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Symbolbild zum Bericht Billigere Lebensmittel sollte der Beitritt zur EU bringen. Das Angebot wurde zweifellos größer, doch 2014 war ein Warenkorb mit 165 gleichen Drogeriewaren in Wien um durchschnittlich 53,2 Prozent teurer als in München.
Buchtipp

Erasmus mit Gürkchen

Schwerpunkt

Zwei Dekaden lang gehört Österreich bereits zur Europäischen Union. Was sich von Cornichons bis zum Preisaufschlag für uns verändert hat.

Breite Zustimmung: Am 12. Juni 1994 sagten 66,6 Prozent der Bevölkerung bei der österreichischen Volksabstimmung Ja zur EU. Meine Großmutter, Jahrgang 1906, zwar schon bettlägerig, aber geistig aktiv, nahm den offiziellen EU-Beitritt am 1. Jänner 1995 durchaus zur Kenntnis. Doch das Kürzel für die Europäische Union blieb bei ihr ein gesprochenes „Äui“. Fünf Jahre später verhängte die „Äui“ Sanktionen gegen Österreich – der schwarz-blauen Regierung wegen. Schwarz-Blau-Gegner fanden das mehrheitlich gut, konservative EU-Gegner fühlten sich in ihrer Meinung bestärkt. Jene, die den Euro immer noch in Schilling umrechnen, träumen von der Rückkehr der alten Währung. Die Umsetzung des Schengener Abkommens, das bei den beteiligten Staaten die Abschaffung der Grenzbalken mit sich brachte und ärgerliche Zollkontrollen vergessen ließ, schürte wiederum Ängste im Lande der Seligen – Stichwort „Ost- und Bettelmafia“ oder Pink-Panther-Bande. PolitikerInnen, die wieder geschlossene Grenzbalken – vor allem gen Osten – fordern, sind leider keine Seltenheit.

Beflügelt

Trotz allem: Im März 2014 gaben 64 Prozent an, in der EU bleiben zu wollen (Umfrage Österreichische Gesellschaft für Europapolitik, ÖGfE). Die höchste Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft erreichte 80 Prozent (2002), der stärkste Austrittswunsch lag 2008 bei 33 Prozent. Reise- und Arbeitsfreiheit haben die Europäer beflügelt. Aus dem südfranzösischen Toulouse kam Nathalie A. vor 16 Jahren nach Wien, um einerseits als Sprachassistentin zu arbeiten und andererseits über das Wien in der Jahrhundertwende für die Universität in Frankreich zu recherchieren. Die Französin blieb und erfuhr nach rund einem Jahr in Österreich, dass sie eine Bescheinigung benötigt. „Die Beamten bei der Behörde sagten mir, ich sei illegal hier – das war ein Schock, ich dachte, dass man in der EU gar nichts braucht. Ich musste beweisen, dass ich genug verdiene und sozialversichert bin.“ Einer Geldstrafe entging sie nur knapp. Heute arbeitet die 44-Jährige als Französischlehrerin, ihren französischen Mann, der erst viel später nach Österreich kam, hat sie hier kennengelernt. Für ihren Sohn, der in Wien auf die Welt kam, aber französischer Staatsbürger ist, musste Nathalie A. bei der MA 35 – Einwanderung und Staatsbürgerschaft – eine EWR-Anmeldebescheinigung und die Daueraufenthaltsbescheinigung beantragen. „Mit der Europäischen Union ist das Reisen einfacher und ich denke auch billiger geworden, aber für mich war vor allem die Einführung des Euro sehr wichtig, weil ich immer mit zwei Geldbörsen unterwegs war und stets Münzen vergessen habe“, erzählt die Französin. Ab 1. Jänner 2002 löste der Euro den Schilling als Zahlungsmittel ab.
Früher hat Nathalie A. immer viele Käsesorten von ihren Aufenthalten daheim in Frankreich nach Wien mitgebracht. „Jetzt gibt es in den Supermärkten gute französische Käsespezialitäten, Butter mit Salz und auch endlich Cornichons“, freut sich Nathalie A. über französischen Käse und die kleinen Gürkchen. Andere in Österreich haben mit der EU den Zuzug der süßen Nektarine oder des argentinischen Rindfleisches begrüßt. Bis zum EU-Beitritt wurde die Einfuhr von Waren nach Österreich reglementiert. Viele Produkte waren nur eingeschränkt verfügbar, vor allem, um die heimischen Produzenten vor allzu großer Konkurrenz zu schützen. Seit dem Beitritt können Supermarkt-Ketten nach Belieben zukaufen – das wirkt sich auf die Angebotsvielfalt und Preise aus. Brot ist bei uns etwa teurer als in Frankreich, und wenn Nathalie A. in Wien Kaffeetrinken geht, muss sie hier mehr bezahlen als in ihrem Heimatland.

Ungleichgewicht

Der AK-Monitor stellt regelmäßig ein Ungleichgewicht zwischen Preisen aus Deutschland und Österreich fest. Im vergangenen Jahr war ein Warenkorb mit 165 gleichen Drogeriewaren in Wien um durchschnittlich 53,2 Prozent teurer als in München (Verkauf in Super- und Drogeriemärkten). KonsumentInnen im benachbarten Ausland müssen für den Warenkorb durchschnittlich 457,79 Euro zahlen, in Wien aber stolze 701,40 Euro. „Der Österreich-Aufschlag lässt sich nicht wegleugnen“, weiß AK-Konsumentenschützerin Gabriele Zgubic. „Unfassbar, aber alle verglichenen Drogeriewaren sind in Wien im Schnitt teurer als in München.“ Auch bei Lebensmitteln ist die Lage vergleichbar.

Wanderungen

Während Nathalie A. nach Österreich gekommen ist, hat es 7.000 ÖsterreicherInnen nach Frankreich gezogen. In Deutschland leben 249.768, im Vereinigten Königreich (GB) 25.000, in Ungarn 5.153, in der Tschechischen Republik 3.435, in Litauen und Lettland aber nur je 30 und 40 AuslandsösterreicherInnen. Und anders herum: Lebten 1995 noch rund 18.000 EU-BürgerInnen in Österreich, sind es heute 518.000. Die größte Gruppe kommt mit 230.000 Menschen aus Deutschland (Zahlen Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres bzw. Statistik Austria). Der gebürtige Deutsche Moritz Ziegler, 35, übersiedelte vor sieben Jahren nach Wien. „In Österreich ist alles familiärer“, meint der Grafiker aus Bayern: „Die Kollegen bei der Zeitung sind nicht so distanziert wie in Deutschland.“
Wie viele Menschen hatte Ziegler erst seine Schwierigkeiten mit der Bürokratie: Als es in seiner Wiener Wohngemeinschaft, die nur aus Deutschen bestand, bei einem Fest ein bisschen lauter wurde, gab es von der Polizei gleich eine Anzeige. Die gängige Wiener Regelung „Drehen Sie halt ein bisschen leiser“ galt für die Deutschen offenbar nicht. Mit der Strafverfügung wegen Ruhestörung erhielt der Grafiker auch noch eine Strafe wegen Verstoßes gegen das Meldegesetz. Inzwischen hat sich Ziegler mit Österreich versöhnt. Er schätzt die Lebenskultur, Gemütlichkeit und: „In den letzten Jahren ist Wien etwas weltoffener geworden.“ In seiner Fußballrunde spielen neben Österreichern und Deutschen auch Männer aus Eritrea, dem Kosovo und Kroatien. Ziegler: „Wir sind ein richtiger Wohlfühlverein.“
Wer nicht wie Moritz Ziegler oder Nathalie A. aus den EU-Staaten zum Arbeiten nach Österreich kommt, ist oftmals StudentIn und nutzt das Erasmus-Programm. Jährlich werden Zigtausende europäische StudentInnen mithilfe dieser Förderung mobil, die Teilnehmerzahl steigt. Im Studienjahr 1995/1996 lernten rund 2.300 österreichische StudentInnen an anderen europäischen Hochschulen. Im Studienjahr 2012/2013 absolvierten bereits ganze 5.800 ÖsterreicherInnen (Zahlen des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, BMWFW) im Rahmen des LL-Programms (LLP – Lebenslanges  Lernen, von 2007 bis 2013) einen Studienaufenthalt oder ein Praktikum im Ausland.
Die beliebtesten Zielländer für österreichische StudentInnen im Studienjahr 2012/2013 waren Spanien, gefolgt von Frankreich, Schweden, dem Vereinigten Königreich (GB) und Deutschland. Studierendenpraktika wurden vor allem in Deutschland, dem Vereinigten Königreich (GB) und in der Schweiz absolviert. Insgesamt waren 2014 rund 74.000 Studierende mit einem Erasmus-Programm unterwegs. Auch Lehrlinge werden gefördert, wenn sie ins Ausland gehen möchten. Bislang absolvierten 5.000 österreichische Lehrlinge ein Praktikum in einem anderen EU-Land. Mit dem EU-Programm Leonardo da Vinci werden diese Auslandspraktika gefördert. Pro Jahr nutzen rund 450 österreichische Lehrlinge diese Möglichkeit. Kapazität gäbe es für knapp doppelt so viele.

Austausch

Seit 2014 läuft das neue EU-Programm Erasmus+ für Bildung, Jugend und Sport, das u. a. die fünf Drittstaatenprogramme „Erasmus Mundus“, „Tempus“, „Alfa“, „Edulink“ und „Programm für die Zusammenarbeit mit industrialisierten Ländern“ vereint. Neuerungen sind etwa: Studienbezogene Praktika können von zwei bis zwölf Monate absolviert werden; Ausweitung der Erasmus-Studierenden- und Personalmobilität, die nun auch außerhalb Europas stattfinden kann (erst ab SJ 2015/2016 möglich). Doch Bildung wird immer mehr zu einem Gut, das nicht länger gratis ist, denn es ist in Vorbereitung, dass Österreichs Studierende, die ihr gesamtes Masterstudium im europäischen Ausland absolvieren wollen, die Möglichkeit zu einem zinsgünstigen Bankdarlehen erhalten.

Webtipps:
KonsumentInnenschutz AK Wien:
tinyurl.com/qbfpg3m
Bildung und Jugend in der EU:
tinyurl.com/mgzr2cl

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sophia.fielhauer@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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