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ZuwanderInnen haben oft mit sehr fragwürdigen Arbeitsbedingungen zu kämpfen, weil sie nicht ausreichend über ihre Rechte und Pflichten informiert sind. Um dem entgegenzuwirken, bietet der ÖGB seit vielen Jahren Beratungen in verschiedenen Sprachen an.
Buchtipp

Säuberung eines Berufsstands

Schwerpunkt

Nationalsozialisten, die nach dem Zweiten Weltkrieg keine mehr sein dürfen, und politische Lager, die Zigtausende reintegrieren. Nur wenige wehrten sich.

In den Nachkriegsjahren hieß es, mit dem breiten braunen Bodensatz zurechtzukommen, allzu viele liebäugelten damit, nur wenige hingegen schmähten ihn, so etwa der Gründer der Österreichischen Bühnengewerkschaft Aurel Nowotny und der Gewerkschafter und Widerstandskämpfer Karl Rössel-Majdan. Doch zu ihnen später.

Reintegration

Im Jahr 1947 gab es in Österreich 535.662 registrierte Nazis – damals 15 Prozent der Bevölkerung. Eine riesige Gruppe ohne Wahlrecht, die – zu Recht – mit Sühnefolgen bis hin zu Kriegsverbrecher- und Verbotsprozessen konfrontiert war. Trotz allem kam es zur Reintegration „minderbelasteter“ und „belasteter“ NSDAP-Mitglieder und damit zu Karrieren in Parteien und Institutionen, die längst nicht alle aufgearbeitet sind. Mit dem einsetzenden Kalten Krieg ging auch im ÖGB ein Orientierungswechsel in Richtung Reintegration vor sich. „Generell lässt sich sagen, dass die Sozialdemokratie den Kurs, den Adolf Schärf schon seit 1945 forcierte, nämlich Opportunisten den Wiedereintritt in die Partei zu ermöglichen, auf eine Art als Parteilinie übernahm, die über die Sozialdemokratische Fraktion zur Gewerkschaftslinie wurde“, erklärt Historiker und Publizist Fritz Keller. Die Geschichte der österreichischen und internationalen Gewerkschaftsbewegung gehört zu seinen Forschungsschwerpunkten. Keller macht deutlich, wer hier überhaupt wieder eingegliedert wurde: „Die NSDAP war keine Organisation, wie wir uns heute eine Partei vorstellen. Es war eine Kaderorganisation, wo eine Aufnahmeprüfung mit einem theoretischen und einem praktischen Teil abgelegt werden musste. Mit Opportunisten hatte die Organisation keine Freude, im März 1938 Beigetretene erhielten etwa spezielle Parteimitgliedsnummern, an denen man sofort erkennen konnte, der ist ein Märzveigerl.“
Mit der Eingliederung von Nazis zerbrach der „Geist der Lagerstraße“, der für die Überwindung traditioneller Feindschaft zwischen den politischen Lagern nach 1945 steht und auch die Einheit des Antifaschismus. Fritz Keller: „Die Organisation des ÖGB splittete sich auf in eine kommunistische Fraktion der Gewerkschaftlichen Einheit, die weiterhin auf diesem Antifaschismus beharrte, und eine sozialdemokratische Fraktion, die dem internationalen Bund der freien Gewerkschaften angehörte und die verstärkt auf Elitenkontinuität und Antikommunismus setzte.“

Entnazifizierung

Einen deutlichen Gegenpol derartiger Bestrebungen bildet allerdings die spätere KMSfB (Kunst, Medien, Sport, freie Berufe). „Ein sehr signifikantes Beispiel der Entnazifizierung im ÖGB ist die Gewerkschaft der Angestellten der freien Berufe“, weiß Keller. Aurel Nowotny, Schauspieler und Gewerkschafter, baute erst die Sektion Bühnenangehörige neu auf und bereits am 15. Oktober 1945 fand die konstituierende Sitzung des ersten Vorstandes der Gewerkschaft der Angestellten der freien Berufe statt. 1881 als Sohn eines Bauern in Sissek (heute Sisak, Kroatien) geboren, spielte Nowotny u. a. am Burgtheater und in zahlreichen Filmen, führte Regie in Berlin und kümmerte sich ab 1930 als Mitarbeiter der Radio Verkehrs AG (RAVAG) um Hörspiele. Während des Zweiten Weltkrieges musste er – seine Ehefrau entsprach nicht den „Rasse-Gesetzen“ des Nazi-Regimes – als Hilfsarbeiter in der Rüstungsindustrie arbeiten und löste nach Kriegsende sofort die österreichische Zweigstelle der Reichstheaterkammer auf. Die erste Vollversammlung wählte ihn 1947 zum Präsidenten der Österreichischen Bühnengewerkschaft.

„Rücksichtsloseste Säuberung“

Eine Resolution am ersten Gewerkschaftstag 1947 (Zentralorgan der Angestellten der Freien Berufe) erklärte: „Die hohe Kulturmission von Theater und Musik in einem demokratischen Staat erfordert jedoch kategorisch die rücksichtsloseste Säuberung des Berufsstandes von all jenen Elementen, die eine mit dieser unvereinbare Haltung im Dienste der nationalsozialistischen Ideologie eingenommen haben, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehört haben.“ Noch im gleichen Jahr verstarb Nowotny.

Bestrafung von Widerstandskämpfern

Fritz Keller: „In der Gewerkschaft der Angestellten der freien Berufe verband sich ein konservativer Widerstand rund um die Gruppe 05 mit einer Gewerkschaftsidee, in der Substanz auch mit einer konservativen Ideologie. Diese Bündelung von Widerstand und Entnazifizierung fand seinen Niederschlag in der Resolution. Es wird gefordert, dass selbst die Sympathie für die Nazis bestraft wird.“ So weitreichend diese Positionierung war, so schnell verabschiedete man sich wieder davon: „Das wendet sich unheimlich schnell – auch in der Praxis – derart, dass die Widerstandskämpfer bestraft werden“, so Keller. Dies musste Karl Rössel-Majdan nach dem Zweiten Weltkrieg bitter zur Kenntnis nehmen. Er wurde 1916 als Sohn eines Opernsängers in Wien geboren, baute nach dem „Anschluss“ eine illegale Studentengruppe auf und begründete 1938 die „Großösterreichische Freiheitsbewegung“ (05) mit. Zur Wehrmacht eingezogen, setzte Rössel-Majdan seine Informationstätigkeit für die Widerstandsbewegung fort, wurde 1940 verhaftet und in einem Volksgerichtshof-Prozess 1944 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Der spätere Kulturwissenschafter konnte aus dem Zwangsarbeiterlager Wien-Lobau flüchten, bis Kriegsende als U-Boot überleben und sich an den Kämpfen in Wien beteiligen. Ab 1946 arbeitete Rössel-Majdan beim ORF, unter anderem als wissenschaftlicher Referent, später als Kurzwellendienst-Hauptabteilungsleiter. In seiner Funktion als Leiter des Personalreferats entließ er 1947 einen ehemaligen Nationalsozialisten, und zwar trotz sowjetischer Besatzungsmacht, bei der sich dieser rückversichert hatte. In einem gekränkten Brief wendet sich Rössel-Majdan im Juli 1947 ausgerechnet an den damaligen Bundespräsidenten Karl Renner: „Trotz meiner Eigenschaft als politisch gemaßregelter Professor und Besitzer der Amtsbescheinigung als Opfer des Freiheitskampfes bin ich heute, 2 1/2 Jahre nach der Befreiung, noch nicht pragmatisiert und beziehe immer noch einen Vertragsgehalt, der bedeutend niedriger ist als der meiner Kollegen, die als Pg (Anm. Parteigenosse) oder als Kollaborateur während der Hitlerzeit im Amt geblieben sind … Es liegt also die groteske Tatsache vor, dass ein aufrechter treuer Österreicher, der zugleich als Freiheitskämpfer zu den schwersten Naziopfern gezählt werden muss, in materieller und moralischer Hinsicht heute noch schlechter behandelt wird als ein Pg und somit förmlich für seine unwandelbare Treue bestraft wird, 2 1/2 Jahre nach der Befreiung!“ (Siehe Bild oben.) Ob der Widerstandskämpfer eine Antwort des Bundespräsidenten erhielt, ist unbekannt – an seiner Situation änderte sich nichts.
Für Historiker Keller ist allein der Adressat reichlich Anlass für Verwunderung: „Ich finde den Brief schon sehr eindrucksvoll, weil er das ganze Ambiente rundherum zeigt, wie man Widerstandskämpfer, die beim Volksgerichtshof waren, wirklich behandelt hat und auch nicht imstande war, etwas Produktives mit ihnen anzufangen, sondern versucht hat, sie an den Rand des ÖGB zu drängen.“

Grenzgänger

Unter Gerd Bacher wird Rössel-Majdan 1969 abgesetzt – die KMSfB hatte unter anderem eine Dokumentation über die Gesetzes- und Vertragsverletzungen von Bacher veröffentlicht. Ende 1970 wurde Karl Rössel-Majdan als Quereinsteiger Vorsitzender der KMSfB und blieb es 16 Jahre lang – er starb 2000.
„Für Grenzgänger zwischen diesen beiden Lagern – Kommunisten mit dem Weltgewerkschaftsbund auf der einen und Sozialdemokraten mit dem Internationalen Bund freie Gewerkschaften auf der anderen Seite – gab es kaum Platz“, erklärt Fritz Keller. „Die konservativen Widerständler in der Gewerkschaft der Angestellten der freien Berufe wurden mehr und mehr isoliert und es war eigentlich kein Raum mehr für sie in der Struktur der Nachkriegszeit. Der Brief von Rössel-Majdan an Renner macht das deutlich, es wird gezeigt, wie die Isolation solcher Grenzgänger voranschreitet. Und die Normalität, die Elitenkontinuität, erhielt immer größeren Zulauf und Zuspruch.“

Internet:
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands/DÖW
Karl Rössel-Majdan: Handschlag genügt:
tinyurl.com/nsc73xd

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