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Symbolbild zum Bericht Das eigentliche Problem ist sicherlich nicht die Zuwanderung, sondern der Umgang mit Vielfalt.
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Gleichheit mit Vielfalt

Schwerpunkt

Ist es möglich, Differenzen zwischen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und dennoch für Gleichheit einzustehen?

Wenn man „Vielfalt“ in Google eintippt, landet man schnell in der Welt eines tanzenden Regenbogens: bunte Farben und lachende Kinder aller Couleurs, die sich die Hände reichend um die Erdkugel tanzen. Es riecht nach Gutmenschen und WeltverbesserInnen. Dabei ist der Umgang mit Vielfalt und mit Differenzen keiner, der das Herz erwärmt. Denn Vielfalt ist in Österreich und vielen Teilen Europas nur bedingt erwünscht. Die zunehmende Diversität in den Lebensverhältnissen von Menschen wirft die dringliche Frage nach Zusammenhalt unter ethischen, rechtlichen oder sozialpolitischen Aspekten auf. Wie wollen wir mit gesellschaftlicher Vielfalt umgehen? Ist es möglich, Differenzen zwischen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und dennoch für Gleichheit einzustehen? Die Antworten auf diese Fragen bestimmen ein großes Stück weit auch den Umgang mit Migration in Österreich.

Die Macht der Differenz

Vielfalt basiert auf der Unterschiedlichkeit von Menschen. Differenzen, vor allem im Zusammenhang mit Migrationshintergrund, Klasse oder Geschlecht, wirken schon sehr früh prägend auf die Biografie. Die nicht österreichische Herkunft als Differenz geht über unterschiedliche Lebensstile weit hinaus. Vegane Ernährung markiert Differenz in Form eines differenten Lebensstils, hat jedoch kaum sozial relevante Auswirkungen auf die Biografie eines Menschen. Keinen österreichischen Pass zu besitzen markiert hingegen eine Differenz, die Probleme wie Diskriminierung, Rassismus oder Ungleichbehandlung nach sich ziehen kann.
Für die berufliche Entwicklung, die schulischen Bildungschancen oder die Positionierung innerhalb der Gesellschaft ist diese Differenz äußerst relevant. Differenzen sind nicht machtfrei. Sie bedeuten für Menschen, die wir als „anders“ wahrnehmen, oft Benachteiligungen. MigrantInnen sind zum Beispiel überproportional stark von Arbeitslosigkeit betroffen, ihre Qualifikationen werden vielfach nicht anerkannt. Gleiches gilt für Menschen mit einer sexuellen Orientierung, die vom Mainstream abweicht, und auch für Personen mit psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen. „Ursache für diese Diskriminierungen ist häufig nicht einfach individuelles, etwa rassistisch motiviertes Fehlverhalten“, so Robert Reithofer vom Verein Innovative Sozialprojekte (ISOP), „sondern ein strukturelles Ausgrenzungsmuster gegenüber Menschen, die bestimmten Gruppen angehören und damit ‚anders‘ sind.“

„Wir“ und „die anderen“

Individuen oder Gruppen auf eine bestimmte Differenz wie beispielsweise den Migrationshintergrund festzulegen geht einher mit der Konstruktion von „wir“ und „die anderen“. Wir neigen dazu, Menschen, die vom Mainstream abweichen, als „die anderen“ zu bezeichnen und „uns“ als national einheitliche Gesellschaft. Die „anderen“ werden zumeist als homogene Gruppe angesehen, während das „Wir“ bunt und vielfältig ist.

Individualität verkannt

Dieser Zugang verkennt die Individualität von Menschen und steht der Akzeptanz von Vielfalt massiv im Weg. So werden beispielsweise MigrantInnen kollektiv als ungelernte Hilfskräfte in eine Schublade gesteckt – unabhängig von ihren tatsächlichen Qualifikationen. Um die Schublade zu schließen, werden im Ausland erworbene Bildungsabschlüsse einfach nicht anerkannt. „Fakt ist“, so Reithofer, „dass es das ‚Wir‘ und ‚die anderen‘ real nicht gibt. Migrantinnen und Migranten sind so vielfältig wie Österreicherinnen und Österreicher.“ Wer „die anderen“ sind, ist abhängig davon, wo wir gerade unser Augenmerk hinwenden. „Als ich Anfang der Neunzigerjahre mit Antirassismusarbeit in Österreich begonnen habe, lag das Augenmerk auf schwarzen Menschen, die angeblich so anders seien. Das ist abgelöst worden durch die plötzliche internationale Fokussierung auf den Islam“, erzählt der Menschenrechtsexperte Dieter Schindlauer. Unlängst hat er in einem Antirassismus-Seminar im Justizbereich von einem Teilnehmer gehört: „Die Schwarzen sind eh ganz gut ausgebildet, da haben wir keine Probleme. Aber die Tschetschenen, die sind das eigentliche Problem!“ Die Mode hat also umgeschlagen, das Bummerl hat jemand anderer zu tragen. „Wir merken gar nicht, dass wir dasselbe vor zehn Jahren über andere Gruppen gesagt haben, die wir jetzt ganz normal finden“, so Schindlauer.

Migration ist Alltag

„Die anderen“ sind aber längst keine Fiktion einer befristeten Gastarbeiterpolitik mehr, sondern im Alltag verankert. Der österreichische Blick auf Integration ist stark geprägt von der Vorstellung, dass Zuwanderung die Ausnahme ist und nur ein kurzfristiges Phänomen darstellt. Dieses Bild hat nichts mit der Realität zu tun. Gewollt oder nicht – Migration ist Alltag. „Es muss sich rasch was tun, um den vielfältigen Bedürfnissen von Menschen in einer Migrationsgesellschaft gerecht zu werden“, alarmiert der Menschenrechtsexperte. Die Nachfrage nach Arbeitskräften in bestimmten Branchen, weltweite Fluchtbewegungen, die auch Österreich erreichen, Familiennachzug sowie sich vertiefende Prozesse der Globalisierung und Prekarisierung und damit einhergehende Mobilität werden eher zu- als abnehmen. Österreichische Politik verkennt diese Entwicklungen. „Wir wollen hoch qualifizierte Leute über die Rot-Weiß-Rot-Karte nach Österreich holen, die anderen sollen draußen bleiben. Damit verlassen wir uns darauf, dass Immigration ausschließlich über das Asylwesen und über illegale Wege verläuft“, beklagt Schindlauer. Die Hilflosigkeit im Umgang mit Vielfalt manifestiert sich auch in der Sprache. „Wir sprechen in Europa von Lastenverteilung. Gemeint ist: Wo sollen die Menschen hin?“ Schindlauer betont den fehlenden Pioniergeist im Umgang mit Vielfalt: „Wir fokussieren uns auf Probleme und vergessen dabei, die Potenziale zu nutzen.“ Hört die Einwanderungsgesellschaft etwa da auf, wo die Probleme anfangen?

Neue Antworten auf alte Fragen

„Das eigentliche Problem ist sicherlich nicht Zuwanderung“, ist der Menschenrechtsexperte überzeugt, „sondern neue Antworten auf bestimmte Phänomene zu finden.“ Die Arbeitswelt hat sich komplett verändert, Gesellschaften driften auseinander, ebenso Lebensstile. Wie gehen wir mit einer spürbaren globalen Vernetzung um? Wie gehen wir mit Verteilung um? „Das sind die Themen, die nur vorsichtig aufgegriffen werden, weil sie wahnsinnig viel an Nachdenken erfordern. Mehr noch: Sie erfordern ein Umdenken und Mut, sich von überholten Konzepten zu verabschieden“, sagt Schindlauer. Es brauche neue Orientierungen, aber es sei einfacher zu sagen: Die AusländerInnen können wir uns nicht leisten! „Wir müssen bald eine Entscheidung treffen, wie wir uns sehen und wie wir mit Vielfalt umgehen wollen“, so Schindlauer, andernfalls komme es zu schweren Verlusten an Standards. „Wenn wir zulassen, dass mit Flüchtlingen alles Mögliche passiert, das mit Menschenrechten nichts mehr zu tun hat, dann gehen diese Standards nicht nur für ‚die anderen‘ verloren, sondern für alle. Das kennen wir aus der Geschichte.“

Die Illusion vom Regenbogen

Vielfalt im Zusammenhang mit Migration ist kein Regenbogen-Thema. Es glitzert nichts, und so einen Schein zu erwecken ist verlogen. Laut Schindlauer bringe es nichts, nur das Gute an Migration hervorzuheben und zu wiederholen, dass alles gar nicht so schlimm sei. „Es bringt viel mehr, bei sich anzusetzen und sich zu fragen: Warum glaube ich, dass ein anderer Mensch so fundamental anders ist, dass er weg muss?“ Sich mit Vielfalt auseinanderzusetzen – als Individuum und als Staat – sei notwendig, um nicht ständig an Grenzen zu stoßen. „Na super, jetzt müssen wir Frauentoiletten einbauen. Jetzt müssen wir Kopftücher akzeptieren. Jetzt müssen wir unseren Speiseplan umstellen“, nennt Schindlauer Beispiele für einzelne Korrekturmaßnahmen. „Kommen wir doch in der Wirklichkeit an und richten die Sachen gleich so ein, dass sie funktionieren!“ Nicht bunt, nicht tanzend, sondern praktisch.

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