus machen. Wenn es im Hohen Haus nicht möglich sein soll, dass Interessenvertreter von der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerseite vertreten sind, dann brauche ich dieses Haus aber auch nicht mehr unter den Titel Demokratie einordnen.

Kritisiert wird dabei der Klubzwang.

Den Klubzwang unter Anführungszeichen gibt es im Landtag, den gibt es im Gemeinderat. Es passiert hier nichts anderes: Im Vorfeld verständigt sich eine Fraktion darauf, wie sie zu gewissen Tagesordnungspunkten steht und wie ihr Stimmverhalten ist. In den Klubvollversammlungen wird entschieden, wie sich eine Mehrheit zu welchem Tagesordnungspunkt, zu welchen gesetzlichen Änderungen bzw. Beschlüssen bildet. Demokratie ist genauso, runtergebrochen. Da läuft eine Mehrheitsbildung in einer Fraktion haargleich wie in einer Gemeinderatssitzung oder bei einem Sportvereinsvorstand.

Wie viele Möglichkeiten zur Gestaltung gibt es auf EU-Ebene angesichts der viel beklagten Macht der Lobbys von Banken und Wirtschaft?

Letztendlich gelingt es nur über den direkten Zugang zu europäischen Abgeordneten, das eine oder andere noch im Europäischen Parlament zu Fall zu bringen.

Wie steht’s um die Euro-Betriebsräte?  

Das ist eine wichtige Ebene. Nur meine Erfahrung ist, dass wir in unseren Bereichen viel zu kleinkariert denken und sagen: Am wichtigsten ist meine Firma vor Ort und danach befasse ich mich vielleicht mit Themen, die den Europa-Betriebsrat betreffen.

Wie kann die Gewerkschaft mehr Menschen motivieren, sich als BetriebsrätInnen zu engagieren?  

Je stärker es uns gelingt, unsere Botschaften an die Beschäftigten zu bringen, umso größer sind die Chancen der Gewerkschaften, stärker zu werden bzw. auch Funktionärinnen und Funktionäre zu erhalten. Diese Erneuerung des ÖGB – gezwungenermaßen 2006 wegen des Bawag-Desasters – hat dazu geführt, dass Gewerkschaften letztendlich unter dem Dach des ÖGB die Eigenständigkeit erlangen mussten. Darüber hinaus ist man auch im Bereich Marketingbotschaften neue Wege gegangen. Früher war es selbstverständlich, nicht zu kampagnisieren, dass das Weihnachts- und Urlaubsgeld nicht vom Himmel fällt, sondern nur durch die Gewerkschaften erreicht und abgesichert wird bzw. dass es Gewerkschaften sind, die Lohnerhöhungen erreichen. Ich glaube, dass uns das jetzt stärker gelungen ist.

Warum sollte man Betriebsrat oder Betriebsrätin werden?

Ich durfte bereits in jugendlichen Jahren erkennen: Wenn man nicht selbst Politik macht, dann wird mit einem Politik gemacht. Mein Leitsatz ist: Im Wissen, man kann es nie allen Menschen recht machen, soll man eines nie zulassen, nämlich dass andere mit einem Politik machen. Deshalb: Mitarbeiten, mitkämpfen und versuchen mitzubestimmen!

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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