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Symbolbild zum Bericht Die EU-Wirtschaftspolitik wird weiterhin Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Armut produzieren.
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Und jährlich grüßt das Murmeltier

Schwerpunkt

Die europäische Wirtschaftspolitik ändert sich nach wie vor kaum, obwohl in der Eurozone die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist und die Verteilungsschieflage bestehen bleibt.

Und jährlich grüßt das Murmeltier: Nach wirtschaftlichem Optimismus, worauf im nächsten Jahr ein nachhaltiger wirtschaftlicher Aufschwung einsetzen würde, folgt im Herbst die Ernüchterung. Die Erwartungen für Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum werden gesenkt. Jetzt müsse man noch konsequenter die „notwendigen Strukturreformen“ umsetzen und den Konsolidierungskurs fortführen, so die Botschaft des „europäischen Reformbündnisses“.

Hoffnung

2014 gab es kurz Grund zur Hoffnung. Zumindest kurzfristig hat es danach ausgesehen, als ob sich die wirtschaftspolitische Ausrichtung etwas ändern könnte. Mit dem moderaten Spitzenkandidaten der europäischen Konservativen, Jean-Claude Juncker, der bereits im Wahlkampf eine Investitionsoffensive zur Überwindung der Stagnation in den Raum stellte, keimte Hoffnung auf. Es schien im „europäischen Reformbündnis“ angekommen zu sein, dass der einseitige Kurs weder politisch noch ökonomisch erfolgreich ist. Mit der Veröffentlichung des jährlich erscheinenden Jahreswachstumsberichts der EU-Kommission, der gemeinsam mit seinen Begleitunterlagen den wichtigsten Orientierungspunkt für die kurzfristige wirtschaftspolitische Ausrichtung darstellt, folgte prompt die Enttäuschung. Das Herzstück war zwar, wie von Kommissionspräsident Juncker versprochen, ein neues Investitionspaket. Anstelle der erhofften, groß angelegten öffentlichen Investitionsoffensive enthielt es jedoch praktisch keine neuen Mittel. Stattdessen soll ein neuer Europäischer Fonds für strategische Investitionen (EFIS), der vergünstigte Finanzierungsinstrumente in erster Linie für private InvestorInnen bereitstellt, zig Milliarden an zusätzlichen Investitionen auslösen. Ein ähnliches Modell wurde aber bereits Mitte 2012 beschlossen – mit offensichtlich ausbleibendem Erfolg.
Ansonsten gibt der Jahreswachstumsbericht vor, die bisherige Politik fortzuführen, lediglich mit einer stärkeren Betonung von – zumeist recht unbestimmt bleibenden – Strukturreformen und graduell abgeschwächter Budgetkürzungspolitik. Zusammen mit der Investitionsoffensive ergeben sich so drei Säulen, auf denen die kurzfristige wirtschaftspolitische Ausrichtung nun fußt. Damit steht die europäische Wirtschaftspolitik weiterhin auf tönernen Füßen, die durch den neuerlich verschlechterten wirtschaftlichen Ausblick bereits wieder brüchig geworden sind. Ohne schwächeren Euro und fallenden Ölpreis wäre eine neuerliche Rezession in der Eurozone wahrscheinlich schon eingetreten.

Alternativen

Mit dem Ziel, Alternativen aufzuzeigen, wurde im Dezember heuer bereits zum dritten Mal der unabhängige Jahreswachstumsbericht (iAGS) veröffentlicht. Dieser wurde von einem europäischen Konsortium keynesianisch orientierter Forschungsinstitute, erstmalig unter Mitarbeit der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien, verfasst. Darin werden die anhaltenden ökonomischen, sozialen und politischen Probleme thematisiert. Als zentraler Lösungsansatz wird darin ein expansiver Impuls mittels öffentlicher Investitionen vorgeschlagen. Bleibt ein solcher aus oder wird er von Kürzungen an anderer Stelle wieder zunichtegemacht, werde die Arbeitslosigkeit in der Eurozone auch noch 2016 über zehn Prozent liegen, wird im Bericht gemahnt.

Nachfrageschwäche

Als Hauptgrund für den schleppenden Rückgang der Arbeitslosigkeit wird die selbst hervorgerufene Nachfrageschwäche ausgemacht. So wird insbesondere in Ländern wie Spanien der Druck auf die Löhne erhöht, was den privaten Konsum als wichtigste Nachfragekomponente schwächt. Außerdem sorgen die europäischen Fiskalregeln dafür, dass auch die öffentlichen Haushalte als Impulsgeber ausfallen. 2015 und 2016 könnte sich die restriktive Wirkung sogar wieder verstärken, da der eigentlich erforderliche weitere Defizitabbau nur mehr vorsichtig umgesetzt wird.

Drohende Deflation

Insgesamt leidet die Eurozone nach wie vor an den Folgen der Krise und ist weit von einer dynamischen Erholung entfernt. Ungleichheit und Armutsrisiken steigen. Zudem droht eine langwierige Phase zu niedriger Inflation, wobei für etliche Länder die drohende Deflation bereits Realität geworden ist. Dadurch schränkt sich aber auch die Möglichkeit zum Schuldenabbau ein. Die europäische Wirtschaftspolitik führt sich so ad absurdum. Ob die EZB durch den massiven Aufkauf von Staatsanleihen daran ausreichend etwas ändern kann, ist noch nicht abzusehen.
Weitere Kritikpunkte zum Jahreswachstumsbericht der Kommission: Die wirtschaftlichen Unterschiede der Mitgliedstaaten werden ausgeblendet und somit das europäische Projekt insgesamt gefährdet. Der anscheinend vorbereitete Versuch, die Mitgliedstaaten zu „Strukturreformen“ zu verpflichten, die beispielsweise auf den Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten beziehungsweise Arbeitsmarktstandards sowie Kürzungen im Pensions- und Gesundheitsbereich hinauslaufen, sei mehr eine gefährliche Drohung denn eine Lösung. Auch der von Juncker angekündigte Investitionsplan wäre nicht nur zu wenig, sondern in Teilen sogar kontraproduktiv, da er sich durch die Kombination von Deregulierung und Orientierung an den Interessen privater InvestorInnen als neoliberales trojanisches Pferd erweisen könnte.
Einen weiteren Schwerpunkt im iAGS bildet die langfristig steigende Konzentration der Vermögen in Europa, die durch die bahnbrechende Arbeit von Thomas Piketty nun weltweit als strukturelles Problem diskutiert wird. Seit Aus-bruch der Wirtschafts- und Finanzkrise hat man zudem erkannt, dass die Vermögensverteilung für die finanzielle Stabilität volkswirtschaftliche Bedeutung hat. In der Eurozone besitzt die Hälfte der Haushalte ein Nettovermögen (Ver-mögen abzüglich der Schulden) von weniger als 109.000 Euro. Der Durchschnitt liegt allerdings mehr als doppelt so hoch bei rund 231.000 Euro. Dieser große Unterschied ist ein starker Ausdruck für die ungleiche Verteilung der Vermögen innerhalb der Eurozone. Die ärmsten zehn Prozent haben ein Nettovermögen von unter 1.000 Euro, während die reichsten zehn Prozent mehr als 500.000 Euro besitzen.

Expansive Budgetpolitik

Ohne Änderung des makroökonomischen Rahmens werden sich Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Armut weiter verfestigen. Während der Geldpolitik weiterhin eine wichtige Rolle zukommt, braucht es eine expansive Budgetpolitik. Zumindest braucht es eine goldene Investitionsregel, sodass öffentliche Investitionen nicht mehr in Konflikt mit den europäischen sowie nationalen Fiskalregeln geraten können. Sozialen und ökologischen Investitionen kommt dabei eine besondere Rolle zu. Bei Unterauslastung der Wirtschaft kann die Erholung nur durch einen Nachfrageimpuls gelingen, nicht durch Strukturreformen. Angesichts unsicherer Absatzerwartungen wird dieser nicht von den privaten Investitionen kommen, aufgrund der Massenarbeitslosigkeit ebenso wenig vom Konsum. Bleiben die öffentlichen Investitionen, wo der Bedarf (sozialer Wohnbau, öffentlicher Verkehr, Energieeffizienz, ökologische Transformation, Kommunikationstechnologien, Bildung, Sozialarbeit, Kinderbetreuung, Pflege) hoch und die Finanzierung günstig ist.

Vermögensungleichheit

Die lang anhaltende Schwäche der Nachfrage ist auch durch steigende Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen bedingt. Die sparfreudigen oberen Gruppen verzeichnen kräftige Zuwächse, die konsumfreudigen unteren Gruppen Verluste. Dies droht sich weiter zu verschärfen, weil die steigende Arbeitslosigkeit die Entwicklung der Leistungseinkommen aus Arbeit dämpft, während die leistungslosen Kapitaleinkommen nach ganz oben fließen. Deshalb sind die Steuern auf Vermögen anzuheben und Steuervermeidung zu bekämpfen, nicht zuletzt, um langfristig höhere Ausgaben für Kindergärten, Bildung, Sozialarbeit und Pflege zu ermöglichen.

Weitere Infos finden Sie unter:
tinyurl.com/obnc439

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor georg.feigl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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