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Symbolbild zum Bericht Die österreichische Gesellschaft ist keineswegs wie eine Zwiebel strukturiert, die von einer breiten "Mitte" getragen wird. Diese "Mitte" gibt es nämlich nicht. Oben und unten sind stark polarisiert.

Klassengesellschaft Österreich

Schwerpunkt

Nicht nur bei Angriffen auf die Gewerkschaften taucht der Klassenbegriff in Österreich wieder auf. Auch die Sozialwissenschaft gibt neue Einblicke.

In ihrer Broschüre „Reichtum, Armut & Umverteilung in Österreich. Fakten und Mythen“ verweist die Industriellenvereinigung Fakten wie die Einkommensschere oder sinkende Reallöhne ins Reich gewerkschaftlicher Fantasien. Gleich auf dem Titelblatt der Publikation geht es mit einem Zitat von Abraham Lincoln sehr grundsätzlich – und in Wahrheit polemisch – zur Sache: „Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem Ihr die Starken schwächt (…). Ihr werdet keine Brüderlichkeit schaffen, indem Ihr Klassenhass schürt (…).“ Lincolns Zitat stammt bemerkenswerterweise aus einer Zeit, in der bereits wichtige Teile der ArbeiterInnenbewegung den Klassenbegriff für sich „entdeckt“ hatten.

Klassenkampf?

Über die Erkenntnis, welche unterschiedlichen Interessen aus der Lohnabhängigkeit bzw. aus dem Besitz von Produktionsmitteln resultieren, wurden schließlich moderne Gewerkschaftsorganisationen aufgebaut. Mit dem Vorwurf, durch Verteilungsdiskussionen im Kapitalismus künstlich „Klassenhass“ zu schüren, wurde immer wieder versucht, die Legitimität gewerkschaftlichen Handelns infrage zu stellen. Die Propagandaschrift der Industriellenvereinigung fällt in eine Periode, in der sich der ÖGB massiv mit dem Vorwurf auseinandersetzen muss, durch die Forderung nach Vermögenssteuern den „Klassenkampf“ wieder aus der Mottenkiste zu holen. Tatsächlich galt allein die Vorstellung der Existenz von „Klassen“, also von unterschiedlichen Menschengruppen mit stark festgefügten, gemeinsamen sozialen Merkmalen, bis vor wenigen Jahren in Europa als überholt. Steigender Wohlstand und Reformen im Bildungssystem schienen vor allem in den 1970ern auch in Österreich den Aufstieg für alle zu ermöglichen. Die Deindustrialisierung Europas, Veränderungen am Arbeitsmarkt und die neoliberale Offensive in den 1980ern und 1990ern schwächten nicht nur traditionelle „Klasseninstitutionen“. Nach dem Sieg von Margaret Thatcher über die Gewerkschaften begannen sich schließlich sogar große Teile der traditionsbewussten ArbeiterInnen Großbritanniens nicht mehr als Teil einer gemeinsamen Klasse zu fühlen. Doch die Idee einer in vielfältige Milieus und Individuen zersplitterten Gesellschaft hat spätestens mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und ihren Folgen einen deutlichen Rückschlag erlebt. Themen wie die Verteilung von Besitz und Vermögen sowie vor allem die Abkoppelung der Eliten stehen seitdem stark im Fokus öffentlicher Debatten.
In ihrem Artikel „Klassenlagen und Vermögensbildung“ setzen die Autorinnen Julia Hofmann und Hilde Weiss das Thema Vermögen in Österreich in einen Zusammenhang zur jeweiligen beruflichen Tätigkeit bzw. Position. Sie unterscheiden dabei sieben soziale Klassenlagen österreichischer Haushalte, je nach dem dort vorhandenen höchsten beruflichen Status: unqualifizierte manuell Arbeitende; qualifizierte manuell Arbeitende; einfache Angestellte und BeamtInnen; Selbstständige mit niedrigerer Qualifikation und ohne Beschäftigte; Angestellte und BeamtInnen mit mittlerer Qualifikation (untere Dienstklasse); höhere und leitende Angestellte und BeamtInnen mit hoher Qualifikation; Top-ManagerInnen, UnternehmerInnen und LandwirtInnen mit Beschäftigten. Bemerkenswert dabei ist: Trotz dieses „vielschichtigen“ Klassenschemas sind auch die „klassischen“ Unterschiede zwischen „Oben“ und „Unten“ im österreichischen Kapitalismus erkennbar. So konzentrieren sich hohe Vermögenswerte nicht einfach nur auf relativ kleine Teile der Bevölkerung, sondern auf eine bzw. zwei ganz bestimmte Klasse(n). Um es mit Weiss und Hofmann zu sagen: Fast ein Drittel der UnternehmerInnen mit Beschäftigten bzw. Top-ManagerInnen verfügt über ein Netto-Vermögen von über einer Million Euro. Bei den UnternehmerInnen ohne Beschäftigte sind es 13,1 Prozent.

MillionärInnen in der „Minderheit“

In allen anderen fünf „Klassenlagen“ in Österreich – also den unselbstständig Beschäftigten – stellen die MillionärInnen einen Anteil von unter fünf Prozent. In Zahlen: Insgesamt gibt es rund 140.000 Berufstätige mit einem Nettovermögen von mehr als einer Million Euro. Davon sind 79.000 Personen aus den beiden Selbstständigen-Klassen und stellen damit die Mehrheit gegenüber den rund 61.000 Millionären aus den fünf „Klassen“ der unselbstständig Beschäftigten. Anders ausgedrückt: Die Mehrheit der (berufstätigen) MillionärInnen ist bei der Minderheit der UnternehmerInnen bzw. ManagerInnen zu finden. Noch dazu verfügt nur in dieser Klasse die absolute Mehrheit über ein Vermögen von über 250.000 Euro. Auch wenn sich die Klassenzusammensetzung bei den unselbstständig Beschäftigten vor allem durch den Rückgang der manuell Arbeitenden stark verändert hat, ist die österreichische Gesellschaft also keineswegs wie eine Zwiebel strukturiert, die von einer breiten „Mitte“ getragen wird. Eben diese breite Mitte gibt es in Österreich nämlich nicht. Auch Segmente, die man bisher als Brücke zwischen „Oben“ und „Unten“ betrachtete, erweisen sich als stark polarisiert. So sind zwar bei den kleinen Selbstständigen, also jenen ohne Beschäftigte, die MillionärInnen stark vertreten. Allerdings besitzt fast ein Drittel in dieser „Klasse“ weniger als 80.000 Euro und gehört somit zum unteren Rand. Ebenso signalisiert die Position der FacharbeiterInnen heute weder Aufstieg noch Übergang zur „Mitte“: Gemeinsam mit den unqualifizierten ArbeiterInnen, gefolgt von den einfachen Angestellten und BeamtInnen gehören sie zu den untersten Klassenlagen. Bei dieser – zusammengerechnet – größten Gruppe besitzen rund 60 Prozent ebenfalls nicht einmal 80.000 Euro an Finanz- oder Sachvermögen und bewohnen in der Regel z. B. weder ein eigenes Haus noch eine eigene Wohnung als Hauptwohnsitz.
Trotz des Vorhandenseins solch eindeutiger Klassenlagen finden diese insbesondere im Bereich der Vermögensforschung momentan wenig Beachtung, lautet der Befund von Hofmann und Weiss. Dies sei umso bedauerlicher, weil sich „die beiden gesellschaftlichen Randbereiche (Armut und Reichtum) gegenseitig bedingen“. Dass Niedriglöhne und Superreichtum letztlich Symptome klassengesellschaftlicher Verhältnisse sind, deckt sich auch mit den Wahrnehmun-gen von GewerkschafterInnen. So betont Senad Lacevic, Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrates der VHS Wien: „Angriffe auf ArbeitnehmerInnenrechte und auf das Sozial-, Pensions- und Bildungssystem sind nichts anderes als ein von oben geführter Klassenkampf.“

Kämpferische Gewerkschaft wichtig

Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich ein Projekt der Marx-Engels-Stiftung mit solchen Fragen, nämlich der „Klassenanalyse“ der deutschen Gesellschaft1. Gesammelt werden hier nicht nur genauere Daten zur Klassenzusammensetzung in Deutschland. Ebenso diskutieren ForscherInnen und GewerkschafterInnen laufend die entsprechenden politischen Konsequenzen: Welche Machtverschiebungen ergeben sich, wenn „prekäre“ Arbeitsverhältnisse auskömmliche Beschäftigung mehr und mehr ersetzen, Vollerwerbsstellen nicht mehr zum Leben ausreichen und eventuell auch noch die Arbeitslosigkeit steigt? Die so entstehende alte, neue Unsicherheit empfindet auch Irene Mötzl vom Betriebsrat Wohnservice Wien als allgemeine Stimmungslage in der „Klasse“: „Marx’ Definition der ArbeiterInnenklasse als Menschen, die nichts anderes zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft, wird heute wieder in der großen Angst vieler KollegInnen vor Jobverlust deutlich.“ Ebenso nimmt Mötzl wahr, welche Schwierigkeiten sich daraus für selbstbewusstes Handeln von Beschäftigten in Österreich ergeben können: „Aufgrund dieser starken Abhängigkeit werden oft auch Arbeitsrechtsverletzungen und schlechte Löhne hingenommen. Um das zu verhindern, müssen wir uns organisieren und brauchen dafür kämpferische Gewerkschaften.“ Die Erkenntnis, dass aus wieder deutlicheren Klassenlagen somit widersprüchliche Schlussfolgerungen gezogen werden können, ist gerade für die Beteiligten des Projekts Klassenanalyse nicht neu. Einer von dessen Vertretern meint daher, dass die „reale Klasse“ im Grunde nur die „mobilisierte Klasse“ wäre, und plädiert für ein „organisiertes Zentrum der Gegenmacht“2. Haben also ÖGB und AK – in dieser Diktion – durch ihre Kampagnen für Vermögenssteuern dazu beigetragen, dass die „Klasse“ in einer sie betreffenden Frage geistig mobilisiert wurde? Zumindest die hohen Zustimmungswerte in der (arbeitenden) Bevölkerung für diese Forderung weisen jedenfalls darauf hin. Der Vorwurf der Gegenseite an die Gewerkschaften, hier „Klassenkampf“ zu betreiben, scheint aus einer solchen Perspektive demgegenüber verkraftbar, wenn nicht sogar geradezu eine Bestätigung gewerkschaftlichen Handelns.

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1www.marx-engels-stiftung.de/klassenanalyse.html
2 Vgl.: Ekkehard Lieberam, in: Arbeitende Klasse in Deutschland: Macht und Ohnmacht der Lohnarbeiter, Bonn 2011.

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