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Symbolbild zum Bericht In Österreich wird kaum gestreikt. Gerade in dieser konfliktarmen Grundsituation wird das Recht zu streiken massiv infrage gestellt.
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Streik: Ja, dürfen die das denn?

Schwerpunkt

Wenn in Österreich einmal gestreikt wird, wird mit Sanktionen bis hin zur Entlassung gedroht. Doch das ist unzulässig, denn Streik ist ein Menschenrecht.

In Österreich wird kaum gestreikt, wie uns auch ein Blick auf die vom ÖGB geführte Streikstatistik zeigt. Viele der Nullerjahre kamen sogar ohne eine einzige Streikstunde aus. Einzig 2003 ist aufgrund weitläufiger Streiks gegen die schwarz-blauen „Reformen“ mit über zehn Millionen Streikstunden der Ausreißer. Einer der Gründe dafür, dass es in Österreich selten notwendig ist, zum Streik als Kampfmaßnahme zu greifen, ist eine im Großen und Ganzen funktionierende Sozialpartnerschaft und eine nahezu 100-prozentige Kollektivvertragsabdeckung. Doch gerade in dieser konfliktarmen Grundsituation wird das Recht zu streiken nach wie vor massiv infrage gestellt.

Gespenst fehlendes Streikrecht
2014 streikten die Beschäftigten der KBA Mödling gegen den geplanten Abbau von bis zu 460 Stellen. Bereits im Vorfeld ließ der Vorstand der KBA die Beschäftigten wissen: Wer streikt, hat neben hohen Schadenersatzforderungen auch mit einer fristlosen Entlassung zu rechnen. Man berief sich darauf, dass dies keine Drohung sei, sondern lediglich eine Information. Schließlich gebe es in Österreich im Gegensatz zu Deutschland kein Streikrecht. Die Entlassung – die fristlose Beendigung des Dienstverhältnisses – und damit der Verlust wesentlicher Ansprüche wie zum Beispiel der Abfertigung als logische Konsequenz einer Streikteilnahme?
Das Informationsschreiben des KBA-Vorstands ist kein Einzelfall: Auch auf der Website der Wirtschaftskammer Österreich wird darauf hingewiesen, dass streikende ArbeitnehmerInnen ihren Arbeitsvertrag brechen und daher unter Umständen auch entlassen werden können.
Tatsächlich herrschte in Österreich unter ArbeitsrechtsexpertInnen lange die sogenannte „Trennungstheorie“ vor: Das Recht auf Streik – also das grundrechtlich abgesicherte Recht, an einem rechtmäßigen Streik teilzunehmen – sei streng von den arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu trennen. In der Gewerbeordnung (für ArbeiterInnnen) sowie im Angestelltengesetz (für Angestellte) sind die Bedingungen festgehalten, unter denen das Dienstverhältnis fristlos beendet werden kann. So unter anderem auch dann, wenn der/die ArbeitnehmerIn unberechtigterweise der Arbeit fernbleibt. Diese Bestimmungen werden nun herangezogen, wenn es darum geht, Angst zu verbreiten und ArbeitnehmerInnen sowie Gewerkschaften an der Ausübung ihrer Rechte zu hindern.
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gibt es in Österreich in der Tat kein gesetzlich festgeschriebenes „Streikrecht“. Man spricht davon, dass sich der Staat als Gesetzgeber dem Streik gegenüber neutral verhält. Er trifft lediglich in Randbereichen Regelungen, wie beispielsweise das gesetzliche Verbot, bestreikten Betrieben Leiharbeitskäfte zu überlassen oder für solche Betriebe Beschäftigungsbewilligungen zu erteilen. „Es gibt kein Streikrecht. Dieses Recht ist verfassungsrechtlich nicht abgesichert“, wurde Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer noch 2014 von der APA zitiert. Vor allem aufgrund der Entwicklungen auf internationaler Ebene sind die Ansichten, Streik wäre entweder nicht erlaubt oder aber zulässig, jedoch jederzeit mit Disziplinarmaßnahmen sanktionierbar, überholt.

Volle Geltung
Eines der wichtigsten Instrumente zum Schutz der Menschenrechte ist die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). In Österreich gilt sie seit 1958 und steht seitdem in Verfassungsrang. Art. 11 der EMRK garantiert neben der Versammlungsfreiheit auch die sogenannte Koalitionsfreiheit, das Recht, Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten. Zwar ist es dem Gesetzgeber möglich, dieses Grundrecht einzuschränken, soweit dies in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist.
Ist nun die Rede davon, dass es in Österreich kein „Streikrecht“ gibt, kann dies nur bedeuten, dass der Gesetzgeber von seinen – engen – Möglichkeiten, das Grundrecht einzuschränken, bis dato keinen Gebrauch gemacht hat und dieses daher voll zur Geltung kommt. Über die Einhaltung der Konvention wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg. Bereits in der Vergangenheit hat er wiederholt festgehalten, dass ein wesentlicher Bestandteil der Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften das Recht ist, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Das ist nun weiter nicht spektakulär, schließlich wäre das Recht auf Gewerkschaftsbildung andernfalls recht hohl. Unmittelbar stellt sich aber nur die Frage: Was sind denn die legitimen Mittel, um diese Interessen effektiv vertreten zu können? Gehört hier Streik – als äußerstes Mittel – genauso dazu und ist er damit also grundrechtlich geschützt? In mehreren älteren Entscheidungen hat der EGMR dies bewusst offengelassen. Er hatte die komfortable Position, dass er Fälle aus Schweden und Großbritannien beurteilen musste – Länder, in denen die gewerkschaftlichen Rechte sehr stark verankert sind und wo nach Meinung des EGMR auch andere Wege (abseits des Streiks) zur Interessenvertretung offen blieben.

Verstoß gegen Grundrechte
2009 hatte sich der EGMR allerdings innerhalb kurzer Zeit mit mehreren Vorwürfen aus dem öffentlichen Dienst in der Türkei auseinanderzusetzen. Bis vor wenigen Jahren war es hier nicht einmal zulässig, Gewerkschaften zu gründen. Nach einer Gesetzesänderung wurde dies zwar erlaubt, die Gewerkschaften durften aber weiterhin keinen Kollektivvertrag abschließen. Dagegen reichten Herr Demir und Frau Baykara von der Gewerkschaft Tüm Bel Sen erfolgreich Beschwerde beim EGMR ein.
Noch im selben Jahr lag der nächste türkische Anlassfall auf den Tischen der Menschenrechts-RichterInnen: Mitglieder der ebenfalls im öffentlichen Dienst tätigen Gewerkschaft Enerji Yapi-Yol Sen wurden aufgrund einer Streikteilnahme disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen. Ein Verstoß gegen die Grundrechte des Art. 11, wie der EGMR feststellte.
Diese Entscheidungen wurden auch in Österreich viel diskutiert, da der EGMR erstmals nicht nur das Recht auf kollektive Verhandlungen, sondern insbesondere auch das Recht auf Streik als Teil des Grundrechts auf Koalitionsfreiheit nannte. Welche gewerkschaftlichen (Kampf-)Mittel menschenrechtlich geschützt sind, ist im internationalen Kontext bereits wiederholt beantwortet worden. Sowohl die entsprechende Kernarbeitsnorm der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als auch die Europäische Sozialcharta anerkennen eine ganze Bandbreite dieser Rechte: vom Kollektivvertragsabschluss bis hin zum Streik. Genau in diesem Lichte müsse auch die EMRK gesehen werden, um ein Auseinanderklaffen von Menschenrechten im internationalen Kontext zu verhindern.

Während hierzulande noch diskutiert wird, welche Auswirkungen die türkischen Entscheidungen auf die österreichische „Trennungstheorie“ haben, hat der EGMR seine Position, dass Streik ein Grundrecht nach Art. 11 der EMRK ist, weiter bekräftigt. Im Fall der Ukrainin Yekaterina Trofimchuck hat er explizit die Entlassung aufgrund einer Streikteilnahme als unmittelbaren Eingriff in die Versammlungsfreiheit angesehen. 2014, just in jenem Jahr, in dem die KollegInnen der KBA unter Entlassungsandrohung um ihre Arbeitsplätze kämpften, wurde in Straßburg ein weiteres wesentliches Urteil gefällt: Die britische Transportgewerkschaft RMT hatte gegen eine Anzahl von in Großbritannien geregelten Einschränkungen zur Ausübung des Streikrechts Beschwerde eingereicht. Deutlich wie nie zuvor hielt der EGMR auch hier fest: Streik ist ein von Art. 11 geschütztes Grundrecht und darf nur unter sehr engen Voraussetzungen eingeschränkt werden.

Nicht mehr haltbar
Die österreichische „Trennungstheorie“ ist damit nicht mehr haltbar. Es ist an der Zeit, den vermeintlichen Richtungsstreit zu begraben und die Grund- und Menschenrechte der ArbeitnehmerInnen endlich anzuerkennen. Die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik darf weder zu disziplinarrechtlichen Maßnahmen oder gar der Entlassung führen, noch können durch die bloße Teilnahme Schadenersatzforderungen, zum Beispiel wegen eines Produktionsausfalls, entstehen.

Webtipps:
Kampagne: Hände weg von unserem Streikrecht
www.ituc-csi.org/18feb

Buchtipp:
www.arbeit-recht-soziales.at/das-ende-streikrechts 
 
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susanne.haslinger@proge.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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