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Afroamerikanische DemonstrantInnen beim berühmten Marsch auf Washington im Jahr 1963 Gleiche Rechte für alle, gemeinsame Schulen und ein Ende der Diskriminierungen: So lauten nur einzelne Forderungen der afroamerikanischen DemonstrantInnen beim berühmten Marsch auf Washington im Jahr 1963.
Buchtipp

Never Ending Story

Schwerpunkt

Ob Standesunterschiede, Gender Gap oder digitale Kluft: Ungleichheit ist ein altes Phänomen. Was sich ändert, sind die Erscheinungsformen und Reaktionen darauf.

Gottgewollte, „natürliche“ Unterschiede oder nicht akzeptable Ungleichheit? Mit dieser Differenzierung hielten sich die meisten Gelehrten von der Antike bis zur Neuzeit nicht lange auf. Die Teilung der Gesellschaft in Arme und Reiche, Freie und Sklaven, Herrscher und Untertanen galt gewissermaßen als Naturerscheinung.
Im Sinne des christlichen Glaubens versuchte man zwar, durch Mildtätigkeit und Almosen für Waisen, Arme und Kranke das Leid und den Hunger zu lindern – beziehungsweise Bonuspunkte für den Eintritt ins Himmelreich zu sammeln. Doch bereits am Ende des Mittelalters wurde zwischen „würdigen“ und „unwürdigen“ Armen unterschieden: Erstere waren unverschuldet in Not geraten, während Letztere ihr Unglück selbst verschuldet hatten. „Einheimische, Arbeitswillige, aber Arbeitsunfähige, Verschämte, in die Ordnung integrierte waren ‚gut‘ […] Fremde, Arbeitsunwillige, aber Arbeitsfähige, Faule, sich der Ordnung Entziehende oder gegen sie Agierende erhielten das Etikett ‚böse‘“, schreibt der Historiker Helmut Bräuer im Buch „Armut und Reichtum in der Geschichte Österreichs“.

Soziale Umwälzungen

Kinderarbeit war lange Zeit durchaus an der Tagesordnung. Zum Teil mussten schon Fünfjährige arbeiten, etwa beim Spitzenklöppeln. Dies legitimierte man etwa damit, dass sie frühzeitig an die Arbeitswelt gewöhnt werden sollten, Waisenkinder trugen so zu ihrem eigenen Lebensunterhalt bei. Der Gedanke, dass Ungleichheit und Armut bekämpft bzw. verhindert werden sollten, wurde erst im 18. Jahrhundert durch die Aufklärung populär, die unter anderem die bisherige Gesellschaftsordnung infrage stellte. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in Großbritannien und den USA die Sklaverei verboten. Innerhalb von Afrika allerdings florierte der Sklavenhandel bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. So konnte auf den Feldern und in den Bergwerken der Kolonien maximaler Profit erzielt werden. Noch in den 1960er-Jahren schätzte man, dass in Afrika ein Viertel der Beschäftigten zur Arbeit gezwungen und wie Sklaven behandelt wurde.
Doch zurück nach Europa: Die industrielle Revolution mit den gravierenden Veränderungen der Produktionsmethoden sorgte für extreme soziale Umwälzungen. Durch die neuen fabriksmäßigen Maschinenspinnereien verloren ab ca. 1801 allein im heutigen Niederösterreich innerhalb von zehn Jahren rund 90.000 Menschen ihre Arbeitsmöglichkeiten. In dieser Zeit entwickelte Karl Marx seine Theorie der kapitalistischen Gesellschaft mit unversöhnlichen Klassengegensätzen, eine Gesellschaft des Elends, der Ausbeutung und Entfremdung. 1867 entstand „Das Kapital“.
Erst ab etwa 1870 zeigten sich die positiven Auswirkungen der Industrialisierung, Löhne und Lebenserwartung stiegen allmählich. Die Kämpfe der Arbeiterbewegung begannen Früchte zu tragen: Später wurden Unfall- und Krankenversicherung eingeführt. Sozial- und Transferleistungen bewirkten, dass Kinderreichtum, Krankheit und Alter für die große Masse der „Werktätigen“ nicht mehr automatisch soziale Ausgrenzung, Elend und die Abhängigkeit von Almosen bedeuteten.

Neue Herausforderungen

Soziale Ungleichheit besteht dann, wenn Menschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den „wertvollen Gütern“ einer Gesellschaft regelmäßig weniger als andere erhalten – so die Definition des deutschen Soziologen Stefan Hradil. Zu den wertvollen Gütern zählen unter anderem auch Wissen oder persönliche Autonomie. Für liberal oder konservativ gesinnte WissenschafterInnen stellt Ungleichheit bis heute einen unverzichtbaren Leistungsanreiz dar. Sie argumentieren, dass das Gefühl von Ungleichheit ein wichtiger Antrieb für Kreativität und Wirtschaftswachstum wäre.
Anfang der 1970er-Jahre entstand mit der Wohlfahrtsökonomie ein neuer Teilbereich der Volkswirtschaftslehre. Der Inder Amartya Sen ist bis heute einer der bekanntesten WohlfahrtsökonomInnen, 1998 erhielt er für seine Leistungen in der Armuts- und Ungleichheitsforschung den Nobelpreis. Er vertrat erstmals die Auffassung, dass es vorrangig nicht um die Verteilung von Gütern geht, sondern um Verwirklichungschancen. Entscheidend für die Qualität des Lebens ist nicht das Einkommen, denn auch bei einem guten Einkommen können Unterdrückung und Unfreiheit bestehen.

Durchs Netz gefallen

Dementsprechend beschäftigt sich die Ungleichheitsforschung nicht nur mit Vermögens- und Einkommensunterschieden, sondern auch mit vielen anderen Fragen:

  • Wie weit hat das Internet die ursprünglich erwarteten demokratisierenden Effekte und sorgt für Chancengleichheit? Erhebungen zum Digital Divide etwa ergaben, dass Kinder von Eltern mit einem hohen Bildungsgrad deutlich mehr Interesse an Lernspielen und einem breiten Online-Angebot haben als andere. Unter anderem könnte der Trend zu zahlungspflichtigen Inhalten bestehende soziale Ungleichheiten auch im Netz verstärken.
  • Wie weit beeinflusst Bildung die Gesundheit? Menschen mit höherer Bildung leben durchschnittlich vier Jahre länger.
  • Bedeuten weitere Fortschritte in Medizin und Gentechnik mehr Ungleichheit oder Gleichmacherei?
  • Wie wird sich der Klimawandel auswirken und wie kann man in Fällen negativer Konsequenzen gegensteuern?

Während die globale Ungleichheit erstmals seit der industriellen Revolution zurückgeht, steigt die innere Ungleichheit – nicht nur in vielen westlichen Industriestaaten. In China ist – bei hohem Wirtschaftswachstum – der Gini-Index seit 1981 (0,29) auf 0,474 im Jahr 2012 gestiegen. Anthony Atkinson, Experte für Einkommensverteilung, spricht auch für Europa von einem regelrechten „Inequality turn“ Anfang der 1980er-Jahre.

Inklusion als Lösung?

In der kürzlich veröffentlichten umfangreichen Studie „Ethnic Stratification and Income Inequality around the World. The End of Exploitation and Exclusion?“ weist der Grazer Soziologe Max Haller unter Mitarbeit von Anja Eder erstmals nach, dass die ökonomische Ungleichheit sehr stark mit der ethnischen Differenzierung und Schichtung eines Landes zusammenhängt. Sie analysierten rund 120 Länder der Welt, das Ergebnis: ethnische Heterogenität beeinflusst die Einkommensungleichheit stark – durch die Bildung „ethnischer Unterschichten“, Ausbeutung von ZuwanderInnen etc. War ein Staat von ethnischen Herrschafts- und Ausbeutungssystemen (Sklaverei, Apartheid etc.) betroffen, wirkt sich das heute noch durch einen höheren Gini-Koeffizienten (= mehr Ungleichheit) aus. Einen deutlich ausgleichenden Effekt auf die Einkommensungleichheit hat ein starker Wohlfahrtsstaat.
Eine möglichst breite Beteiligung der Bevölkerung sehen auch die Wirtschaftswissenschafter Daron Acemoglu und James A. Robinson als Schlüssel für nachhaltiges Wachstum und allgemeinen Wohlstand. In „Warum Nationen scheitern“ liefern sie zahlreiche anschauliche Beispiele für die positiven Auswirkungen inklusiver (Wirtschafts-)Institutionen, die von den EntscheidungsträgerInnen aktiv gefördert werden: „Ein freier wirtschaftlicher Wettbewerb kann ohne [diese] breite Beteiligung am politischen Geschehen nicht überleben, und ein Mangel an politischer Zentralisierung macht die Entstehung sicherer Eigentumsrechte, einer verlässlichen Justiz sowie die Wahrung von Recht und Ordnung schwierig oder unmöglich.“
Inklusiv, das bedeutet für die Autoren auch, arme Länder nicht zur Übernahme „besserer“ politischer Verfahren und Institutionen zu drängen. Vielmehr sollte man in Erfahrung bringen, welche nicht inklusiven Strukturen Fehler verursachen, um dann die geeigneten Maßnahmen einleiten zu können.

Internet:
Link zur HFCS-Erhebung zur finanziellen Situation und zum Konsum der Haushalte der Österr. Nationalbank:
tinyurl.com/otxpz9o

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