topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Symbolbild zum Bericht Sonderklagsrechte ermöglichen die Durchsetzung von privaten Sonderrechten, die massiv in die nationalen Regulierungsspielräume eingreifen und nationale Gesetze aushebeln können.

Schachmatt!

Schwerpunkt

Die EU-Kommission in Argumentationsnotstand: Wie Unternehmen das EU-Recht aushebeln - ganz legal.

Private Schiedsgerichte entscheiden unter anderem darüber, ob Umweltschutz- und Sozialgesetze im Rahmen von Entschädigungsklagen multinationaler Konzerne zulässig sind. Möglich ist dies durch Sonderklagerechte für europäische Investoren auf Grundlage von Investitionsschutzabkommen. Ursprünglich gegen Drittstaaten gerichtet, bereiten diese Privilegien auch der Europäischen Union zunehmend Probleme. Dies wiederum erzeugt Unbehagen bei der Europäischen Kommission.
Die EU-Kommission misst
mit zweierlei Maß: Im Binnenmarktverhältnis sollen die nationale Gerichtsbarkeit und die EU-Gerichtsbarkeit gelten. Im Außenverhältnis aber vertritt sie die Interessen europäischer Konzerne und möchte weiterhin privilegierte Sonderklagerechte für europäische Investoren vor privaten Ad-hoc-Schiedsgerichten in EU-Handelsabkommen durchsetzen. Die Strategie geht aber nicht auf. Die Klagen europäischer Unternehmen richten sich vermehrt gegen EU-Mitgliedstaaten. Nicht nur das: Sie drohen, das EU-Recht an sich auszuhebeln.

Privilegierte Klagerechte

Die Investitionsschutzabkommen sind keine neue Erfindung. Ab den 1970er-Jahren wurde es gang und gäbe, mit Entwicklungs- und Transformationsländern bilaterale Investitionsabkommen (BITs) abzuschließen. Insgesamt gibt es mehr als 3.000 BITs, Österreich hat 62 davon unterzeichnet. Lange wurde dem wenig Aufmerksamkeit geschenkt, weil die Schiedssprüche kaum publik wurden. Gewerkschaften und Zivilgesellschaft haben indes sehr gute Arbeit geleistet: Denn die Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) und die private Schiedsgerichtsbarkeit werden nun in der breiten Öffentlichkeit diskutiert, insbesondere seit den Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA. Kritisiert wird, dass Investoren die Gaststaaten unmittelbar vor privaten Ad-hoc-Schiedsgerichten auf Schadenersatz klagen können, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Waren die Bestimmungen ursprünglich als Schutz vor Enteignung durch staatliche Willkür gedacht, so wird dieser Investitionsschutz heute sehr großzügig interpretiert. Es ist zu gängiger Spruchpraxis geworden, dass ausländischen Investoren bei geänderten Rahmenbedingungen, zum Beispiel bei Novellen von Umwelt-, Gesundheits- oder Sozialgesetzen, Schadenersatz wegen „indirekter Enteignung“ zugesprochen wird. Die Begründung: Die „legitimen Erwartungen“ auf stabile Rahmenbedingungen wurden enttäuscht. Ja, selbst entgangene zukünftige Gewinne sind zu entschädigen.
Auch die Schiedsgerichte selbst sind in die öffentliche Kritik geraten, da ihre Arbeit vollkommen intransparent ist, ihre Urteile inkonsistent sind und als SchiedsrichterInnen meist gewinnorientierte AnwältInnen aus einer Handvoll spezialisierter Kanzleien fungieren.
Haben im vorigen Jahrhundert nur wenige Konzerne Staaten verklagt, so werden in jüngster Zeit weit mehr als 50 Klagen jährlich registriert. Derzeit gibt es insgesamt 568 bekannte Fälle. Die neue Dynamik erfasst immer mehr die hochentwickelten Rechtsstaaten wie Deutschland, Kanada und Australien. Sie werden von multilateralen Unternehmen verklagt, um für sie „lästige“ Gesetze zu bekämpfen. InvestorInnen machen aber auch vor dem staatlichen Schuldenschnitt zur Restrukturierung der Staatshaushalte europäischer Krisenländer nicht Halt, sondern machen dahingehend ihre Verluste geltend.

Private Sonderrechte

Es geht also inzwischen um das Durchsetzen von privaten Sonderrechten, die massiv in die nationalen Regulierungsspielräume eingreifen und nationale Gesetze aushebeln können. Dies wird zunehmend ein Problem für den europäischen Binnenmarkt. Möglich machen diese Entwicklung unter anderem auch die Energy Charter und rund 190 Intra-EU-BITs zwischen den „alten“ und „neuen“ Mitgliedstaaten. So hat der schwedische Energiekonzern Vattenfall Deutschland bereits zweimal wegen Umweltschutzmaßnahmen (Atomausstiegsgesetz und Umweltauflagen beim Kohlekraftwerksbau) auf Schadenersatzzahlungen von insgesamt 4,9 Milliarden Euro verklagt. Allein heuer haben mindestens zwei Dutzend Photovoltaik-Investoren EU-Mitgliedstaaten verklagt, die Alternativenergieförderungen aus Budgetgründen reduziert hatten. Die slowakische Postavá Bank will den Schuldenschnitt bei griechischen Staatsanleihen nicht akzeptieren. Sie hatte zuvor Staatsanleihen im Wert von 500 Millionen Euro gekauft und verklagt nun Griechenland, obwohl die Papiere zum Zeitpunkt ihres Kaufs von Ratingagenturen bereits als „Schrott“ eingestuft worden waren. Ähnlich ergeht es Zypern, das von der Marfin Bank nach dem Schuldenschnitt auf 823 Millionen Euro Entschädigungszahlungen geklagt wurde.

Wer ist stärker: „I oder I“?

Gegenüber Drittstaaten soll ISDS also um jeden Preis ein fixer Bestandteil in EU-Handels- und Investitionsabkommen wie TTIP2  oder CETA3 sein – und zwar unabhängig davon, ob es sich um entwickelte Rechtsstaaten handelt oder nicht. Hingegen sind der Kommission innerhalb der EU Abkommen mit ISDS ein „Dorn im Auge“. Sie unternimmt alles in ihrer Macht stehende, die Schiedsgerichte in ihren Entscheidungen davon zu überzeugen, dass Unionsrecht vorgeht. Dies geschieht nicht ohne Grund. Denn zunehmend wird die EU-Energie-, Umwelt- und Steuerpolitik durch die ISDS-Verfahren auch innerhalb der Union infrage gestellt, wie das Fallbeispiel „Micula“ zeigt.
Im Jahr 2008 klagte der schwedische Investor Micula Rumänien. Anlass waren die vormals gewährten Investitionsanreize (Mehrwert- und Gewinnsteuerbefreiung sowie Beihilfen), die Rumänien als Bedingung für den EU-Beitritt 2003 streichen musste. Die Kommission beteiligte sich an dem mehrjährigen Verfahren. Sie argumentierte, dass Rumänien mit seinem Beitritt den EU-Rechtsbestand übernommen hätte und entsprechend dem Beihilfenverbot derartige Steuerprivilegien nicht zulässig seien. Die privaten Schiedsrichter ließen dieses Argument nicht gelten und verurteilten Rumänien zu Schadenersatzzahlungen in der Höhe von 250 Millionen Dollar. Daraufhin forderte die EU-Kommission Rumänien auf, die Zahlung nicht zu leisten, da diese eine unerlaubte Beihilfe für das Unternehmen Micula darstelle. Rumänien ist nun in der Zwickmühle: Geht EU-Recht oder Völkerrecht vor? Soll es Investitionsschutzverpflichtungen oder aber EU-Recht verletzen? Rumänien hat jedenfalls den „Schearm auf“, denn die Kommission leitete bereits ein Vertragsverletzungsverfahren wegen unerlaubter Beihilfen ein. 
Auch Beihilfeverfahren der Kommission stehen unter dem Damoklesschwert der Sonderklagerechte. So bewies die Kommission Mut, als sie gegen Apple, Starbucks und Fiat Finance im Sommer des vergangenen Jahres ein Verfahren wegen möglicher unzulässiger Steuervergünstigungen eröffnet hat. Die Konzerne könnten einem Negativentscheid, verbunden mit Steuernachzahlungspflicht in Millionenhöhe, jedoch entgegenhalten, dass dies einem indirekten Eingriff in ihre Erwerbsfreiheit gleichkomme. Sie hätten sich auf die Zusagen der nationalen Finanzbehörden verlassen. Gute Argumente, um ein ISDS-Verfahren einzuleiten. Die Tatsache, dass multinationale Konzerne EU-Recht aushebeln könnten, liefert der hitzigen Diskussion über ISDS zusätzliche Nahrung und führt zur zentralen Frage nach der Legitimation der involvierten privaten Schiedsgerichte. KritikerInnen sind der Ansicht, dass die Schiedsgerichtsbarkeit weder mit dem nationalen Rechtsprechungsmonopol noch mit EU-Recht vereinbar ist. So beschränkt der EuGH die Zulässigkeit von Gerichten, die außerhalb der europäischen Gerichtshierarchie stehen. Solche Schiedsgerichte dürfen nur eingesetzt werden, wenn sie verpflichtet sind, strittige Fragen dem EuGH vorzulegen. Dies ist bei den infrage stehenden Schiedsgerichten nicht der Fall.

Widersprüchliche Haltung

Das Argument der Kommission, dass im Binnenmarkt Konzernklagen die Rechtmäßigkeit von Regelungen im öffentlichen Interesse nicht infrage stellen dürfen, ist vollinhaltlich zu unterstützen. Wie können dann aber privilegierte Klagerechte im Außenverhältnis der EU gerechtfertigt werden? Warum soll U.S.-Steel die Slowakei – bei identem Sachverhalt wie im Fall Micula gegen Rumänien – verklagen können, während die Kommission dies bei Micula bekämpft? Die widersprüchliche Haltung der EU-Kommission zeigt klar, dass sie im Außenverhältnis die Interessen der europäischen Industrie, Finanz und Anwaltskanzleien vertritt, während sie bei demselben Sachverhalt im Binnenmarkt ein völlig anderes Lied singt.

1 Siehe hierzu: Recent developments in investorstate dispute settlement, in: UNCTAD IIA Issue Note No 1, April 2014. Die registrierten ICSID-Fälle sind aber nur die Spitze des Eisbergs, da andere Schiedsgerichtsverfahren keine Transparenz vorsehen.
2 TTIP steht für Transatlantic Trade and Investment Partnership und wird zwischen der EU und den USA derzeit verhandelt.
3 CETA steht für Canadian European Trade Agreement, also für das EU-Kanada-Handels- und Investitionsabkommen, die Verhandlungen zwischen Kanada und der EU wurden Ende September als abgeschlossen erklärt.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorinnen elisabeth.beer@akwien.at und susanne.wixforth@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum