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Symbolbild zum Bericht Besonders hart traf die neoliberale Krisenbewältigungspolitik die Menschen in den Krisenländern im Süden Europas.
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EU-Sozialpolitik auf dem Prüfstand

Schwerpunkt

Von Beginn an bestand auf Gemeinschaftsebene ein Spannungsverhältnis zulasten des Sozialen. Dies muss sich dringend ändern!

Europa befindet sich in einer schweren Krise. Die Wirtschaft stagniert, die Arbeitslosenzahlen erreichen Rekordhöhen. Auch Österreich ist davon nicht verschont: Unter Einrechnung der TeilnehmerInnen an AMS-Schulungen waren Ende Dezember 2014 mehr als 450.000 Menschen in unserem Land arbeitslos. Und in den meisten EU-Ländern ist die Situation noch um einiges schlimmer. Wenngleich die Ursachen der Krise nicht in der Sozialpolitik liegen und damit auch die Bekämpfung dieser Ursachen im Kern an einer anderen Stelle ansetzen muss, stellt sich mehr denn je auch die Frage, wie die Europäische Union eigentlich in der Sozialpolitik agiert.

Ausgangslage

Wie der ursprüngliche Name Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) signalisiert, zielte die europäische Einigung von Anfang an auf eine wirtschaftliche Integration der Mitgliedsländer. Sozialstaatliche Regelungen sollten im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten verbleiben. Von Beginn an bestand damit auf Gemeinschaftsebene ein Spannungsverhältnis zulasten des Sozialen. Mit der Vertiefung des Binnenmarktes, der Einführung der gemeinsamen Währung und der Festlegung rigider Finanzziele wurde das seither mehr und mehr zum Problem.
Gemeinschaftsrechtliche Regelungen gab es anfangs nur zur sozialen Flankierung der bereits in den Gründungsverträgen verankerten Freizügigkeit der ArbeitnehmerInnen und in Form der Zielbestimmung „Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit“.
Abgesehen von einer kurzen Phase des Aufbruchs zu Beginn der 1970er-Jahre kam es erst im Vorfeld des Maastricht-Vertrages (1993) zu einer Ausweitung der sozialpolitischen Aktivitäten der Gemeinschaft. Eines der zentralen Instrumente war dabei die Festlegung von Mindeststandards. Das Sozialprotokoll von Maastricht öffnete dazu unter anderem Mitwirkungsmöglichkeiten der Sozialpartner. Auf Vereinbarungen der Sozialpartner gestützte Mindeststandards konnten beispielsweise für Teilzeitbeschäftigte, für befristet Beschäftigte und für Telearbeitskräfte erreicht werden. Wie schwierig es oft ist, zu halbwegs tragbaren Mindeststandards zu kommen, zeigt die bewegte Vorgeschichte der Entsenderichtlinie. Erst als unter Führung der Gewerkschaften europaweiter Protest organisiert wurde, wurde von der ursprünglich geplanten, ultraliberalen Auslegung der „Dienstleistungsfreiheit“ Abstand genommen. Für Österreich bewirkten etliche EU-Mindeststandards – anders als oft vermutet – einen Anpassungsbedarf nach oben.
Im vergangenen Jahrzehnt haben die Bemühungen der EU-Kommission zur Nutzung dieses Instruments merklich nachgelassen. Eine der wenigen neueren Regelungen ist die Leiharbeitsrichtlinie aus dem Jahr 2008. Zu hoffen ist, dass der Weg der Festlegung von Mindeststandards wiederbelebt wird und auch in anderen Bereichen als dem Arbeitsrecht verstärkt zum Einsatz kommt. Mit ambitionierten Mindeststandardregelungen könnte die Europäische Union ein Stück sozialer gemacht und diversen Dumpingstrategien („Standortwettbewerb“) ein Riegel vorgeschoben werden.

Andere Variante der Sozialpolitik

In den späten 1990er-Jahren tauchte mit gemeinsam formulierten Leitlinien und (Umsetzungs-)Empfehlungen eine andere Variante der EU-Sozialpolitik auf. Der damit verbundene Verzicht auf eine unmittelbare Rechtsetzung durch EU-Organe ermöglichte eine massive thematische Ausweitung. Die „Methode der offenen Koordinierung“ kam zuerst im Bereich der Arbeitsmarktpolitik und bald darauf auch in anderen Bereichen zum Einsatz. Besonders umfangreiche Aktivitäten setzte die EU zum Thema Pensionen mit oftmals verfehlten Empfehlungen wie der „Koppelung des Ruhestandsalters an die steigende Lebenserwartung“ oder dem „Ausbau der Förderung kapitalgedeckter Zusatzpensionen“. Auf dem Pfad der „offenen Koordinierung“ bewegt sich auch die 2010 beschlossene EU-2020-Strategie mit ihren Zielsetzungen zur Steigerung der Beschäftigung und zur Reduktion der Armut. Die bisherigen Ergebnisse sind mehr als ernüchternd: Inzwischen zweifelt niemand mehr daran, dass die Ziele dramatisch verfehlt werden. Das zeigt in aller Deutlichkeit die Schwächen einer Strategie, die auf unverbindliche soziale Zielsetzungen setzt. Dazu kommt, dass schon die EU-2020-Strategie als solche viele Defizite aufweist. So wurden zum Beispiel fundamentale Ansätze zur Erreichung der angesprochenen Ziele wie bessere Verteilung der Arbeit, der Einkommen und der Vermögen erst gar nicht in Erwägung gezogen.

Sozialpolitik durch die Hintertür

Die Finanzkrise 2008/2009 wurde durch gewaltigen Einsatz öffentlicher Mittel aufgefangen. Den daraus resultierenden Anstieg der Staatsschulden nutzten neoliberale Ökonomen und Politiker sehr geschickt zu einer Uminterpretation der Krise in eine „Staatsschuldenkrise“. Schnell war auch ausgemacht, wie diese in erster Linie zu bekämpfen sei – durch Zurückhaltung bei den Löhnen und durch Einsparungen bei den Sozialausgaben.
Besonders hart traf die neoliberale Krisenbewältigungspolitik die Menschen in den zentralen Krisenländern im Süden Europas. Die Troika verordnete dort neben den oft drastischen Kürzungen bei Sozialleistungen auch sogenannte „Strukturreformen“ zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Der neoliberalen Orientierung folgend, waren dies Lohnkürzungen, „Liberalisierung“ des Arbeitsrechts, Zurückdrängung der Gewerkschaften etc.
Unübersehbar sind die Anstrengungen der Neoliberalen, Sozialleistungskürzungen und Strukturreformen dieser Art Schritt für Schritt auch in den anderen EU-Ländern durchzusetzen. In Österreich ist es bisher gelungen, ziemlich gut dagegenzuhalten. Selbst bei vielen grundsätzlichen Befürwortern von Zielsetzungen wie dem Nulldefizit kommen Zweifel auf, ob es Sinn macht, dem gesamten Euroraum in einer Phase der wirtschaftlichen Stagnation drastische Einsparungen zu verordnen. Der Sozialbereich ist eines der Felder, in denen in einer Phase der Stagnation Investitionen mehr denn je geboten sind. Kinderbetreuung, Qualität der Ausbildung etc. sind Bereiche, in denen dringender Bedarf gegeben ist. Voraussetzung für ein Gelingen dieser Strategie ist, dass das viel zu enge und zu wenig flexible Finanzkorsett im Euroraum gelockert wird.
Aktuell wird in Brüssel viel über eine neue Variante einer EU-Sozialpolitik diskutiert: die Schaffung einer Europäischen Arbeitslosenversicherung (EU-ALV). Im Hintergrund des Vorhabens steht vor allem das Bestreben, das makroökonomische Krisenmanagement im Euroraum zu verbessern. Die Befürworter führen ins Treffen, dass über das Instrument einer EU-ALV der zur Eindämmung von Krisen notwendige Finanztransfer in die betroffenen Länder zum einen gesichert und zum anderen in sinnvolle Bahnen gelenkt werden könne. Über die konkrete Ausgestaltung sind mehrere Vorschläge in Diskussion. Gemeinsam ist ihnen die Idee einer relativ niedrig angesetzten europäischen Basisabsicherung. Ergänzende Zusatzleistungen sollen in nationaler Verantwortung bleiben.
Unstrittig ist, dass Europa (und insbesondere der Euroraum) dringend Instrumente zur besseren Krisenbewältigung braucht. Ob die Errichtung einer EU-ALV dafür der sinnvollste Weg ist, ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Viele Fragen sind offen: Wie ist zu vermeiden, dass es zu ungewünschten Dauertransfers zwischen Ländern mit und ohne aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik kommt? Wie ist sicherzustellen, dass die Finanzierung von Krisenkosten nicht allein den beitragszahlenden ArbeitnehmerInnen aufgebürdet wird? Solange diese und andere Fragen nicht in zufriedenstellender Form geklärt sind, ist ein hohes Maß an Skepsis angebracht.
Welche Wege auch immer gegangen werden – klar ist, dass ein sozialeres Europa dringend geboten ist! Starke Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen und der sozial Schwachen, auch auf internationaler Ebene, sind eine Grundvoraussetzung dafür, dass es in die richtige Richtung geht. Der Europäische Gewerkschaftsbund braucht volle Rückendeckung, um diese Rolle wahrnehmen zu können.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor josef.woess@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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