topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Haus Ebendorferstraße 7 Haus Ebendorferstraße 7
Mahnmal für das Kind, Wien-Westbahnhof Mahnmal für das Kind, Wien-Westbahnhof

Im Gehen lernen …

Schwerpunkt

Stadtspaziergänge eröffnen Pfade abseits von Herrschaftskultur. Eine Tour durch Wien auf den Spuren von 70 Jahren ÖGB.

Stadtspaziergänge haben sich einen fixen Platz in der öffentlichen Erinnerungskultur erobert. Anders als die klassischen touristischen Führungen beschreiten die TeilnehmerInnen Wege abseits jener Pfade, die sich der Herrschaftskultur widmen. Was bisher noch fehlte, ist ein spezieller Rundgang zur Geschichte des ÖGB. Was lag daher näher, als zum 70. Geburtstag des ÖGB einen solchen zu entwickeln?

Jubiläumsspaziergang

Passend zum Jubiläum widmet sich der erste Spaziergang den Anfängen des Österreichischen Gewerkschaftsbundes im April 1945. Ausgangspunkt ist der Westbahnhof, an dem die Gründungsversammlung stattfand. Nächster Schauplatz ist das ehemalige Wohnhaus des Baugewerkschafters Josef Battisti, in dem die ersten Vorbereitungstreffen vonstattengingen. Weiter geht es zur ersten ÖGB-Zentrale in der Ebendorferstraße hinter der Universität Wien, den Abschluss bildet das Denkmal der Republik neben dem Parlament.
Der Weg vom Westbahnhof durch den siebenten Wiener Gemeindebezirk bis zum Parlament ist geradezu dafür prädestiniert, exemplarisch Wirkungsstätten und Ereignisse gewerkschaftlichen Engagements zu verknüpfen und einen Bogen von den Anfangszeiten bis in die Gegenwart zu spannen.

Die Stationen im Detail:

Westbahnhof
Während in Wien noch gekämpft wurde, organisierten einige Gewerkschafter innerhalb weniger Tage eine Versammlung von sozialistischen, kommunistischen und christlichen Gewerkschaftern, die am 15. April 1945 stattfand.
Ein Eisenbahngewerkschafter hatte den einzigen noch benutzbaren Saal im Direktionsgebäude des schwer beschädigten Bahnhofs als Versammlungsort vorgeschlagen. Die Gewerkschafter (es waren tatsächlich lauter Männer) beschlossen dort die Gründung eines überparteilichen Gewerkschaftsbundes und ein erstes Statut. Zum provisorischen ersten Vorsitzenden wurde der ehemalige Vorsitzende der freien Baugewerkschaft, Johann Böhm, vorgeschlagen. Am 30. April 1945 erteilte die sowjetische Militärkommandantur die offizielle Bewilligung (siehe auch „Immer herausgefordert“ sowie „ÖGB kämpft für AK“).
Für zahlreiche GewerkschafterInnen endeten in diesen Tagen jahrelange Verfolgung und Illegalität. Viele von ihnen bezahlten ihre politische Gesinnung mit ihrem Leben: Am 1. April 1938 fuhr vom Westbahnhof der erste Transport mit österreichischen Häftlingen – zynischerweise als „Prominententransport“ bezeichnet – ins Konzentrationslager Dachau ab. Unter ihnen waren Gewerkschafter wie Franz Olah, Robert Danneberg und Johann Staud. Ab Mai 1938 begann hier auch für Tausende Juden und Jüdinnen die Reise in den Tod.
Der Bahnhof gibt auch Einblick in die Geschichte der Bahn in Österreich, der Gewerkschaft der Eisenbahner und ihre Rolle im Widerstand vor und während der Nazidiktatur.

Kenyongasse 3
Nicht weit vom Westbahnhof liegt die Kenyongasse. Im Haus Nummer 3 befand sich die Wohnung des Sekretärs der ehemaligen freien Baugewerkschaft, Josef Battisti. Am 11. April 1945 wurde er von Johann Böhm besucht. Der wollte wissen, wie das Ehepaar Battisti die Kämpfe in Wien überstanden hatte. Bald darauf trafen zwei weitere Mitarbeiter der ehemaligen Baugewerkschaft, Franz Pfeffer und Anton Vitzthum, ein. Aus diesem Besuch wurden tägliche Zusammenkünfte mit einer stetig steigenden Anzahl an Teilnehmern. Schließlich wurde hier die Gründungsversammlung am Westbahnhof vorbereitet. Wer an dem Spaziergang teilnimmt, erfährt auch etwas über die Hintergründe eines keineswegs friktionsfreien parteiübergreifenden Zusammenschlusses und die Positionierung Johann Böhms.

Schottenfeldgasse 24
Wir bleiben in Neubau. Im 19. Jahrhundert war der Bezirk noch Vorstadt, das Stadtbild war geprägt von Gewerbebetrieben und Fabriken. Damit war das Gebiet auch der Lebensmittelpunkt vieler ArbeiterInnen. Folgerichtig wurde er damit zum Standort mehrerer Gewerkschaftshäuser mit sehr wechselvoller Geschichte.
Exemplarisch ist hier das Haus der Österreichischen Baugewerkschaft in der Schottenfeldgasse 24 zu nennen. Die freie Baugewerkschaft (Vorsitzender Johann Böhm) schlug hier im Jahr 1929 ihre Zelte auf. Fünf Jahre später wurden die sozialdemokratischen Gewerkschaften verboten und in die Illegalität gedrängt. 1934 musste das Haus an den Einheitsgewerkschaftsbund abgetreten werden und von 1938 bis 1945 waren hier Büros der nationalsozialistischen „Deutschen Arbeitsfront“. Am 13. April 1945 klärte Josef Battisti mit einem Schild, auf dem „Eigentum der Gewerkschaft“ stand, die Besitzverhältnisse nach dem Krieg. Bis 1960 waren diese Mauern der Sitz der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter. Franz Olah, Vorsitzender ab 1949, hatte hier sein Büro, als er im Zuge des Oktoberstreiks 1950 die Gegenmaßnahmen organisierte.

Ebendorferstraße 7
Bereits in der Ersten Republik wurde dieses Haus von der 1920 gegründeten Arbeiterkammer sowie der Gewerkschaftskommission bzw. dem Bund der Freien Gewerkschaften Österreichs genutzt. Von den ÖGB-Gründungstagen bis 1948 diente es als erste ÖGB-Zentrale und Sitz der Arbeiterkammer. Auch diese Räumlichkeiten wurden zwischen 1934 und 1945 vom „Einheitsgewerkschaftsbund“ sowie der nationalsozialistischen DAF usurpiert. Am 30. April 1945 konstituierte sich hier der erste provisorische ÖGB-Bundesvorstand, der aus 27 Personen bestand (Siehe Bild oben)
Mit dem gewerkschaftlichen Stadtspaziergang soll ein Verbindungsstück zwischen privater und öffentlicher Erinnerungskultur geschaffen werden. Uns wohlbekannte Gebäude, Straßen, Denkmäler oder Parks, also das vertraute Erinnern im Alltäglichen macht noch keine Erinnerungskultur aus. Die Chance, die ein Stadtspaziergang bietet, ist die Antwort auf die Frage „Was hat das mit mir zu tun?“. Das Verorten Einzelner in einen größeren – in diesem Fall politischen – Zusammenhang soll eine Brücke schlagen zwischen der persönlichen Betroffenheit und einem kollektiven Geschichtsbewusstsein.
Lernen führt über viele Wege, macht Schleifen und manchmal Umwege, aber eines steht fest: Wir lernen im Vorwärtsgehen!

Die Vorgeschichte

In Kooperation von KollegInnen aus dem ÖGB (VÖGB, Kommunikation, Archiv, Internationales und ÖGB-Verlag) entstand die Idee, all jene Orte in Wien zusammenzutragen, die Vergangenheit und Gegenwart der Gewerkschaftsbewegung in einen Kontext stellen. Um die zahlreichen Informationen zu strukturieren, wurden Orte, Plätze und Straßen in einer Datenbank zusammengefasst. Diese Datenbank wird im Lauf des heurigen Jahres weiter ausgebaut und bildet die Basis für unterschiedliche Routen, die später über die Website des VÖGB abrufbar sein sollen. Damit können zukünftig auch individuelle Routen – etwa für einen speziellen Stadtteil oder nach Schwerpunkten – erstellt werden.

Schreiben Sie Ihre Meinung
an die Autorinnen
alexa.jirez@oegb.at
sabine.letz@oegb.at
friederike.scherr@oegb.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Info&news
Die Gründungsroute können Interessierte entweder im Alleingang erkunden oder in einer Gruppe, die der VÖGB mit Guides organisiert. Zu dieser speziellen Route gibt es einen eigenen Stadtplan mit Erläuterungen sowie Online-Beschreibungen und Hintergrundinfos auf der VÖGB-Website.
Gewerkschaftliche Spaziergänge – die Angebote im Überblick:
Ab 15. April 2015:

Geführte Gründungsroute 70 Jahre ÖGB – Termine über kultur@oegb.at
Online-Route unter www.voegb.at
Kommentierter Stadtplan zur Gründungsroute als Download auf www.voegb.at oder als Druckversion zu bestellen unter kultur@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum