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Symbolbild zum Bericht Über 1.700 LobbyistInnen sind Tag für Tag in Brüssel damit beschäftigt, die Interessen von Banken und FinanzmarktakteurInnen zu vertreten.

Im Dschungel der Lobby

Schwerpunkt

Die Macht der Lobbys wird zu einem immer drängenderen Problem. AK und ÖGB haben seit Jahren die strategische Bedeutung dieses Themas erkannt und viel erreicht.

Wer kennt sie nicht, die Berichte über die LobbyistInnen von Multis und Großfinanz, die in Brüssel hinter jeder Straßenecke lauern, um Abgeordneten und KommissionsbeamtInnen im Vorbeigehen schnell ein diskretes Papierchen in die Hand zu drücken. Auch wenn das Bild überzeichnet ist, sprechen die Zahlen Bände. Bereits 2012 zeigten AK und ÖGB in einer eigenen Studie, dass sich rund 20.000 LobbyistInnen in Brüssel tummeln. Knapp drei Jahre später schätzen KennerInnen der Szene die Zahl bereits auf rund 30.000. Mit etwa ein bis zwei Prozent kommt nur ein verschwindend kleiner Teil davon aus dem gewerkschaftsnahen Lager.

Brüsseler Parkett

Wer überhaupt auf dem Brüsseler Parkett wann und wo welche Klinken putzt, kann dabei nur schätzungsweise ermittelt werden – und das auch erst seit 2011, als Europäische Kommission und Europäisches Parlament nach immer wiederkehrenden Skandalen und auf Druck der Öffentlichkeit in einem gemeinsamen Abkommen das sogenannte „Europäische Transparenzregister“ gründeten. Was auf den ersten Blick vielversprechend klingt, ist bei näherem Hinsehen allerdings nicht viel mehr als eine Datenbank, in die sich professionelle LobbyistInnen und sonstige Organisationen, die am politischen Entscheidungsprozess in Brüssel mitwirken, eintragen können. Die Betonung liegt auf „können“. Denn niemand ist gezwungen, sich in das Transparenzregister einzutragen. Folgerichtig gibt es auch keine wirksamen Sanktionen oder Strafen für jene, die lieber im Schatten bleiben möchten. Nicht nur beruht die Eintragung in das Register auf Freiwilligkeit. Auch die Angaben jener, die sich registrieren lassen, werden so gut wie nie auf bewusste oder irrtümliche Fehlerhaftigkeit hin überprüft. Kein Wunder, schließlich beschäftigt das gemeinsame Register-Sekretariat von Kommission und Parlament dem Vernehmen nach nur eine Handvoll von MitarbeiterInnen. So finden sich immer wieder absurde Stilblüten im Register, wie die jüngst bekannt gewordene Registrierung eines europäischen Dachverbandes der Hersteller von Zahnprothesen, der angab, 250.000 LobbyistInnen zu beschäftigen.
Freiwillige Eintragung und fehlende Kontrolle ergeben in Summe einen mehr als unbefriedigenden Zustand mit erheblichen politischen Konsequenzen. Beispiel Finanzlobby: 2014 untersuchten AK, ÖGB und Corporate Europe Observatory in einer gemeinsamen Studie die Szene der Brüsseler FinanzlobbyistInnen. In den fünf Jahren nach Ausbruch der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 1945 war eines immer wieder besonders auffällig: dass nämlich sämtliche politischen Vorhaben, die Finanzjongleure an die kurze Leine zu legen, entweder von Haus aus im Keim erstickt oder auf ihrem Weg durch das Europäische Parlament und den Rat der Mitgliedstaaten bis zur Unkenntlichkeit verwässert wurden.
Das liegt, so wurde aus der Studie deutlich, zu einem erheblichen Teil auch an der Feuerkraft der Brüsseler FinanzlobbyistInnen. Mehr als 700 Organisationen lobbyieren in der EU-Hauptstadt für die Finanzlobby, rund 450 davon (darunter große Player wie die London Stock Exchange, HSBC, UBS, Royal Bank of Scotland, Goldman Sachs, Santander) waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Studie nicht im EU-Lobbyregister eingetragen. Mehr als 1.700 LobbyistInnen sind Tag für Tag in Brüssel damit beschäftigt, die Interessen von Banken und FinanzmarktakteurInnen zu vertreten. Damit kommen auf eine/n KommissionsbeamtIn, die/der mit Finanzmarktthemen beschäftigt ist, vier LobbyistInnen. Und die Branche lässt sich ihren Einfluss Jahr für Jahr mindestens 123 Millionen Euro kosten.

Wo ein Wille, da ein Weg

AK und ÖGB, die im Übrigen seit langem im Europäischen Transparenzregister eingetragen sind, fordern zusammen mit starken europäischen BündnispartnerInnen aus der Lobbykontrollszene seit Jahren ein Ende dieser gewerkschafts- und demokratiepolitisch bedenklichen Schieflage. Erster Meilenstein auf dem Weg dahin wäre ein strenges und verpflichtendes Lobbyregister mit effektiven Kontrollen und abschreckenden Sanktionen. Über Jahre vertrat die Europäische Kommission die umstrittene Auffassung, dass die bestehenden EU-Verträge ein verpflichtendes Lobbyregister unmöglich machen. Ein Argument, das allerdings von AK und ÖGB in einem 2012 veröffentlichten und im Europäischen Parlament präsentierten Rechtsgutachten widerlegt wurde. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Die Unzulänglichkeiten des Lobbyregisters sind allerdings nur ein Teil eines wesentlich vielschichtigeren Problems. So lässt sich die Europäische Kommission im Tagesgeschäft, von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, von mehr als 800 sogenannten „ExpertInnengruppen“ beraten. AK und ÖGB haben in den vergangenen Jahren zusammen mit verbündeten NGOs mehrfach mit Studien, Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit auf eklatante Missstände in ExpertInnengruppen wichtiger Generaldirektionen der Europäischen Kommission hingewiesen.
Bereits 2009 wies ALTER-EU, ein Zusammenschluss von Lobbytransparenz-Organisationen, bei dem auch die AK Mitglied ist, in einem aufsehenerregenden Bericht auf die überwältigende Dominanz der Finanzlobby in den ExpertInnengruppen der für Finanzmarktregulierung zuständigen Generaldirektion der Europäischen Kommission hin. Im Juli 2012 setzte ALTER-EU mit einem weiteren Bericht, der von AK und ÖGB in Brüssel präsentiert wurde, nach. Diesmal ging es um die BeraterInnengruppen in der einflussreichen Generaldirektion für Unternehmen und Industrie der Europäischen Kommission. Von den 83 untersuchten Gruppen waren 57 Prozent aller ExpertInnen den Gruppen der Industrie zuzurechnen, nur ein Prozent den Gewerkschaften.
Innovative und konsequente Medienarbeit und begleitende Maßnahmen wie beispielsweise Beschwerden an den Europäischen Ombudsmann oder offene Briefe an politische EntscheidungsträgerInnen zeitigten erste politische Erfolge. So fror der Budgetausschuss des Europäischen Parlaments im November 2011 und im März 2012 die Haushaltsmittel zur Finanzierung der ExpertInnengruppen ein und knüpfte die Freigabe der Mittel an Bedingungen, die für Ausgewogenheit und Transparenz sorgen sollten.

Gebrochene Versprechen

Die Kommission gelobte Besserung. Doch hat sie tatsächlich gehalten, was sie versprochen hatte? Um diese Frage zu beantworten, präsentierten AK, ÖGB und ALTER-EU im November 2013 einen weiteren Folgebericht, der alle seit 2012 neu gegründeten ExpertInnengruppen analysierte. „A Year of Broken Promises“ lautet der bezeichnende Titel der Studie, denn geändert hatte sich so gut wie nichts. In allen neu gegründeten ExpertInnengruppen der Kommission dominierten nach wie vor Wirtschaftsinteressen mit 52 Prozent aller ExpertInnen, Gewerkschaften waren mit drei Prozent aller ExpertInnen marginalisiert. Die Mehrzahl der Gruppen wird ohne öffentliche Ausschreibung still und heimlich ins Leben gerufen. Und was während der Sitzungen besprochen wird, bleibt weitgehend im Dunkeln, da Tagungsdokumente entweder gar nicht oder viel zu spät veröffentlicht werden.
Ohne dauerhaften Druck und die Mobilisierung der öffentlichen Meinung gehören mühsam erkämpfte Teilerfolge für eine gerechtere und demokratischere Ausgestaltung der Lobbyregeln schnell wieder der Vergangenheit an. Aus diesem Grund entschlossen sich AK und ÖGB auch dazu, mit einer Vielzahl europäischer BündnispartnerInnen vor der Wahl zum Europäischen Parlament 2014 die Online-Kampagne „Politics for People“ ins Leben zu rufen. Europäische BürgerInnen konnten bei dieser Kampagne sämtlichen KandidatInnen aller wahlwerbenden Gruppierungen das Versprechen abverlangen, sich im Falle ihres Einzuges in das neue Europäische Parlament für sauberes Lobbying und gegen die Lobby-Übermacht von Multis und Finanzkonzernen einzusetzen. Es war eine Kampagne mit beachtlichem Erfolg: Insgesamt gaben 1.344 KandidatInnen dieses Versprechen ab, davon allein 163 aus Österreich. Von den 751 aktuellen Mitgliedern des Europäischen Parlaments hatten vorher 180 ihr Versprechen abgegeben, darunter 13 der 18 erfolgreichen österreichischen EU-ParlamentarierInnen. Eine starke Gruppe im Europäischen Parlament, auf der die Hoffnungen für die weitere politische Arbeit für sauberes Lobbying in Brüssel ruhen.
Die ersten Signale der neuen Juncker-Kommission sind mit vorsichtigem Optimismus zu sehen. Immerhin werden zum ersten Mal sämtliche Treffen von KommissarInnen und ihren KabinettsmitarbeiterInnen mit LobbyistInnen dokumentiert und veröffentlicht. Ein Vorschlag für ein verpflichtendes Lobbyregister wurde von der neuen Kommission für 2015 in Aussicht gestellt.

Webtipp:
„Europäisches Kräftemessen – europäische Kräfte messen“:
tinyurl.com/pgsakx3

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